Wolfgang Santjer

Ostfriesenspieß


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zu dem Umschaltventil. Dahinter trennten sich die Leitungen. Je nach Schalterstellung führte entweder eine davon die tödlichen Abgase wie üblich weiter in die Auspuffanlage oder die Gase gingen über die andere Leitung, durch das Bodenblech des Fahrzeuges, in die Kiste. Deren unteren Teil hatte Gerd fest mit dem Bodenblech des Transporters verschraubt. Den Deckel konnte er mit mehreren massiven Verriegelungen luftdicht befestigen.

      In die Kiste hatte er seitlich eine Lochgitterwand aus Stahl eingebaut, mit tausenden kleiner Löcher wie bei einem Sieb. Das Opfer konnte die Abgasleitung von innen nicht verschließen, denn die Abgase strömten hinter dieser Lochwand in die Kiste.

      *

      Der Schmerz im Genick befreite Erich Schulte aus seiner Bewusstlosigkeit. Er öffnete die Augen, aber es blieb dunkel. Panik stieg in ihm auf, als er die Handschellen spürte. Beim Versuch, sich aufzurichten, stieß er mit dem Kopf gegen ein Brett. Verzweifelt versuchte er, die Situation zu begreifen.

      Soweit es möglich war, bewegte er sich in alle Richtungen. Seine Füße, seine Schultern und sein Kopf stießen jedoch auf Widerstand. Allmählich dämmerte ihm, dass er in einer länglichen Kiste lag. Die Finger tasteten die Oberfläche ab. Es fühlte sich wie Holz an, nur rechts befand sich eine Art Gitter. Er spürte Vibrationen. Erich Schulte begann abwechselnd zu schreien und zu schluchzen.

      Lauwarme Luft drang durch die rechte Seite aus dem Lüftungsgitter. Auspuffgase? Es wurden Auspuffgase in die Kiste geleitet!

      Er konnte die rechte Seite nicht abdecken. Er trat und schlug um sich, aber ohne Erfolg. Schreien konnte er nicht mehr, die schlechte Luft erschwerte ihm das Atmen. Seine Fingernägel brachen beim Kratzen am Holzdeckel ab. Das Adrenalin ließ ihn noch einige lange Minuten durchhalten, bevor Erich Schulte sein Bewusstsein verlor.

      *

      Gerd Hasler steuerte den Transporter vom Parkplatz. Bis zur Lagerhalle sollten die Abgase ihre Arbeit erledigt haben. Dann blieben nur noch die Entsorgung und sein sehr spezielles Souvenir. Den Luxusschlitten würde er später holen. Endlich konnte er sich für die Demütigungen rächen!

      Während seine Gedanken in seine beschissene Kindheit zurückwanderten, strich sein rechter Daumen über die geschliffenen Klingen der Schere.

      Kapitel 1

      Tag 3, frühmorgens

      Unterwegs auf der Autobahn A28 (Rtg. OL)

      »91/02 für die Wache!«

      Die junge Kommissarin Swantje Benninga griff im Streifenwagen nach dem Hörer des neuen Digitalfunkgerätes. »91/02. Was hast du?«

      Schichtleiter Rolf Berger drückte auf der Wache die Sprechtaste. »Mehrere Verkehrsteilnehmer haben Rehe in Höhe Apen auf der Bahn in Richtung Oldenburg gesehen. Schaut doch mal nach. Die Rundfunkdurchsage läuft!«

      »Geht klar, Rolf.«

      Swantje sah ihren Kollegen verunsichert von der Seite an. »Rehe sind gar nicht gut, oder? Blöde Viecher. Können die nicht auf der Wiese bleiben …«

      Mark bremste stark ab, weil ein vorausfahrender Pkw-Fahrer den Streifenwagen zu spät bemerkt hatte. Offensichtlich hatte der Mann zum Überholen ausgeschert, ohne in den Rückspiegel zu schauen. Der Pkw-Fahrer beschleunigte jetzt nicht etwa und beendete sein Überholmanöver, nein, er latschte voll auf die Bremse.

      Das ABS-Bremssystem des Streifenwagens schaltete sich ein und Mark fluchte. »Vollpfosten!«

      Er gab wieder Gas und Swantjes rechte Hand krampfte sich um den Haltegriff an der Tür.

