schwarz gerahmte Brille verstärkt. Die Frau war höchstens Mitte Dreißig. Das kurze schwarze Kleid passte eher in eine Bar als auf eine Beerdigung. Ihre schlanken Beine waren bestimmt nicht von der Frühlingssonne gebräunt. Die Füße steckten in hochhackigen schwarzen Pumps. Beide schauten gelangweilt aneinander vorbei. Der Mann musste wahrscheinlich Gildes Sohn sein und die Frau dessen Gattin, wie man es noch in solchen Kreisen nannte, dachte sich Rieder. Er verbeugte sich ein wenig vor der Frau, streckte ihr dann die Hand entgegen und sagte leise, „Herzliches Beileid zum Tod Ihres Schwiegervaters.“
Die Augen der Frau blitzten. Damp stieß ihn in die Seite und zischte ihm ins Ohr: „Das ist die Witwe!“ Rieder stutzte. Seine Hand schwebte immer noch in der Luft. Er zog sie zurück.
„Oh, Entschuldigung“, stammelte er, „ich wusste nicht …“ Hatte ihm Damp nicht erzählt, Gilde sei schon weit über neunzig gewesen?
„Schon gut“, antwortete die Frau angespannt. „Ich bin Martina Gilde, die Ehefrau von Werner Gilde. Und wer sind Sie?“
„Hauptkommissar Rieder.“ Er verzichtete darauf, seinen Dienstausweis zu zeigen. „Mein Kollege Damp hat mich hergebeten.“
Dann wandte er sich an den Mann gegenüber. „Dann sind Sie …“
„Ganz recht, Richard Schlick, der Sohn des Toten“, antwortete der Mann streng. Rieder stutzte wieder. Warum trug er nicht den Nachnamen des Vaters? Der alte Stiefsohn und die junge Stiefmutter. Damp hätte ihn ruhig auf diese Familienverhältnisse vorbereiten können. Offenbar hatte Schlick seine Verwunderung bemerkt. Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und reichte sie Rieder. „Ich bin der Adoptivsohn von Werner Gilde.“ Nach einer Kunstpause setzte er hinzu, „Und der Geschäftsführer der Gildemeister Nahrungsmittel GmbH.“
„Aber nicht mehr lange“, blaffte die junge Witwe.
Schlick gab keine Antwort, sondern schüttelte entnervt den Kopf.
„Mein Kollege hat mich hergebeten, um einen Sachverhalt zu klären …“
Weiter kam Rieder nicht. „Einen Sachverhalt!“, rief die Frau aus. „Einen Sachverhalt! Hör sich das einer an. Dieser Mann“, schrie sie hysterisch und richtete den ausgestreckten Zeigefinger auf ihr Gegenüber, „dieser Mann hat Werner getötet! Ermordet!“
„Schwachsinn“, erwiderte Schlick wütend. „Du hast ihn ins Grab gebracht. Mit deiner Gier!“
„Ich habe ihn gepflegt …“
„Gepflegt? Dass ich nicht lache.“ Er beugte sich vor und saß wie zum Sprung auf der Sofakante. „Gepflegt hast du vielleicht deine Fingernägel. Nichts hast du für ihn getan. Du hast ihm die notwendige medizinische Pflege verweigert, hast ihn verhungern und verdursten lassen. Dafür habe ich Beweise!“
Sie beugte sich ebenfalls vor und giftete zurück: „Die möchte ich sehen.“
„Das wirst du auch.“
„Moment!“, fuhr Rieder mit lauter Stimme dazwischen. Die beiden verstummten und starrten ihn an. „Könnten wir uns vielleicht alle ein wenig zurücknehmen.“ Sohn und Witwe lehnten sich zurück, verschränkten die Arme vor der Brust und starrten sich hasserfüllt an. Rieder sah sich um, holte sich einen Stuhl und setzte sich wie ein Schiedsrichter zwischen die beiden. Damp stellte sich hinter ihn. Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Rieder holte aus der Brusttasche seiner Jacke einen Block und einen Stift. Er klickte die Miene des Kugelschreibers raus.
„Wenn ich meinen Kollegen Damp richtig verstanden habe, haben Sie beide“, Rieder schaute erst die Frau, dann den Mann an, „also, Sie haben beide Zweifel am natürlichen Tod von Werner Gilde. Ist das richtig?“
Martina Gilde und Richard Schlick nickten jeweils kurz.
