„Ja? – Bist du’s, Spencer? Was ist los?“
„Larry … Bitte, komme sofort zu uns. Larry hat sich ... Mein Gott, er ist tot!“
Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, und starrte auf den leblosen Körper. Erst als Roxana klopfte, rührte er sich von der Stelle und öffnete die Tür.
„Spencer! Nein, was redest du da am Telefon? Larry kann nicht tot sein, nicht jetzt in der Nacht, unvermittelt. Das passt nicht in unsere physikalischen Erwartungen.“
„Hattest du solche Erwartungen?“ Es klang leicht ironisch. „Die Physik kannst du jetzt aber vergessen. Er hat eine Pistole genommen.“
Roxana stand schon bei Larry. Sie wollte sich zu ihm hinabbeugen. Spencer riss sie zurück. „Hast du deine physikalischen Erwartungen schon wieder vergessen? Du wirst nicht an ihn herangehen, Roxana! Dieser Körper kann schlimmer und gefährlicher sein als jeder andere Tote.“
„Schon gut, Spencer! Ich werde ihn nicht anfassen. – Armer Larry! Vielleicht war es richtig, dass er starb. Er hatte eine ganz klare Vorstellung von allem. Von dem, was er wollte, von dem, was er konnte. Es war ein Dilemma für ihn. Vielleicht hat er recht gehabt.“
„Dann müsste jetzt alles gut sein.“
„Eben. Das meine ich. Nichts anderes.“
Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich über die Augen. Sie weinte. Trotzdem hörte sie nicht auf zu reden.
„... Larry fühlte sich überflüssig. Fühlte sich im Wege. Für uns alle müsste sein Tod ein Segen sein. Gib dir Mühe, Spence, es so zu sehen! Du hast deinen Bruder vor fünf Wochen im All begraben und deiner Mutter die Nachricht gebracht. Die Nachricht von seinem Tod. Alles, was danach geschah, war nur ein Traum. Ist es so?“
Spencer war starr.
„Ich weiß nicht ... Dr. Porten. Wir brauchen wohl einen Arzt. Ich werde telefonieren.“
Dr. Porten kam und bestätigte Larrys Tod. Die Kugel hatte seinen Schädel zertrümmert, obgleich es nur ein Streifschuss gewesen war. Das Projektil fand sich später in der Wand wieder.
Spencer benachrichtigte Staatssekretär Winslow und erhielt die Anweisung, nichts weiter zu unternehmen. Eine halbe Stunde später waren alle maßgeblichen Leute aus den Betten und in Spencers Apartment anwesend.
Winslow versuchte anfangs, einen Mord aus den Gegebenheiten zu konstruieren. Doch sowohl die Untersuchungen der Kriminalisten als auch Roxanas Aussage von Larrys Selbstmordabsichten beleuchteten ganz einwandfrei den Tatbestand.
Der Tote wurde fortgeschafft. Die Beamten gingen wieder. Winslow blieb noch. Er stritt sich eine Weile mit Captain Manning.
Dann wurde Professor Goldstein gemeldet.
Bevor Goldstein ausreichend über die letzten Ereignisse orientiert war, überfiel ihn Winslow.
„Sie müssen die Zusammenstellung Ihres Teams beschleunigen, Professor. Wir können nicht mal eine Woche mehr warten. Die Leute sterben uns ja unter den Händen weg.“
Goldstein drehte sich um sich selbst und fragte: „Bekomme ich eine vernünftige Information von Ihnen, Winslow?“
„Natürlich.“
„Schon gut! Nach dem, was ich zwischen Tür und Angel hörte, ist Larry gestorben …‟
„Er hat sich erschossen!‟
Goldstein drückte Spencer stumm die Hand und sah ihm eine Weile tief in die Augen. Dann sagte er schleppend: „Ich weiß nicht, mit welchen Worten ich Ihnen kondolieren soll. Mit diesem Tod habe ich so wenig Erfahrung wie jeder hier. Ich weiß nicht einmal, ob ich nicht sagen soll: Es war besser so, Spencer. Denn ein Mensch mit einem zweiten Leben gehört niemals exakt zu uns.“
„Schon gut, Herr Professor. Soweit waren wir uns wohl alle einig; Larry schien eine Kettenreaktion in Gang zu bringen. Denn warum starb Doc Walter? Warum starb Romero? Vielleicht hört das jetzt auf. Ich meine, wo Larry tot ist.“
„Ich hoffe es mit Ihnen, Spencer“, sagte Goldstein nachdenklich. Darüber hinaus gab er dem Gespräch keine neuen Impulse und erreichte dadurch, dass Winslow schließlich das Apartment verließ. Auch die anderen Besatzungsmitglieder suchten ihre Zimmer auf, so dass nur noch Roxana Alvarado und der Professor bei Spencer Goodwyn zurückblieben.
