Ich gehe nicht spazieren, um Bekanntschaften zu suchen. Ich bin am liebsten allein.«
»Ich auch.«
»Dann haben wir ja schon etwas gemeinsam. Ich verbringe hier auch nicht nur einen Urlaub. Ich lebe die meiste Zeit des Jahres hier.«
»Dann sind Sie hier zu Hause«, sagte Antonia sinnend.
»Nicht ganz, aber ich kann hier ungestört arbeiten.«
Erst ein paar Minuten sprachen sie miteinander, und sie wußte nun schon etwas Wichtiges über ihn. Er war gern allein und konnte hier ungestört arbeiten. Woran er arbeitete, wollte sie nicht fragen. Sie schätzte ihn als Intellektuellen ein. Sein Gesicht und seine Sprache verrieten es ihr.
»Sie sind Deutsche«, stellte er fest, »aber Sie sprechen erstaunlich gut portugiesisch, das ist selten.«
Er hatte sie schon portugiesisch sprechen gehört, das gab ihr wieder Grund zum Nachdenken. Sie machte sich Mut, auch etwas zu sagen, was ihr weiterhelfen könnte, und sie tat es.
»Sie waren heute morgen auf der Terrasse des Hotels, in dem ich wohne«, begann sie stockend.
»Und Sie haben das peinliche Zwischenspiel mit Ramona Tavares mitbekommen. Sie ist aufdringlich, man wird sie nicht los. Wenn sie jedes Jahr herkommt, werde ich mir wohl ein anderes Domizil suchen.«
»Müssen Sie denn gleich ganz die Flucht ergreifen?« fragte Antonia. »Genügt es nicht, wenn Sie sie stehen lassen, wie heute morgen? Es müßte ihr doch peinlich sein.«
»Sie kennen diese Frau nicht, sie ist nervtötend. Ich kann Sie nur warnen, sich auf ein Gespräch mit ihr einzulassen. Wie eine Klette ist sie. Jeder geht ihr gern aus dem Weg, aber keiner wird sie los.«
»Kennen Sie sie schon länger?«
»Leider bereits sechs Jahre. Ramona Tavares war einmal ein Star, und ich hatte die Aufgabe, sie zu interviewen. Seither werde ich sie nicht los, wo immer sie mich erwischt.«
»Sie sind Journalist?«
»Nur noch freier Mitarbeiter und Autor.«
»Das ist interessant.«
»Jetzt würde ich aber gern mehr von Ihnen erfahren«, wechselte er das Thema.
»Ich bin auch in einem Verlag tätig als Disponentin.«
»Wo?«
»In München.«
Das wußte er bereits, hätte es aber nicht zugeben wollen. Er war froh, daß er sie so schnell kennenlernte und wollte jeden Tag nützen, den sie hier war und den er mit ihr verbringen konnte.
»Es wäre schön, wenn Sie mir öfter Zeit schenken würden«, sagte er bittend. »Ich kenne mich hier überall aus und könnte Ihnen die schönste Plätze zeigen.«
»Und Ihre Arbeit?«
»Die kann warten. Es würde mir viel bedeuten, mit Ihnen zusammenzusein.«
Ein Kribbeln rann durch ihren Körper, als sein Blick von ihr Besitz ergriff. Sie konnte ihm nicht ausweichen.
»Dann sehen wir uns morgen?« sagte er. »Wir könnten nach Silves fahren.«
»Es interessiert mich schon, Land und Leute kennenzulernen«, erwiderte Antonia, »aber morgens werde ich erst schwimmen.«
Sie sah, daß er lächelte. »Und beim Frühstück werde ich Sie auch nicht stören, und werde es vermeiden, ins Hotel zu kommen, da Ramona auch dort wohnt. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie um zehn Uhr abhole?«
»Aber man könnte uns zusammen sehen«, sagte Antonia zögernd.
»Macht es Ihnen etwas aus?«
»Mir nicht.«
»Dann ist es doch okay.«
Er begleitete sie zurück zum Hotel, und da merkte sie erst, wie weit sie schon gegangen war.
Sie reichte ihm die Hand, die er leicht mit seinen Lippen berührte. Es war das erste Mal, daß sie einen Handkuß bekam. Heißt strömte das Blut durch ihre Adern.
»Bis morgen, Antonia. Schlafen Sie gut«, sagte er.
