wischte über den Mund und zeigte mit dem Finger hinter sich. »Da liegt ein Toter.«
»Bleib hier, ich sehe nach.«
Vorsichtig trat er nur dort auf das Gras, wo auch Swantje es mit ihren Schuhen kurz vorher heruntergedrückt hatte.
Zwischen den Büschen lag ein Mann auf dem Rücken. Das Summen der Fliegen verriet, dass ihm vermutlich nicht mehr zu helfen war, aber Mark musste sich vergewissern. Er dachte an den letzten Erste-Hilfe-Lehrgang. Ein sicheres Todeszeichen sei die Leichenstarre, hatte der Dozent gesagt.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, er ging neben dem Körper in die Knie. Zum Glück hatte er noch seine Handschuhe in der Seitentasche der Hose. Jeder Autobahnpolizist hatte Lederhandschuhe dabei. Bei der Bergung von Unfallopfern bewahrte sie das vor Verletzungen durch Glasscherben oder scharfkantige Bleche.
Er zog die Handschuhe über. Die linke Hand legte er auf den Brustkorb des Mannes, mit der rechten umfasste er das Handgelenk. Der Brustkorb bewegte sich nicht. Außerdem ließ sich der Arm nicht anheben. Die Leichenstarre war voll ausgebildet. Kein Zweifel, vor ihm lag ein Toter.
Das Gesicht war unnatürlich rot. Wie hypnotisiert starrte Mark auf die Hände des Toten. Die Finger waren gekrümmt, die Nägel abgerissen und blutig. Das Schlimmste war aber die rechte Hand. Dort, wo sich der Zeigefinger hätte befinden sollen, krabbelten winzige Maden auf einer Wunde.
Mark Rode riss sich von dem Anblick los und ging zurück zu seiner Kollegin.
Er legte den Arm um Swantje. Gemeinsam liefen sie den Weg zurück auf das Parkplatzgelände. Mark Rode ging zum Streifenwagen und griff zum Handy.
Schichtleiter Rolf Berger nahm auf der Wache den Hörer ab. »Na, habt ihr die Rehe gesehen?«
»Die sind wieder da, wo sie hingehören, dafür haben wir aber eine Leiche gefunden.« Mark schilderte, was passiert war. Dabei sah er besorgt seine Kollegin an. Sie sah sehr blass und schockiert aus. Er wusste aus Gesprächen mit ihr, dass sie noch keine Leiche gesehen hatte.
»Du wirst noch viele Tote zu sehen bekommen, aber die erste Leiche vergisst du nie«, hatte sein Bärenführer einst zu ihm gesagt. Das würde Swantje genauso gehen, jede Einzelheit war für immer in ihr Gedächtnis gebrannt.
Mark Rode öffnete den Kofferraum des Streifenwagens und griff sich den Karton mit dem Absperrband. »Na, Swantje, geht’s wieder? Lass uns den Fundort absperren. Rolf weiß Bescheid und kümmert sich.«
3 Polizeisprache für Ausbilder
4 siehe Punkt 7 auf der Karte
Kapitel 2
Tag 3, morgens
Altstadt Leer,
Dachgeschosswohnung von Jan Broning
Das Telefon an seinem Bett riss Jan Broning aus dem Schlaf. Broning war noch ganz in seinem Traum gefangen und es dauerte einen Moment, bis er die grüne Taste drückte.
Bevor er seinen Namen nennen konnte, hörte er schon die Stimme seines Kollegen Hensmann von der Wache. Sofort hielt Broning den Hörer auf Abstand zu seinem Ohr. Böse Zungen behaupteten, Hensmann hätte in einem früheren Leben zu den Trompetern von Jericho gehört.
»Sorry, Jan, noch ein bisschen früh, aber Kollege Kromminga von der Tatortgruppe bat mich, dich zu informieren. Sie sind draußen an der Autobahn 28 auf einem Parkplatz und haben einen Toten. Eindeutig Fremdverschulden und ganz schön krass. Er fragt an, ob du dir die Auffindesituation selbst ansehen möchtest. Die Spurensicherung ist am Aufrödeln und fährt gleich raus.«
»Okay, Klaus. Sie sollen eine Ehrenrunde in der Wörde drehen und mich abholen. Ich mach mich fertig.«
Jan Broning sah aus dem Fenster auf die gegenüberliegende neue Hafenstadt. War er der Einzige, oder gab es noch andere, die es bei diesem Anblick fröstelte? Er konnte sich nicht an diese Architektur gewöhnen.