„Gut.“ Rieder notierte sich etwas. Dann wandte er sich an die Witwe. „Wann ist denn Ihr Mann, Herr Gilde, gestorben?“
„Vor fünf Tagen. Und er ist schuld.“ Sie deutete mit einer heftigen Kopfbewegung auf Richard Schlick. „Er war am Samstagnachmittag bei ihm, und als ich wenig später bei Werner vorbeischaute, atmete er nicht mehr. Er war tot. Er hat ihn umgebracht!“ Sie zog ein Taschentuch aus der Ritze der Polster des Sofas und schnäuzte sich damit laut. Dann schien sie ein paar Tränen in ihren Augen zu trocknen und verwischte ihre Lidschatten.
„Wann genau haben Sie den Toten aufgefunden?“
„Wie gesagt, Samstag. So gegen sieben Uhr. Abends.“
„Wo waren Sie davor?“
„Was hat das mit dem Tod meines Mannes zu tun?“
„Wir müssen die Umstände des Todes Ihres Mannes genau rekonstruieren. Dazu gehört auch, wer sich wann wo aufgehalten hat“, erklärte Rieder betont gelassen. „Also?“
„Ich war auf der Insel unterwegs.“
Schlick lachte auf. „Du hast dich wahrscheinlich mit deinem Lover getroffen, während Werner hier verreckte.“
Rieder hob ein wenig seine rechte Hand. „Herr Schlick. Sie sind noch nicht dran. Vielleicht wäre es besser, wenn wir Sie getrennt voneinander vernehmen.“
„Ich will hören, was die Schl…“, Schlick verstummte, als er den strafenden Blick des Polizisten sah.
„Herr Damp, würden Sie bitte Herrn Schlick …“
Damp setzte seine Mütze auf und wollte schon Schlick bitten, aufzustehen. Da winkte Schlick ab. „Schon gut. Ich sage nichts mehr.“
Rieder wandte sich wieder an die Frau. „Können Sie mir vielleicht genauer sagen, wann Sie das Haus verlassen haben und wo Sie waren?“
Martina Gilde strich ihre Haare hinter das rechte Ohr. Ein Ohrsticker blitzte auf. Rieder hatte zwar keine Ahnung von Schmuck, aber der eingefasste Stein musste teuer gewesen sein. „Ich bin kurz vor zwei hier weg. Der Herr Sohn“, erklärte sie hämisch, „wollte mit der Fähre halb eins von Schaprode nach Kloster kommen. Ob dem so war, kann ich nicht sagen.“
„Und dann?“, hakte Rieder nach.
„Ich war in ein paar Geschäften in Vitte und Kloster. Viel hat ja noch nicht auf. Später war ich dann noch im Hochland spazieren. Ich musste mal raus. Außerdem wollte ich ihm nicht begegnen.“
„Ich war jeden Samstagnachmittag bei meinem Vater“, erklärte Richard Schlick. „Am Samstag fand ich Werner in einem bedauernswerten Zustand. Er hatte nichts zu trinken. Wahrscheinlich wollte sie ihn verdursten lassen …“
Martina Gilde stöhnte auf. „So ein Quatsch. Er konnte sich kaum noch bewegen, und mit seinem Tattrich hätte er jedes Glas umgekippt, oder es wäre ihm aus der Hand gefallen. Glauben Sie ihm nur nicht, was er behauptet, Herr Kommissar. Die Pflegeschwester oder ich haben ihn immer mit allem versorgt, was er brauchte.“
Richard Schlick schüttelte heftig den Kopf, sagte aber nichts.
„Also zurück zum Samstag“, versuchte Rieder die Befragung voranzubringen. „Sie kamen gegen sieben nach Hause und fanden Ihren Mann tot auf.“
„Ja, genau. Er hat ihn erstickt oder vergiftet“, brauste sie erneut auf. „Er will doch nur die Firma an sich raffen.“
„Zu möglichen Motiven kommen wir später. Und was haben Sie dann gemacht? Sie haben doch sicher einen Arzt verständigt, der den Tod bestätigt hat?“
„Ich habe die Pflegerin geholt. Sie hat sich um alles gekümmert.“
„Die Pflegerin? Und warum keinen Arzt?“
„Dass Werner tot war, habe ich selbst gesehen. Ich war so geschockt.“ Sie tupfte mit dem Taschentuch erneut ihre Wangen trocken. „Er war am Vormittag noch so lebendig gewesen.“
„So lebendig!“, mischte sich Schlick jetzt doch ein. „Er war schon halbtot, als ich kam. Ich habe ihm ein Glas Wasser geholt und ihm zu trinken gegeben. Da erwachten seine Lebensgeister wieder etwas. Die Pflegerin