Goldstein öffnete ein größeres Paket, das er bereits die ganze Zeit wie ein überflüssiges Etwas in den Händen gehalten hatte.
„Ihr neues Radio, Spencer. Ich habe es in einem Geschäft in der F-Street gekauft. Es war gar nicht teuer.“
„Dann werde ich es Ihnen ja noch ersetzen können. Was hat es gekostet?“
„Lassen Sie nur! Ich erinnere mich nicht mehr. Außerdem habe ich gleich zwei Stück erworben. Das andere, um es auseinandernehmen zu können. Alles, was ich von Ihnen verlange, sind die Reste des defekten Geräts.“
„Ich hatte Ihnen eine Probe mitgegeben, Professor.“
„Staub, damit komme ich nicht weiter. Wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten alles andere in den Müllschlucker ...“
„Noch nicht. Ich bin ein Pedant. Ich habe alles säuberlich in einen Karton getan.“
Spencer holte das Päckchen aus dem Kleiderschrank.
„Sie hören von mir“, sagte Goldstein. „Und zwar so schnell wie möglich.“ Dann ging er.
Roxana und Spencer blieben allein zurück. Wie ein Liebespaar. Ja, sie liebten sich wirklich. Aber sie waren dennoch kein Liebespaar.
Er hielt ihre Hand, als sie zur Tür schaute. „Bleibe noch etwas! Keiner von uns sollte jetzt allein sein. Ich werde uns einen Kaffee machen.“
Sie steckte zwei Zigaretten an und reichte ihm eine. Er schaltete das Radio ein, und Quadromusik floss aus den vier Wänden. Nach einer halben Minute war der Kaffee fertig.
Der Summer des Videofons schreckte sie auf. Professor Goldstein war am Apparat.
„Ich will es kurz machen, Spencer. Das zerstörte Gerät hat beinahe vierzig Prozent seiner Masse verloren. Das heißt, der Rest seiner Materie hätte sich in Energie umwandeln müssen.“
„Aber das ist doch absurd, Professor! Bei einem solchen Prozess wäre ganz Washington ausradiert worden. Aber nicht mal das Tischtuch wurde in Mitleidenschaft gezogen.“
„Natürlich. Wir alle wissen, dass es zu keiner Nuklearreaktion gekommen ist. Und trotzdem, die Materie fehlt, ob als solche oder als Energie. In unserem Kontinuum ist sie jedenfalls nicht mehr.“
„Und wo denn dann, darf ich Sie wohl nicht fragen, Professor?“
„Nein, das dürfen Sie nicht, Spencer. Gute Nacht!“
Der Bildschirm erlosch. Allein die Musik war noch da. Und das Rätsel. Und das Rätsel war stärker als die Musik.
„Es ist chaotisch“, stöhnte Spencer. „Das scheint doch alles keiner Regel mehr zu unterliegen.“
„Unser Beobachtungsmaterial ist völlig lückenhaft, aber es ist mehr als nichts. Ich möchte behaupten, der Widerspruch – oder sagen wir getrost, das logisch Unmögliche – hat sich in unser Leben eingeschlichen, aber es hat eine so geringe Kapazität, dass es sich sprunghaft wie eine Mutation verhält. Was gestern dem Radio passierte, kann morgen deinem Chronometer zustoßen und so weiter. Ich möchte sogar ...“
Das Videofon unterbrach sie. Spencer ging hin und meldete sich. Winslows Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Sie hörten beide lange zu, ohne den Staatssekretär zu unterbrechen.
„Selbstverständlich, Sir, ich werde es dem Captain ausrichten. Ich danke Ihnen, dass Sie es mir zuerst gesagt haben.“
Hilflosigkeit stand in seinem