hohen Saal der Moschee. Als sie explodierte, bebte die Erde. Dass die Marines den Bau nach der Detonation betraten, entsprach der üblichen Vorgehensweise im Feld, und der Reporter schloss sich mit seinem Team gleich hinter dem letzten Mann an.
Im ersten Raum rechts befanden sich eine Menge Munition und kleinkalibrige Waffen, jener auf der linken Seite war bis auf ein paar schmutzige Matratzen leer. Die Männer gingen weiter bis in den großen Saal, in dem ein paar Iraker an einer Mauer standen. Man riet ihnen lautstark dazu, sich nicht zu bewegen. Alle waren verwundet, aber anscheinend nicht lebensgefährlich.
»Keinen Mucks, und rührt euch verflucht noch mal nicht vom Fleck!«, drohte Gordon ihnen. Er verschaffte sich rasch einen Überblick der Lage vor Ort.
Im Hintergrund hörte er den Journalisten vor laufender Kamera sprechen: »Ich befinde mich hier gemeinsam mit den Marines in einer Moschee in Falludscha. Es war ein verbissener Kampf und die Iraker haben vehement Widerstand geleistet. Letztendlich können sie jedoch nichts gegen die überlegene Feuerkraft der US Army ausrichten. Diese Einheimischen hier schafften es, den Angriff schwer verletzt zu überleben, und bitten um Hilfe …«
»Bitten um Hilfe? Die haben nicht ein Wort von sich gegeben!«, blaffte ein Soldat den Reporter an.
Gordon hielt die etwas mehr als eine Handvoll Iraker mit seinem Gewehr in Schach, das er fest gegen seine Schulter stemmte. Am Rande seines Gesichtskreises nahm er wahr, wie sich derjenige am Ende der Reihe nach etwas am Boden ausstreckte.
Ohne Zögern drehte sich Gordon zur Seite und gab einen einzigen Schuss ab, der den Iraker in den Kopf traf. Der Knall schallte laut durch den großen Saal.
»Hast du das im Kasten … hast du das im Kasten?!«, stotterte der Sprecher vor seinem Kameramann.
»Ja, hab ich«, versicherte dieser und richtete sein Gerät auf den Sergeant.
»Dieser Marinesoldat hat soeben einen unbewaffneten, verletzten Einheimischen erschossen«, schilderte der Reporter mit Blick ins Objektiv, indem er mit einem Finger auf Gordon zeigte.
17. März 2014
Andere Dinge mögen uns verändern, doch aller Anfang und Ende ist die Familie. – Anthony Brandt
San Diego, Kalifornien
»Rosa oder Rot?«, fragte Gordons fünfjährige Tochter, wobei sie ihm zwei unterschiedliche Fläschchen Nagellack vorhielt.
»Ich mag Rot, aber Rosa ist mir lieber«, antwortete er und sah Haley dabei zu, wie sie die Behälter schüttelte.
»Krieg ich etwas zum Naschen, wenn wir fertig sind, Daddy?«, bohrte die Kleine weiter, während sie Gordon sorgfältig die Fingernägel lackierte.
»Ja, sicher. Was schwebt dir vor?«, entgegnete er mit sanfter Stimme.
»Was Süßes. Ich möchte Fruchtgummi und dann Octanauten schauen!«, quietschte Haley und blickte zu ihm auf. Sie strahlte ihn an und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
»Also gut, du bekommst einen Streifen Fruchtgummi«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln.
Das Kind war klein für sein Alter und sah aus, wie man sich ein Mädchen vorstellte: lange blonde Locken und äußerst zarte Gesichtszüge. Haley benahm sich auch dementsprechend und liebte alles, was mit Prinzessinnen zu tun hatte.
Gordon ließ nichts über seine Familie kommen und hielt seine beiden Kinder für einen Segen. Hunter, sein siebenjähriger Sohn, und Haley waren sein ganzer Stolz und Sonnenschein. Sein Leben drehte sich gänzlich um sie und seine Ehefrau Samantha.
Die beiden hatten einander ungefähr ein Jahr, nachdem er die Marines unehrenhaft verlassen musste, kennengelernt. Ein weiteres Jahr später heirateten sie, und im darauffolgenden kam Hunter zur Welt.
Er schätzte sich glücklich und sicher, lebte jeden Tag im Hier und Jetzt. An seine Zeit im Korps dachte er nicht allzu oft zurück, und falls doch, so kam es ihm vor, als gehöre sie nicht zu seiner Vita, sondern der eines anderen.
