Wolke von ihnen, über hundert Stachel stark, ließ sich wie ein Netz auf die Köpfe der eingepferchten Menschen fallen.
Ich hörte Granddaddy Jaybird »Scheißdreck!« brüllen, als er gestochen wurde. Nana Alice gab einen hohen, arienhaften Ton von sich. Die Mutter der Dämonin heulte auf, als Wespen ihren Nacken angriffen. Der Vater schlug mit seinen dürren Armen auf die Luft ein. Die Dämonin fing an zu lachen. Hinter mir krächzten die Branlins vor Schmerzen, hatten ihren Erbsenschießer vergessen. In der ganzen Kirche wurde geschrien und gebrüllt und Menschen in Sonntagsanzügen und -kleidern sprangen auf und kämpften mit der Luft, als hätten sie es mit den Teufeln des Reichs der Unsichtbaren zu tun. Reverend Lovoy tanzte einen Krampf der Qual, schüttelte seine mehrmals gestochenen Hände, als wollte er sie von den Handgelenken schleudern. Alle Chormitglieder waren auf den Beinen und sangen, diesmal allerdings keine Hymnen, sondern Schmerzensschreie, als die Wespen Wangen, Kinns und Nasen stachen. Die Luft war voller dunkel wirbelnder Ströme, die den Menschen ins Gesicht flogen und sich wie Dornenkronen um ihre Köpfe rankten. »Nach draußen! Raus!«, schrie jemand. »Lauft!«, brüllte ein anderer hinter mir. Die Glass-Schwestern waren die Ersten. Die Haare voller Wespen rannten sie auf den Ausgang zu. Plötzlich waren alle auf den Beinen, und was zehn Sekunden zuvor noch friedliche Schafe Gottes gewesen waren, verwandelte sich jetzt in eine panisch flüchtende Herde.
Das ist der Effekt, den Wespen haben.
»Mein verdammtes Bein steckt fest!«, schrie Grand Austin.
»Jay! Hilf ihm!«, kreischte Grandmomma Sarah, aber Granddaddy Jaybird kämpfte sich schon seinen Weg in den von um sich schlagenden Menschen verstopften Gang hinaus.
Dad zog mich auf die Beine. Neben meinem linken Ohr hörte ich ein bösartiges Summen und im nächsten Augenblick wurde ich an den Rand meines Ohrs gestochen; ein so schmerzhafter Stich, dass mir die Tränen in die Augen sprangen. »Au!«, hörte ich mich schreien, obwohl es auf das kleine Au in all dem Gekreische und Gebrüll auch nicht mehr ankam. Aber zwei Wespen hörten mich. Eine traf mich in die rechte Schulter, stach mich durch meine Anzugjacke und mein Hemd hindurch, und die andere flog wie eine afrikanische Lanze auf mein Gesicht zu und punktierte meine Oberlippe. Ich gab einen verzerrten Schrei der Art von mir – auaohauauau –, der Bände über die Intensität des Schmerzes spricht, aber buchstäblich keinen Sinn ergibt. Auch ich kämpfte jetzt gegen die wildgewordene Luft. Irgendjemand kreischte vor Lachen, und als ich mit meinen nassen Augen zur Dämonin hinübersah, entdeckte ich, dass sie grinsend auf der Bank herumhüpfte, das Gesicht mit roten Schwellungen bedeckt.
»Alle nach draußen!«, brüllte Dr. Lezander. Zuckend und stechend klammerten sich drei Wespen an seinen kahlen Kopf. Seine grauhaarige, ernste Frau stand hinter ihm, ihren Osterhut mit den blauen Blüten schief auf dem Kopf und die Schultern voller krabbelnder Wespen. Sie packte ihre Bibel mit der einen Hand, ihre Handtasche mit der anderen, und schlug kraftvoll nach den angreifenden Insektenschwärmen, die Zähne vor entrüsteter Wut zusammengebissen.
Ohne sich um ihre Regenmäntel und Schirme zu kümmern, kämpften die Menschen sich in ihrem Bemühen, vor den Qualen in die Sintflut zu flüchten, durch die Tür. Die Gottesdienstbesucher waren beim Betreten der Kirche ein Muster höflicher christlicher Zivilisation gewesen. Beim Verlassen waren sie durch und durch Barbaren. Frauen und Kinder fielen auf dem matschigen Vorplatz zu Boden, Männer stolperten über sie und landeten mit dem Gesicht zuerst in regengesprenkelten Pfützen. Osterhüte flogen von den Köpfen und rollten wie nasse Räder davon, bis die Sturzbäche sie flach zu Boden schlugen.
