Florian Steger

Vertuschter Skandal


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Entschädigungsgesetz

       3.1.1 Situation der Betroffenen nach der Wiedervereinigung

       3.1.2 Große Anfrage der SPD

       3.1.3 Gespräche in den Bundesländern und Diskussionen im Bundestag

       3.1.4 Stagnation und Regierungswechsel

       3.2 Das Anti-D-Hilfegesetz

       3.3 Weitere Kritikpunkte nach dem Anti-D-Hilfegesetz

       3.3.1 Verfassungsbeschwerde und Petitionen

       3.3.2 Politisches Engagement zur Verbesserung des Anti-D-Hilfegesetzes

       3.3.3 Kritik der Betroffenen an Forschungsprojekten

       3.4 Ausblick: Entwicklungen bis heute

       4 Schluss

       5 Quellen und Literatur

       5.1 Quellen

       5.2 Literatur

       Autorenverzeichnis

       Ebenfalls in der Studienreihe der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt erschienen

       Fußnoten

      Die Zusammenhänge und Hintergründe des hallischen Arzneimittelskandals von 1978/1979 sowie die Folgen für die betroffenen Frauen aufzuarbeiten, ist das Ziel dieser wissenschaftlichen Untersuchung. Die Aufgabe der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen besteht in der Aufarbeitung der Vergangenheit, die von der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und politischer Einflussnahme belastet ist. Dazu gehören zunehmend auch Themen der Gesundheitspolitik.

      Der Vorstand des Deutschen Vereins Anti-D HCV-Geschädigter e. V. wandte sich im Jahr 2014 an mich als Landesbeauftragte und bat mich um Unterstützung. In unseren Gesprächen wurde deutlich, dass die Frauen nicht nur an den Folgen des Geschehens von 1978/1979 leiden. Sie leiden auch darunter, dass sie immer wieder zu Objekten von Begutachtung und Beurteilung geworden sind. Die nahezu zeitgleiche Infektion eines „homogenen Patientinnenkollektivs“ ist objektiv ein bedeutsamer Gegenstand für Forschungsarbeit. Die Frauen fühlen sich bis heute hauptsächlich als Gegenstand von Forschung und fragen zu Recht, ob mehrfache äußerst schmerzhafte Untersuchungen an ihnen selbst und teilweise an ihren Kindern wirklich der Diagnose oder nicht eigentlich zuerst der Forschung dienten, über die sie nicht informiert worden waren.

      Bis 1989 gehörte es zur Gesundheitspolitik, die Frauen zu isolieren und nicht über das Ausmaß der Krankheitsfälle in der DDR zu informieren. Die Frauen und ihre weitgehend noch unbekannte Erkrankung wurden zum Gegenstand staatlicher Untersuchung, staatlicher Verheimlichung und teilweise staatlicher Entschädigung. Die Frauen wurden auch innerhalb ihrer Aufgaben in der Gesellschaft als Mütter und als Arbeitskräfte unter Druck gesetzt, perfekt zu funktionieren. Viele betroffene Frauen haben sich von Beginn an gegen die Unterstellung von Simulation verwehren müssen. Als schwer erkrankte Patientinnen mussten sie sich immer wieder für ihre Rechte einsetzen und gegen Widerstände und Verharmlosung ankämpfen.

      Erst seit 1990 war es ihnen möglich, eigene Interessensvertretungen zu bilden. Seitdem arbeiten die Frauen daran, die Hintergründe ihrer Geschichte aufzuarbeiten und zu verstehen.

      Die vorliegende Arbeit ist die erste wissenschaftliche Aufarbeitung des Geschehens, die unter Einbeziehung der betroffenen Frauen entstanden ist. Die Frauen stellten den Wissenschaftlern ihre Unterlagen zur Verfügung. Dieser Beitrag unternimmt es, den Umgang mit dem hallischen Arzneimittelskandal bis in die Gegenwart hinein zu untersuchen und damit auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Fragen der Entschädigung und Anerkennung der betroffenen Frauen zu leisten.

