Tim Herden

Schwarzer Peter


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XXIX

       Kapitel XXX

       Kapitel XXXI

       Kapitel XXXII

       Kapitel XXXIII

       Kapitel XXXIV

       Kapitel XXXV

       Kapitel XXXVI

       Kapitel XXXVII

       Kapitel XXXVIII

       Kapitel XXXIX

       Kapitel XL

       Danksagung

       I

      „Tja“, meinte Malte Fittkau. Er hob mit der rechten Hand kurz seine Schiffermütze, kratzte sich die Stirn und setzte „seine Kopfbedeckung wieder auf. Gemeinsam mit Stefan Rieder stand er vor der Wiese um das kleine Kapitänshaus im Wiesenweg in Vitte. Das Häuschen war Rieders Bleibe auf Hiddensee. Seit Oktober hatte er dort nicht mehr gewohnt und auch nicht mehr den Rasen gemäht. Nach seiner Rückkehr auf die Insel im Januar war er in Maltes Pension gezogen. Bei dem harten Winter wäre es in dem Häuschen mit seinen dünnen Wänden zu kalt gewesen. Jetzt war bald Ostern. Malte brauchte seine Zimmer für die ersten Gäste. Rieder musste also umziehen. Außerdem hatte sich sein Vermieter angemeldet, um nach dem Rechten zu sehen und einiges zu besprechen. So stand es in einem Brief, den Rieder vor einer Woche erhalten hatte.

      Die Wiese bot ein gemischtes Bild. Da waren die abgestorbenen, dunklen Halme der Rasenpflanzen vom letzten Jahr. Dazwischen sprießten Löwenzahn, Gänseblümchen und Wiesennelken. Vor den Kirschbäumen an der Grenze zu Maltes Grundstück standen die Brennnesseln hüfthoch. Die Heckenrose am Zaun zum Wiesenweg hatte sich mit zahlreichen Schösslingen auf der Fläche vermehrt.

      Drei Monate hatte der Winter die Insel fest im Griff gehabt. Dickes Packeis türmte sich rund um die Küsten an Ostsee und Bodden. Nur mit dem Hubschrauber war Hiddensee zu erreichen. Dann kamen Ende März die ersten Sonnenstrahlen. Innerhalb einer Woche verschwanden Eis und Schnee. Die plötzliche Wärme jetzt Anfang April hatte die Natur förmlich explodieren und erblühen lassen.

      Bis zu seinem Haus war Rieder noch gar nicht vorgedrungen. Er hatte nur aus dem Schuppen den kleinen Rasenmäher geholt und war sofort gescheitert. Das Gerät hatte nach einem Meter den Betrieb eingestellt, unfähig, den Wiesenurwald zu stutzen. In seiner Not hatte Rieder Malte um Rat gefragt. Doch auch sein Nachbar war ratlos.

      „Vielleicht geht’s mit einer Sense“, schlug Rieder vor.

      „Haste schon mal gesenst?“, fragte Malte zurück, ohne Rieder dabei anzusehen.

      Rieder schüttelte den Kopf.

      „Dann lass mal.“

      „Aber wieso? So schwer kann doch Sensen nicht sein.“ Rieder deutete mit einem Hüftschwung und angewinkelten Armen die entsprechende Bewegung an. Nun drehte sich Malte um und sah Rieder an, als sei er nicht ganz bei Trost.

      „Hast du ’ne Sense?“, hielt Rieder an seiner Idee fest.

      „Hab’ ich, aber kriegste nicht. Das wäre Mord.“

      „Versteh’ ich nicht.“

      „Du hackst dir damit die Beine ab, und hier ist keiner auf der Insel, der sie dir wieder annäht. Sensen fällt jedenfalls aus“, erklärte Malte in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Die beiden Männer starrten wieder stumm auf die Wiese. Dann strich sich Malte über das Kinn. „Am besten, du holst drei grüne Lappen von der Bank, gehst zu den Jungs vom Deichbau, hängst dein Gartentor aus, und dann fahren die mit ihrem Mäher hier zweimal drüber. Fertig.“

      Rieder war geschockt. „Dreihundert Euro?“

      „So sind die Preise.“

      „Die sollen hier nicht einen neuen Garten Eden anlegen. Die sollen den Rasen mähen. Dafür kann ich in Berlin …“, begann Rieder zu lamentieren.