      Mark war hochkonzentriert. Sein Adrenalinspiegel stieg zusammen mit der Geschwindigkeit. Er blieb mit ihrem Einsatzfahrzeug auf dem Überholfahrstreifen. Auf dem rechten Hauptfahrstreifen voraus fuhr ein Lkw. Hinter dem Lkw befand sich ein Pkw.

      Vor zwei Tagen war Mark mit Tempo 200, ebenfalls bei Blaulicht und Musik auf der linken Spur, unterwegs zu einer Unfallstelle gewesen, als ein alter Golf hinter einem Lkw ausgeschert war und den Überholfahrstreifen blockiert hatte. Trotz Vollbremsung war ihm ein Zusammenstoß unvermeidbar erschienen. Aber dank ABS und dem genialen elektronischen Stabilitätsprogramm war der Streifenwagen lenkfähig geblieben und Mark war mit circa 180 Sachen über den schmalen Standstreifen an den vorausfahrenden Fahrzeugen vorbeigerauscht.

      Sie hatten Glück gehabt.

      »Swantje, hat ein Autobahnpolizist so viele Leben wie eine Katze? Was meinst du?«

      »Mit den neun kommen wir auf keinen Fall aus.« Swantje atmete bewusst ruhig ein und aus. An diese Einsatzfahrten musste sie sich noch gewöhnen. Sie war erst seit vier Wochen bei der Autobahnpolizei.

      Kurz vor Apen verringerte Mark das Tempo und fuhr mittig auf der Autobahn. Er schaltete die Warnblinkanlage ein. So verlangsamte er den nachfolgenden Verkehr vor der Gefahrenstelle.

      Swantje sah die Tiere zuerst: »Da links am Mittelschutz! Zwei Rehe.«

      Inzwischen fuhr der Streifenwagen im Schritttempo und die nachfolgenden Autofahrer waren gezwungen, ebenfalls langsam zu fahren. Die Tiere nutzten die Gelegenheit und liefen zurück über die Fahrbahn. Sie verschwanden im Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Rastplatz.

      Das Problem war damit nicht erledigt, denn den Parkplatz trennte ein Wildschutzzaun von den Wiesenflächen. Die Tiere konnten so den Parkplatz von außen nicht erreichen, ihn aber in diesem Fall von innen auch nicht wieder verlassen.

      Als Mark auf den Parkplatz fuhr, sah er die Tiere über die gepflasterten Flächen laufen und hinter dem Toilettengebäude zwischen Bäumen und Büschen verschwinden.

      Mark und Swantje stiegen aus.

      Er verriegelte die Türen des Streifenwagens und überlegte. »Swantje, wir teilen uns auf. Du gehst zu einem Ende des Parkplatzes, ich zum anderen. In der Grünanlage am Zaun entlang gehen wir dann mittig aufeinander zu.«

      Swantje marschierte los. Mark ging in die entgegengesetzte Richtung. Kurz darauf verschwanden die Polizisten zwischen den Bäumen und Büschen.

      Mark ging am Zaun entlang in Richtung Parkplatzmitte. Nach etwa 100 Metern sah er, dass der Wildschutzzaun beschädigt war. Das Drahtgeflecht hatte sich von den Pfosten gelöst und war nach unten gefallen. Klarer Fall, hier waren die Tiere durchgelaufen.

      Er ging ein Stück zurück und wartete darauf, dass Swantje die Rehe in seine Richtung trieb.

      Dies tat sie auch, aber anders als erwartet. Ihr Schrei war nicht von schlechten Eltern und tatsächlich sprangen die beiden Rehe aus dem Dickicht. Mark breitete die Arme aus und schrie ebenfalls. Die Tiere sprangen durch die Zaunlücke und liefen über die Wiesen davon.

      »Super, Swantje, gut gemacht!«

      Aber seine Kollegin antwortete nicht.

      Mark drückte das Drahtgeflecht hoch und schloss damit provisorisch die Lücke im Zaun. Den Rest würde morgen die Autobahnmeisterei erledigen. Er rief nach seiner Kollegin. Sie hätte doch schon längst hier sein können.

      Schließlich kämpfte er sich durch das Gestrüpp in ihre Richtung.

      Das Geräusch war eindeutig. Dort musste sich jemand heftig übergeben.

      Swantje stand vornübergelehnt an einem Baum. Sie würgte, und ihr Gesicht war weiß wie eine Wand.