Ich half Dad, Grand Austins verkantetes Holzbein aus der Bank vor ihm zu befreien. Wespen flogen meinem Vater gegen die Hände, und jedes Mal, wenn eine zustach, hörte ich ihn scharf den Atem einziehen. Mom, Nana Alice und Grandmomma Sarah versuchten in den Gang vorzustoßen, wo Menschen stolperten, hinfielen und andere mit sich zogen. Reverend Lovoy versuchte mit seinen würstchendick geschwollenen Fingern die Gesichter seiner Kinder zu beschützen, die sich zwischen ihn und die schluchzende Esther gedrängt hatten. Die Chormitglieder hatten sich zerstreut und manche von ihnen hatten ihre Gewänder zurückgelassen. Dad und ich schafften es, Grand Austin in den Gang zu bugsieren. Wespen attackierten seinen Nacken, und seine Wangen waren nass. Dad wischte die Wespen weg, aber dafür umzingelten uns andere wie rachsüchtige Komantschen einen Planwagen. Kinder weinten, Frauen kreischten, und die Wespen griffen immer noch an und stachen. »Raus! Raus!«, rief Dr. Lezander an der Tür und schubste die dort zusammengedrängten Menschen ins Freie. Seine Frau Veronica, stämmig wie ein Bär, packte einen stolpernden Mann und warf ihn förmlich hinaus.
Wir hatten es fast geschafft. Grand Austin kam ins Taumeln, aber Dad hielt ihn auf den Beinen. Meine Mutter pflückte Grandmomma Sarah Wespen aus den Haaren wie Nesselblätter. Zwei heiße Nadeln stachen mich in den Nacken, kurz nacheinander, und es tat weh, als würde mein Kopf explodieren. Dann griff Dad nach meinem Arm und zog und Regen fiel auf meinen Kopf. Wir schafften es alle durch die Tür, aber Dad rutschte in einer Pfütze aus und fiel im Matsch auf die Knie. Ich fasste mir an den Nacken und rannte vor Schmerzen heulend im Kreis, und bald glitschten auch meine Füße unter mir weg und mein Osteranzug machte nähere Bekanntschaft mit Zephyrs Matsch.
Reverend Lovoy kam als Letzter aus der Kirche. Er knallte die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, als wollte er das Böse drinnen festhalten.
Donner grollte und krachte. Der Regen hämmerte vom Himmel, schlug uns alle bewusstlos. Manche Kirchenbesucher saßen im Matsch, andere wanderten wie betäubt herum, und einige standen einfach da und ließen sich vom Regen begießen, um ihre heißen Schmerzen zu kühlen.
Mir tat auch vieles weh. Und in meinem Schmerzenswahn stellte ich mir vor, dass die Wespen hinter der geschlossenen Kirchentür feierten. Immerhin war es auch für sie Ostern. Sie waren von den im Winter Gestorbenen auferstanden, der Jahreszeit, die die Nester austrocknet und die schlafenden Larven zu Mumien macht. Sie hatten ihren eigenen Stein weggerollt und waren neugeboren in einen neuen Frühling ausgeschwärmt, und sie hatten uns eine unter die Haut gehende Predigt über die Zähigkeit des Lebens geliefert, die uns wesentlich länger im Gedächtnis bleiben würde als alles, was Reverend Lovoy je hätte sagen können. Jeder von uns hatte die Dornen und Nägel am eigenen Leib gespürt.
Jemand setzte sich neben mich. Ich spürte, wie mir kühler Matsch auf die Stiche im Nacken gedrückt wurde. Ich sah Granddaddy Jaybirds regennasses Gesicht. Seine Haare standen zu Berge, als hätte er in eine Steckdose gefasst.
»Alles in Ordnung mit dir, Junge?«, fragte er.
Er hatte allen von uns den Rücken zugedreht und seine eigene Haut gerettet. Er war ein Feigling und ein Judas gewesen und seine milde Schlammgabe bedeutete mir nichts.
Ich gab ihm keine Antwort, sah einfach durch ihn hindurch. »Gleich geht’s dir wieder gut«, sagte er, stand auf und ging, um nach Grandmomma Sarah zu sehen, die sich an Mom und Nana Alice drängte.
Für mich sah er wie eine halb ersoffene, ausgemergelte Ratte aus.
Wäre ich so groß wie mein Vater gewesen, hätte ich ihm vielleicht einen Faustschlag verpasst. Ich konnte nicht anders, als mich für ihn zu schämen, tief und stechend zu schämen. Und ich konnte nicht anders als mich zu fragen, ob ein Stück von Granddaddy Jaybirds Feigheit nicht auch in mir steckte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass ich das schon sehr bald herausfinden sollte.
Irgendwo auf der anderen Seite von Zephyr läuteten die Glocken einer weiteren Kirche. Das Läuten drang durch den Regen zu uns wie ein Traum. Ich stand auf. Meine Lippen, Schultern und Nacken pulsierten. Schmerzen lehren einen Demut; selbst die Branlins greinten wie Babys. Ich habe noch nie jemanden großspurig daherkommen sehen, nachdem die Haut gerade mit Wespenstacheln gespickt wurde.
Das Ostergeläut hallte über die wässrige Stadt.
Die Predigt war zu Ende.
Halleluja.
Der Tod eines Fahrrads
Der Regen hörte nicht auf.
Graue Wolken hingen über Zephyr und aus ihren geschwollenen Bäuchen strömte die Sintflut. Wenn