G. Michael Hopf

THE END - DIE NEUE WELT


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will wirklich dort unterkommen. In ein paar Wochen werde ich es versuchen. Habe dafür trainiert, also mal sehen.«

      »Solange du weißt, was du tust«, sagte Gordon und senkte den Blick auf die Flasche in seiner Hand.

      »Was soll das heißen?«, hakte sein Bruder mit hochgezogener Augenbraue nach.

      »Nichts weiter.«

      »Hör zu, lass deinen Groll gegen das Korps nicht an mir aus«, stellte Sebastian leicht pikiert klar.

      »Ich hege keinen Groll, sondern möchte mich nur vergewissern, dass du die richtige Entscheidung triffst. Davon konnte meiner Meinung nach nämlich keine Rede sein, als du dich gleich für sechs Jahre verpflichtet hast«, erwiderte Gordon. »Vier hätten auch genügt, um dann zu verlängern, falls es nach deinem Geschmack gewesen wäre.«

      Sebastian starrte den Bruder ungehalten und enttäuscht an. So sehr er ihn wertschätzte, war ihm aufs Äußerste zuwider, wenn sich Gordon wie sein Erziehungsberechtigter aufführte. Er hatte eigentlich geglaubt, sein Bruder werde ihm vor dem Hintergrund zweier Auslandsaufenthalte – einmal im Irak und später in Afghanistan – endlich Hochachtung entgegenbringen. Dass dem nicht so war, lag an zwei Faktoren, wie er wusste: Erstens waren die Eltern der beiden vor wenigen Jahren gestorben, weshalb es sich Gordon zur Aufgabe gemacht hatte, den Vater für den Jüngeren zu spielen. Das andere Problem bestand in Gordons Wut auf das Marinekorps. Er fühlte sich nach jenem Vorfall in Falludscha vor zehn Jahren verraten.

      »Gordo, ich weiß, was ich tue. Die Kundschafter-Scharfschützen sind eine straff organisierte Einheit, professionell und motiviert. Ich wünschte, du würdest aufhören, mein Tun in Zweifel zu ziehen. Sicher, du hast mich gebeten, nicht zur Marine zu gehen, doch ich ließ mich trotzdem rekrutieren, und dann warst du dagegen, dass ich sechs Jahre lang diene, aber auch das war mir egal. Ich musste mir Klarheit darüber verschaffen, welchen Job ich wollte. Erst hast du dich dagegen gesträubt, dass ich Panzerabwehrschütze wurde, und jetzt hinterfragst du diese Stellung. Ich bin erwachsen und kann selbst entscheiden.« Sebastian richtete sich auf und suchte den Blick seines Bruders.

      »Ist ja schon gut«, beschwichtigte Gordon, fuchtelte mit dem linken Arm und verdrehte die Augen.

      »Ich muss mal für kleine Rekruten.« Sebastian stellte seine Flasche ab und ging ins Haus.

      Gordon legte seinen Kopf gegen die Nackenstütze des Sessels und sah hinauf zu den Sternen. Seine Gedanken schweiften zurück zu jenem Tag in der Moschee in Falludscha. In den Jahren darauf war ihm der Vorfall immer wieder durch den Kopf gegangen, doch jedes Mal kam er zu dem Schluss, er würde es genau so wieder tun. Die Häme und der Hass, welchen man ihm entgegenbrachte, frustrierten ihn zutiefst.

      Die Untersuchungen der Militärstrafverfolgungsbehörde der Marine zeigten, dass er die korrekte Entscheidung getroffen hatte, doch solche Wendungen waren nicht interessant und landeten stets auf den hinteren Seiten der Zeitungen. Eine Story über Marines hingegen, die unbewaffnete und verwundete Gefangene erschießen, sorgte für Schlagzeilen und politischen Zündstoff. Politik verachtete er am meisten. In ihrer Gesamtheit veränderte die Situation seine Ansichten zu Volk und Vaterland. Als er die Option erhielt, seinen Dienst zu verlängern, nahm er sie nicht wahr. Er konnte sein Leben nicht mehr zur Verteidigung eines Landes aufs Spiel setzen, dessen halbe Bevölkerung ihn entweder hasste oder sich – was nur geringfügig besser war – überhaupt keine Meinung zu ihm bildete.

      Gordon hatte sich der Marine gleich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 angeschlossen. Dazu brach er sein Studium an der Universität George Mason im dritten Jahr ab und schlug somit ein Vollstipendium aus, weil er glaubte, es obliege seiner Generation, ihrem Land an erster Front zu dienen. Damals erschien es ihm richtig, doch mittlerweile war die Lage eine andere.