Er wartete, bis sie im Hotel verschwunden war, dann entfernte er sich langsam. Er blieb nur für den Bruchteil einer Minute allein, dann war Ramona bei ihm und griff nach seinem Arm.
»Ich kann es nicht glauben, wen hast du denn da aufgerissen?« fragte sie mit einem frivolen Lachen.
Er sah sie mit einem so verächtlichen Blick an, daß ihr das Lachen verging.
»Wann verschonst du mich endlich?« sagte er drohend.
Sie kniff die Augen zusammen. »Wenn ich weiß, warum Olivia gestorben ist«, stieß sie heiser hervor.
»Das wüßte ich auch gern, aber ich fürchte, daß es niemand sagen kann, wenn nicht einmal du es weißt. Aber manchmal denke ich, daß du es ganz genau weißt und höllische Angst hast, daß ich es doch erfahren könnte. Du tust dir selbst den größten Gefallen, wenn du verschwindest.«
Er ging schnell weiter, und nun folgte sie ihm nicht. Ein teuflischer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, als sie zum Hotel ging. In der Halle saßen Ines Potter und ein paar Männer, die anscheinend auf Ramona warteten. Aber sie winkte ihnen nur zu. »Ich bin müde«, sagte sie rauh.
»Was ist denn plötzlich in sie gefahren?« murmelte Ines. »Eben war sie doch noch gut drauf.«
»Sie wird alt«, sagte Pablo zynisch, »der Lack blättert.«
Ines kicherte. Solcher Spott gefiel ihr, solange sie nicht selbst die Zielscheibe war.
*
Ramona hatte genau gesehen, mit wem Niklas gesprochen hatte. Ihr fiel es nicht schwer, den Namen und die Zimmernummer der Fremden zu erfahren. Sie kannte sich aus im Hotel und genierte sich nicht, ins Gästebuch zu schauen.
Ramona wußte genau, daß sie bei Niklas nicht landen konnte. Das machte sie nicht erst jetzt wütend, aber sie wollte es ihm versalzen, eine neue Beziehung zu knüpfen und wußte schon, wie sie das anfangen würde.
Zu den Frühaufsteherinnen gehörte sie nun mal nicht, und zudem konnte sie lange nicht einschlafen, weil sie wütend war. Sie stand noch mal auf und trank einen Grappa, der für drei angemessen gewesen wäre. Dann konnte sie endlich schlafen.
Antonia war wieder früh auf den Beinen. Die Morgensonne schien so verlockend in ihr Zimmer, daß sie gleich aufstehen mußte. Schon war sie auf dem Weg zum Strand. Natürlich sah sie sich um, aber Niklas war nicht zu sehen. Sie schwamm hinaus und genoß die Stille. Als sie zurück ans Ufer kam, war immer noch niemand zu sehen. An diesem Morgen schienen alle länger zu schlafen. Sie ließ sich Zeit mit der Morgentoilette und kleidete sich schon für den Ausflug an, wählte helle Jeans und das besonders hübsche Shirt, das sie in der Theatinerstraße erstanden hatte. Es stand ihr besonders gut, und an diesem Tag wollte sie gut aussehen. Ihr Haar fiel locker und glänzend auf die Schultern. Sie bändigte die Fülle mit einem Stirnband.
Auf der Terrasse war sie allein und der Kellner Sergio gestattete sich schüchtern die Frage, ob sie immer so früh aufstünde.
»Ich bin es gewohnt, und es gefällt mir, wenn ich nicht gestört werde«, erwiderte sie freundlich.
An diesem Morgen aß sie etwas mehr, da sie wohl länger unterwegs sein würden. Sie warf auch einen Blick in die Zeitungen, auch eine englische war dabei. Sergio sagte, daß sie künftig auch eine deutsche Zeitung bekäme.
Niklas kam sehr pünktlich. Sie ahnten nicht, daß Ramona sie von ihrem Fenster im zweiten Stock beobachtete. Es war allerdings reiner Zufall, daß sie gerade hinausschaute, denn sie war nur aufgestanden, weil sie etwas trinken wollte. Zähneknirschend begab sie sich nun aber ins Bad. Vorerst waren ihre Pläne durchkreuzt worden, denn sie hatte darauf gesetzt, Antonia gleich vormittags zu treffen. Sie hatte sich auch schon ausgedacht, was sie ihr erzählen wollte.
Wer ist