Obwohl sein Kriegsdienst meistens außen vor blieb, schlugen sich seine beiden Stationierungen im Osten im Alltag nieder. Die Erfahrung verschob seine Prioritäten und änderte seine Sichtweise. Er hörte auf, ein Idealist zu sein, der davon überzeugt war, jedermann helfen zu müssen, und handelte eher pragmatisch, wobei er vor allem für seine Familie sorgen wollte. Die Zeit der Aufopferung für jene, die er nun als Ahnungslose bezeichnete, war vorbei.
»Kommst du nach deinem Termin im Schönheitssalon raus zu mir?«, bat Samantha ihren Mann im Vorbeigehen an der Tür auf ihrem Weg in die Küche.
Gordon blickte ihr über seine Schulter nach. »Okay, aber bist du sicher, dass du nicht auch ein bisschen Hand- und Fußpflege vertragen kannst?«
Samantha antwortete bereits aus der Küche: »Später vielleicht. Haley braucht ein wenig Ruhe, und uns beiden steht etwas Erwachsenenzeit zu.«
»Erwachsenenzeit?«, rief Gordon zurück. »Meinst du das so, wie ich es auffasse, oder im Sinn von Zeit, um etwas zu diskutieren, was meine volle Aufmerksamkeit erfordert?« Dabei beobachtete er, wie Haley die letzten Pinselstriche seiner Maniküre machte.
»Das erfährst du dann«, kam die Antwort aus der Küche.
»Du hast es wirklich faustdick hinter den Ohren«, gab er zurück.
»Was bedeutet das, faustdick hinter den Ohren?«, fragte Haley.
»Also Mäuschen, das ist, wenn …«
»Haley, das bedeutet, dass jemand ganz toll Witze machen kann«, unterbrach Samantha, die auf einmal im Türrahmen des Kinderzimmers stand.
Gordon verrenkte sich den Hals. »Meine Güte, du schleichst aber herum …« Er zwinkerte ihr zu, wobei er ihren leicht gereizten Blick zur Kenntnis nahm.
Samantha stand da und betrachtete ihren Mann. Sie liebte ihn über alle Maßen. Er war ein guter Vater für ihre beiden Kinder. Viele Kerle, die es über sich ergehen ließen, dass man ihre Fingernägel rosa lackierte, fielen ihr nicht ein. Sie war stolz auf sein Interesse an seinen Kindern und sah mit Freude, wie wichtig sie für ihn waren.
Ihre Bewunderung für Gordon war übergroß. Er entsprach ihrem Idealbild von einem Mann: groß und in seiner rauen Art attraktiv, nicht zuletzt wegen des kantigen Kinns, seiner hellen Augen und breiten Schultern. Neben ihm wirkte Haley so klein, so winzig im Vergleich zu seiner kräftigen, muskulösen Statur. Sie hatte sofort bei ihrer ersten Begegnung gewusst, dass er sie stets behüten würde. Bei ihm fühlte sie sich sicher.
»Fertig, Daddy! Kriege ich jetzt meine Belohnung?«, flötete Haley, als sie den Nagellack zuschraubte.
»Natürlich«, bestätigte er, bevor er sich anschickte, seine Finger trocken zu pusten. Als er jedoch bemerkte, dass Samantha ihn immer noch anstarrte, hielt er inne. Er schaute zu ihr auf und fragte scherzhaft: »Betont das Rosa meine blauen Augen?«
Haley sprang auf und lief aus dem Zimmer über den Flur zur Küche. Gordon schlenderte hinterher, jedoch achtsam aufgrund des feuchten Lacks auf seinen Nägeln.
»Sag schon, was ist los?«, drängte er seine Frau, bevor er sich nach vorne beugte, um ihr einen Kuss auf den Mund zu geben.
»Lass mich Haley für ihr Schläfchen fertig machen, dann treffen wir uns auf der Terrasse – sagen wir, in fünf Minuten?« Damit erwiderte sie seinen Kuss.
Gordon hatte sich auf der Terrasse niedergelassen und wartete auf Samantha. Er lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Gartenkaffeetisch und ließ sich das Gesicht von der nachmittäglichen Sonne wärmen. Wenngleich seine Beziehung zu Südkalifornien generell von einer Art Hassliebe geprägt war, hielt er doch große Stücke aufs Wetter. Er bevorzugte Kleinstädte, und als solche konnte man San Diego wahrlich nicht bezeichnen. Alles in allem aber ging es ihnen gut. Er genoss