Morgens sah er immer zuerst aus dem Fenster auf die Nesse. Die Wohnungen waren teuer und begehrt, aber er fand, sie strahlten eine gewisse Kälte aus.
Nach einem letzten sehnsuchtsvollen Blick auf sein warmes Bett ging er in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein.
Im Bad wartete die erste Mutprobe auf ihn. Der Blick in den Spiegel.
Trotz der vielen Falten war er doch zufrieden mit sich. Der Sport und die Umstellung seiner Ernährung zeigten Wirkung. Sein Gesicht war schmaler geworden. Ein bisschen so wie früher.
In der Küche blieb sein Blick an einem Foto an der Kühlschranktür hängen. Maike de Buhr hatte ihn in dem Passbildautomaten ganz nah an sich herangezogen, als diese Fotos entstanden waren.
Bei ihrem letzten gemeinsamen Fall hatten Jan Broning und Maike de Buhr zusammen mit Kollegen der Wasserschutzpolizei Morde und rätselhafte Ereignisse an der Ems5 aufgeklärt. Broning hatte damals den Tod seiner Frau noch nicht verarbeitet gehabt, sich erst mit Hilfe seiner Therapeutin wieder gefangen, und am Ende der Ermittlungen hatte es dann zwischen Maike und Jan ordentlich gefunkt.
Bis jetzt war es allerdings bei vorsichtigen Küssen und Umarmungen geblieben. Was stand zwischen ihnen? War es der Altersunterschied, war es seine tote Frau – oder die Angst, dass nach einer gemeinsam verbrachten Nacht alles vorbei wäre?
Jan wollte alles richtig machen. Ja, ›vorsichtige Annäherung‹ traf es wohl am besten.
Sein Vorgesetzter Dirksen hatte ihm vor vier Wochen eine Kur in Sankt Peter Ording genehmigt. Als er eines Morgens in die Rezeption gegangen war, hatte sie einfach da gesessen. Maike hatte sich Urlaub genommen und war im Wohnmobil ihrer Freundin auf einen Campingplatz nahe am Kurzentrum gefahren.
Sie hatten schöne Stunden am Strand und in der Umgebung verbracht. Die Anwendungen in der Kurklinik, insbesondere die Ernährungsumstellung, hatten ihn langsam wieder in Form gebracht. Aber irgendetwas hatte sich in Sankt Peter zwischen sie gedrängt. Bildete er es sich ein, oder hatte Maike sich in den letzten Tagen ihm gegenüber reserviert verhalten?
Der Kaffee brachte ihn auf schmerzhafte Art in die Gegenwart zurück. Er verbrannte sich den Mund an dem zu heißen Gebräu, als die Türklingel schellte.
»Hier Brede, zur Leiche, mitfahren.«
Broning verdrehte die Augen. Albert Brede mit seinen Halbsätzen! Er drückte auf den Sprechknopf. »Ich komme.«
Im Schrank fand er den Thermobecher und füllte ihn mit dem heißen Muntermacher. Beim Hinausgehen warf er sich seine alte Lederjacke über, ging zurück in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine aus.
Unterwegs von der Altstadt Leer bis zur Autobahn,
AS Leer-West (Rtg. OL, dort befindet sich die Dienststelle der Autobahnpolizei)
Jan nahm immer mehrere Treppenstufen auf einmal, bis sich sein linkes Knie meldete. Die restliche Strecke ging er vorsichtiger hinunter.
Draußen stand der weiße Bulli der Spurensicherung. Stefan Gastmann saß auf dem hinteren Notsitz und Kollege Brede auf dem Fahrersitz. Broning öffnete die Beifahrertür, grüßte und stieg ein.
Er drehte sich zu Stefan um. Für Bredes Halbsätze war es eindeutig zu früh.
Stefan sah es wohl ähnlich, denn er begann sofort, Jan den bisherigen Ablauf der Ereignisse mitzuteilen. »Die Kollegen von der Autobahnpolizei haben die Grünanlage eines Rastplatzes nach Rehen durchsucht und dabei den Toten gefunden. Der Fundort ist abgesperrt. Der Notarzt hat sein Kreuzchen auf dem Totenschein bei ›unnatürlich‹ gemacht. Die Tatortgruppe war auch schon vor Ort. Es gibt Hinweise auf eine Vergiftung durch Kohlenmonoxid. Und der Zeigefinger der rechten Hand fehlt.«
Jan Broning fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Immer wieder war er in Gedanken in Sankt Peter-Ording.