      „Du bist aber nicht in Berlin“, unterbrach ihn Malte. „Ich sage nur ‚Insellage‘.“

      Das war das Zauberwort auf Hiddensee. Brauchte die Post vom Festland mehr als eine Woche, gab es keine Internetverbindung oder waren Handwerkerleistungen doppelt so teuer wie auf Rügen – immer gab es nur eine Antwort: Insellage. Hiddensee schien einsam mitten in einem großen, breiten Ozean zu treiben, fern von anderen Gestaden. Dabei war die Insel an der engsten Stelle des Boddens gerade mal ein paar hundert Meter von Rügen entfernt. Die Fähre von Schaprode brauchte bis Vitte eine Dreiviertelstunde. Mit dem Wassertaxi dauerte es je nach Laune des Kapitäns fünfzehn, höchstens zwanzig Minuten.

      Rieder wollte nicht sofort nachgeben. „Dreihundert ist mir zu teuer.“

      „Du kann auch bei einer dieser Hausverwaltungen fragen“, meinte Malte.

      „Stimmt. Gute Idee.“

      „Kommst du aber auch nicht billiger davon und wartest ewig auf einen Termin“, zerstörte Malte sofort die aufkeimende Hoffnung. „Die müssen jetzt alle ihre Buden auf Vordermann bringen. Da stehst du ganz hinten in der Reihe. Vergiss es.“

      Beide versanken wieder in Schweigen. Rieder überlegte, dem Rasenmäher eine zweite Chance zu geben. Da klingelte sein Telefon. Er zog es aus der Hosentasche. Revierleiter Damp. Rieder stutzte kurz. Eigentlich sollte sein Kollege auf einer Beerdigung auf dem Friedhof in Kloster sein. Irgendein Inselpromi wurde dort beigesetzt. Es hatten sich eine Menge wichtiger Menschen von Rügen und aus Stralsund angesagt. Gemunkelt wurde, dass sogar der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern kommen wolle. Der Tote war wohl der größte Unternehmer in der Region gewesen. Rieder hatte es nicht weiter interessiert, denn Damp hatte die Sache gleich an sich gezogen. Rieder drückte auf die Hörertaste. Noch bevor er sich melden konnte, hörte er Damps atemlose Stimme. „Können Sie bitte schnell hierherkommen? Ich weiß nicht, was ich machen soll. Das ist hier völlig vertrackt.“

      Rieder staunte. Seit er wieder auf der Insel war, hatte Damp noch nie so viele Worte an ihn gerichtet. Eigentlich herrschte zwischen Rieder und Damp Funkstille. Rieder musste sich allerdings eingestehen, nicht ganz unschuldig an der Stimmung im Revier zu sein. Es war nicht fair gewesen, Damp nicht über seinen Undercover-Einsatz im Winter auf der Insel zu informieren. Rieder hatte einen Mörder verfolgt, der nicht nur sein, sondern auch Damps Leben zuvor in Gefahr gebracht hatte. Nicht ganz ohne Rieders Schuld.

      „Was ist denn passiert?“, fragte Rieder seinen Kollegen.

      „Ich kann das jetzt nicht erklären“, wisperte Damp ins Telefon. „Ich kann hier nicht laut reden.“

      „Sind Sie noch bei der Beerdigung?“

      „Nein. Ich bin in Gildes Villa. Oben auf dem Schwedenhagen. Kommen Sie dahin.“ Noch bevor Rieder antworten konnte, hatte Damp das Gespräch beendet. Er starrte auf das Display. Dann schaute er Malte an, der ihn neugierig ansah. Malte war als Inselfunk an Informationen jeglicher Art interessiert.

      „Irgendwas muss bei der Beerdigung von diesem …“, Rieder war schon wieder der Name entfallen.