      Oft fragte er sich, warum er so viele Opfer gebracht hatte. Warum? Damit die Leute einen Grund dafür fanden, ihn zu hassen? Ihre Freiheit für selbstverständlich halten konnten? Um all den faulen Ärschen und Nichtsnutzen zu ermöglichen, dazusitzen und die Hände in den Schoß zu legen? Scheiß auf sie, dachte er. Nie wieder würde er den Kopf für jemand anderen außer seinen Verwandten und Freunden hinhalten. Jetzt begab sich indes sein Bruder in die Schusslinie, auf dass die gleichen wertlosen Menschen Federn in die Luft blasen durften, ihre Freiheit auskosteten und ihre Rechte missbrauchten.

      Sebastian konnte Gordons Gefühle nachvollziehen, war aber im Gegensatz zu ihm kein sonderlicher Idealist. Sicher, er liebte sein Vaterland, doch dies vor allem wegen seiner Abenteuerlust: Ihm ging es um die Action. Sebastian war begeistert davon, dass er dafür bezahlt wurde, Dinge in die Luft zu sprengen. Über Politik machte er sich nicht viele Gedanken, weil er sie für Zeitverschwendung hielt. Gordon hätte gern die gleiche Haltung angenommen, aber wie sollte ein Land auf Dauer bestehen, wenn jeder nur sich selbst der Nächste war? Er steckte in einer ideologischen Zwickmühle, während er – was das praktische Handeln anbelangte – niemand anderen zwischen sich und seine Familie kommen ließ, solange sein Ärger nicht abgeklungen war.

      Er wurde von seinem Gedankengang abgebracht, als Sebastian von der Toilette zurückkehrte.

      »Hier, Bruderherz.« Sebastian drückte ihm ein neues Bier in die Hand.

      Gordon richtete sich im Sessel auf und bedankte sich. »Hör mal, es tut mir leid, wenn es so wirkte, als würde ich dir nicht vertrauen. Ich halte sehr viel von dir und sehe in dir nichts weniger als einen erwachsenen Mann. Du weißt, was ich übers Korps und alles andere denke, was damit zusammenhängt. Ich will wirklich nicht wieder dort hineingezogen werden – und schon gar nicht, dass dir etwas zustößt.«

      »Schon verstanden, aber sei dir gewiss: Ich befinde mich in guten Händen. Übrigens habe ich ganz vergessen, dir zu sagen, dass es einen neuen befehlshabenden Offizier gibt«, schob Sebastian mit einem Strahlen im Gesicht hinterher, nachdem er etwas Bier getrunken hatte.

      Gordon wurde hellhörig. »Wer ist es?«

      »Barone!«

      »Major Barone?« Er machte große Augen.

      »Ja, aber er ist mittlerweile Oberstleutnant.«

      Wieder ließ sich Gordon zurück in die Vergangenheit kurz nach dem Einsatz in Falludscha reißen. Major Barone war einer seiner verbissensten Verteidiger gewesen. Er stand ihm bei, während alle anderen hochrangigen Militärs den Politikern und Medien gefällig sein wollten. Die Presse schlachtete die Story nach allen Regeln der Kunst aus und berichtete auf reißerische Art über den gefallenen Schuss. In der Öffentlichkeit galt er praktisch als verurteilt, noch ehe die Nachforschungen zu Ende gingen.

      »Das sind tolle Neuigkeiten«, fand Gordon im Zuge dieser tröstlichen Erinnerung an einen treuen Freund. »Er ist ein großartiger Mann, und bei ihm befindest du dich definitiv in guten Händen.«

      »Ich dachte mir schon, du würdest dich freuen, seinen Namen wieder zu hören. Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen, aber es heißt, er habe eine besondere Vorliebe für Scharfschützen. Ich bin schon ganz aufgeregt; jetzt muss ich nur noch aufgenommen werden.«

      »Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass er jetzt das Kommando hat und euch Jungs für den nächsten Auslandseinsatz in Erwägung zieht.«

      Gordon empfand Erleichterung darüber, dass sein Bruder in so vertrauenswürdige Gesellschaft geraten sollte. Dieses Wissen machte ihn glücklich. Sein Bruder mochte noch so viel Selbstbewusstsein hervorkehren: Gordon würde sich immerzu um ihn sorgen und ihn im Auge behalten.

      Was ihm außerdem Kummer bereitete, waren die gehäuft auftretenden Übergriffe von Terroristen auf Militäreinrichtungen rund um den Globus. Ferner verzeichneten seit den vergangenen paar Monaten auch die Anschläge gegen zivile Ziele in Europa einen Aufwärtstrend. Er hatte sich schon oft mit Samantha darüber unterhalten, wie seltsam es war, dass diese Organisationen solche Angriffe bisher nie in den Vereinigten Staaten gewagt hatten. In Anbetracht der arg durchlässigen Südgrenze des Landes hielt er diesen Glücksfall jedoch für zeitlich begrenzt. Über kurz oder lang, das war ihm klar, würden die Terroristen erneut hier zuschlagen, und die nächste größere Aktion könnte so verheerend