      In den Gesprächen mit den Frauen ist mir klar geworden, dass sie in den Debatten um die gesetzlichen Regelungen ihrer Entschädigung durch den Deutschen Bundestag zwar auch Hilfe und Unterstützung erfahren haben, dass ihre Unzufriedenheit mit der Praxis dieser Regelungen aber dennoch anhält. Deshalb haben sie auch Gesprächsbedarf angemeldet. Der Eindruck mangelnder Anerkennung ihrer Lebenssituation bleibt unter anderem dadurch bestehen, dass die Begutachtung der Schädigung von ihnen scharf zu kritisieren ist und Einkommenseinbußen aufgrund von Erkrankungen und Leistungsminderungen nicht berücksichtigt werden.

      Diese Arbeit ist ein Gesprächsbeitrag, um einem breiten Publikum ein besseres Verständnis dieser komplizierten Materie zu ermöglichen.

      Ich danke den betroffenen und vielfach engagierten Frauen für ihr Vertrauen.

      Ich danke Professor Florian Steger, Carolin Wiethoff und Maximilian Schochow für ihre Einfühlung und ihre Genauigkeit. Ich hoffe sehr, dass dieser Band den Frauen den Respekt der Gesellschaft zeigen kann und dass diese unabhängige Forschungsarbeit allen Beteiligten eine gute Grundlage für weitere Beratungen sein wird.

      Birgit Neumann-Becker

      Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

      der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt

      „Im Februar 1979 erhielt ich eine Zwangseinweisung in ein Krankenhaus, nachdem eine Blutkontrolle angeordnet und durchgeführt worden war. Den Grund für die Einweisung erfuhr ich nicht. Es ging mir verdammt schlecht. Beim Betreten des Krankenzimmers sahen mich elf Frauen an. Ein Bett war nur noch frei. Ich erinnere mich an einen Raum, der nur ein freihängendes Waschbecken zur Verfügung hatte. Ohne Vorhang, ohne Sichtschutz. Es war ein eher dunkler Saal mit spärlicher Beleuchtung. Die Seuchenstation erstreckte sich über die gesamte Ebene des Obergeschosses und umfasste mehrere Zimmer. Die Infektionsstationen im gesamten Land waren zu diesem Zeitpunkt gefüllt.“1 Nach acht Wochen wurde die Autorin, die unter dem Pseudonym Britt Brandenburger die Ereignisse aus dem Jahr 1979 veröffentlichte, ohne Aufklärung und ohne Diagnose aus dem Krankenhaus entlassen. Den Grund für ihre Zwangseinweisung, den wochenlangen Krankenhausaufenthalt und die Untersuchungen erfuhr Britt Brandenburger erst 1995 durch einen Zufall: Sie wurde 1978 mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter im Herbst 1978 hatte sie ein Serum zur Anti-D-Immunprophylaxe erhalten, das mit dem Hepatitis-C-Virus kontaminiert war.2 Sie wusste 17 Jahre nichts über ihre Hepatitis-C-Infektion und hatte in diesem Unwissen 1980 bei der Geburt ihrer zweiten Tochter den Virus auch auf ihr Kind übertragen. Wie Britt Brandenburger ging es vielen Frauen in der DDR. Sie wurden zwangsweise von ihren Familien getrennt, meist mehrere Wochen auf Isolierstationen festgehalten und – zumindest zunächst – ohne Aufklärung medizinisch betreut. Die Zahlen über die tatsächlichen Infektionen infolge der Anti-D-Immunprophylaxe differieren. Fest steht, dass in den Jahren 1978 und 1979 mehrere tausend Ampullen mit dem kontaminierten Serum verwendet wurden und damit ein großer Kreis von Frauen potenziell mit Hepatitis C infiziert