Faust die Fahnen Deutschlands trugen?
Dem Frager naht ein bärtiger Sergeant,
Des Tages Spur in den zerzausten Haaren.
»Die Leute, Herr, sind uns gar wohl bekannt:
Der Löwe Sachsens ist’s mit seinen Scharen!«
Abermals Schlachtgetümmel, Fanfaren, Sieg und deutsche Einheit, der Held kehrt in sein Land zurück, die Wogen der Siegesfreude schlagen über ihm zusammen. Friede nun: Gezückt – gerückt – entzückt – beglückt. Erst einmal den Schluß:
Nehmt den Pokal, das volle Glas zur Hand,
Erhebt den Blick zum freien deutschen Aaren,
Und hell und jubelnd schall es durch das Land:
»Der Löwe Sachsens hoch mit seinen Scharen!«
May überliest, Verwunderung überkommt ihn, wie rasch ihm dieses Poem gelungen ist. Unter den Titel schreibt er: »Rückblick eines Veteranen.«
Drei Tage später liest Münchmeyer das Gedicht. Kein Lob, kein Tadel. »Die Leute werden’s nehmen. Kommen Sie mit dem Umbruch zurecht?«
Ja, ja. Er fühlt Druck auf der Brust, der rührt nicht vom Rauchen, nicht vom krummen Sitzen in den Nächten her. Nur einer würde ihn jetzt verstehen: Kochta.
Münchmeyer schlägt eine Zeitschrift auf und mäkelt: Die paar Zeilen hier hätte May nicht umlaufen lassen sollen, so was kürzt man raus, hier meinetwegen: Weg mit dem Absatz, verstehen Sie? Also nächstes Mal!
Nachmittags umrundet er Häuserblocks in der Nähe seines Zimmers. Es ist diesiger Herbst, die Nebel der Elbe sind über die Ufer gedrungen und füllen die Stadt. An solch einem Tag, entsinnt er sich, an dem es nie richtig hell wird, hat sich in Waldheim ein Züchtling erhängt.
Eine Schankwirtschaft betritt er, kein Kunde ist darin, der Besitzer verbeugt sich. May läßt sich Kästchen zeigen, schnuppert. Etwas Besonderes suche er, nicht zu schwer, dennoch Format. »Eine Zigarre mit Charakter«, der Wirt wagt sich eine Preisstufe höher. May nennt Importfirmen aus Bremen, diese Namen standen auf den Ballen, die er in Waldheim auftröselte.
»Ich bekomme nächste Woche eine exquisite Sorte.«
»Schicken Sie mir bitte davon ein Dutzend zur Probe. Heute nehme ich zwei Dutzend von diesen.«
»Sehr gern, der Herr. Wohin darf ich …«
May überreicht eine Visitenkarte. Der Wirt liest. »Verbindlichsten Dank, Herr Doktor!«
An diesem Abend arbeitet er weiter an der Geschichte des Försterssohns Brandt, die Feder gleitet. Fünf Seiten, eine Zigarre, eine Pause während der ersten Züge. »Eine gewaltige, hoffnungslose Liebe lag zusammengepreßt in der Tiefe ihres Herzens. Die gewaltige Expansivkraft derselben bedurfte nur eines Funkens, um die Explosion, die Eruption hervorzubringen, welche in dieser Schicksalsstunde sich Bahn brach.« Sechs Seiten, vielleicht mit einem Ruck bis Seite zehn. Er kennt das füllende Mittel der direkten Rede:
»Wozu?«
»Fragt der Mensch auch noch dieses!«
»Nun, was denn?«
»Der Hausers Eduard ist futsch!«
»Ah! Sapristi!«
»Und die Engelchen ist futsch!«
»Oh!«
»Ja, aber zu Hause ist er nicht gewesen!«
»Ja, ich weiß es!«
»Was, Sie wissen es?«
»Ja.«
»Und das sagen Sie so ruhig?«
»Wie soll ich es denn sagen?«
»Brüllen Sie es! Hinausschreien!«
»Wo denn hinaus?«
»Aus dem Forsthaus hinaus!«
»So! Auch noch!«
»Ja, ja!«
Er braucht jetzt nicht das Belebende, Aufpeitschende des Tabakrauchs, er muß die Hand nicht zwingen, leserlich zu bleiben. Keinen Blick wirft er auf das Geschaffene, weiter! Ein Kind stirbt an den Blattern, weil Mund und Nase verkrustet sind – hat er in blinder Kindheit so etwas gehört? Die Großmutter sprach darüber mit einer Nachbarin? Ein Kind ist erstickt, bei den Geschwistern schneidet der Arzt durch die Blattern hindurch. Milch soll den Kindern eingeflößt werden, Bouillon. Aber es gibt keine Milch und kein Geld, die Kinder werden sterben. »Mit einem wilden Aufflackern riß der unglückselige Vater die schmutzstarrenden Bündel … Ein Schluchzen erstickt der Mutter die Stimme: Wenn der Waldkönig nicht hilft …«
In der Erinnerung taucht das Gesicht des Händlers auf, er hört diese Stimme: Herr Doktor May. Protts Lachen: He, May, schreibst die Bibel ab? Verbindlichsten Dank, Herr Doktor. Mörtelgeruch, Kübelgeruch, Strohgeruch. Swallow, mein wackerer Mustang. Der Direktor: Viel Glück in der Freiheit, Herr Doktor! Schriftsteller und Redakteur Dr. phil. Karl May. Kochta: Demut, wir alle müssen demütig sein vor dem Herrn. Das Flämmchen zuckt vor der Zigarrenspitze, Rauch auf der Zunge, über tausend Nervenbahnen wird das Hirn wachgehalten. Die Mutter in der Mangelstube, der Vater am Stammtisch: Mein Sohn, Doktor ist er jetzt! Zuchthausmauern stürzen, Waldheim ist von der Landkarte gelöscht. Aus staubüberhangener Einöde der Hilferuf des Direktors: Bitte, Herr Doktor May! Ein Diener: Gnädige Frau, darf ich Ihnen Herrn Doktor May melden! Eine Dame schreitet auf schwellendem Teppich. Ich habe unendlich viel von Ihnen gehört!
In dieser Nacht schafft er zwölf Seiten.
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