Antje wird sicher Wert darauf legen, Ihnen alles zu zeigen. Sie hat reiten gelernt. Im Übrigen ist sie eine leidenschaftliche Tiernärrin. Sie ist fast täglich in Bachenau und beschäftigt sich im Tierheim. Sie werden kaum darum herumkommen, das Heim zu besichtigen.«
»Wenn das für Ihre Tochter und Ihren Schwiegersohn am Sonntag keine Störung bedeutet?«
»Aber nein. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Also, bis Sonntag, Frau Martell. Ich werde Antje von Ihnen grüßen, wenn sie nachher aus der Schule kommt.«
Hanna bedankte sich und legte den Hörer auf.
Antjes Liebe zu den Tieren war eindeutig ein Erbteil von Georg Pflug. Er mochte einen minderwertigen Charakter haben und mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein. Doch die Tatsache, dass er mit Tieren ausgezeichnet umgehen konnte, ließ sich nicht abstreiten.
Ist es möglich, dass Antje neben der Tierliebe auch den Hang ihres Vaters zum Verbrechen geerbt hat?, überlegte Hanna. Es war eine Frage, die sie tief verwirrte und erschreckte.
Nein, Antje war gut geartet, liebevoll und aufrichtig. Gewiss hatte Georg Pflug in seiner Jugend unter schlechtem Einfluss gestanden und hätte sich anders entwickelt, wenn ihm der rechte Weg gewiesen worden wäre. Trotzdem war dieser Gedanke ein Grund mehr, Klaus gegenüber zu schweigen.
Werde ich das durchhalten?, fragte sich Hanna. Kann ich von Georg Pflug die feste Zusage erkaufen, dass er mir meinen Frieden lässt, wenn ich ihm mein gesamtes Geld gebe?
Hanna grübelte und sann. Immer mehr Probleme und Fragen bedrängten sie. Schließlich raffte sie sich auf, um das Mittagessen vorzubereiten, denn ihr Mann pflegte zu Hause zu essen, wenn es sich einrichten ließ. Doch als alles fertig war, läutete das Telefon. Eine Schwester richtete ihr aus, dass der Herr Professor wegen einer dringenden Operation nicht kommen könne.
Hanna war erleichtert, denn sie hatte sich davor gefürchtet, Klaus am Tisch gegenüberzusitzen. Erschöpft, als habe sie ein schweres Tagewerk hinter sich, legte sie sich nieder und schloss die Augen. Sie schreckte hoch, als das Telefon klingelte. Obwohl sie mit untrüglicher Sicherheit wusste, dass es diesmal Georg Pflug sein müsse, hob sie ab. Es war sinnlos, dem Schicksal auszuweichen, dem sie doch rettungslos ausgeliefert war. »Gut angekommen? Wie geht’s?«, fragte er, als sei er der beste Freund des Hauses.
»Als ob dich das interessierte«, gab Hanna zornig zurück. »Was willst du?«
»Geld. Das habe ich dir auf dem Schiff doch wohl klar genug mitgeteilt. Ich bin in Schwierigkeiten und muss schnell eine größere Summe flüssig haben.«
»Ich bin nicht reich, Georg.«
»Gewöhne dir lieber an, mich Matthias zu nennen. Dr. Matthias Bruck heiße ich. Man kann nicht vorsichtig genug sein.«
»Wir werden nur noch dieses eine Mal miteinander sprechen. Es ist also gleichgültig, wie ich dich anrede. Auf meinem Sparbuch sind viertausendneunhundert. Die kannst du haben, wenn du mir versprichst, dass es damit zu Ende ist. Lebe du dein Leben und lass mir das meinige. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.«
»Knapp fünftausend. Das ist nicht allzu viel. Warum kannst du mir nicht mehr geben? Wenigstens zehntausend?«
»Weil ich’s nicht habe«, stieß sie ungeduldig hervor. »Du machst dir falsche Vorstellungen.«
»Fünftausend sind besser als nichts, Hanna. Können wir uns treffen? Ich wohne in Frankfurt im Hotel Intercontinental.«
Er lebte also weiterhin auf großem Fuß. Deshalb brauchte er wohl ständig Geld.
»Morgen Vormittag«, sagte sie leise. »Ich werde gegen zehn Uhr im Hotel sein.«
»In Ordnung. Vergiss das Geld nicht.«
Hanna legte ohne ein weiteres Wort den Hörer auf. Sie war am Ende ihrer Beherrschung. Ein Weinkrampf schüttelte sie.
Bis zum Abend hatte sie sich so weit erholt, dass sie ihrem Mann von dem Gespräch mit Denise Schoenecker berichten konnte. Die Fahrt nach Sophienlust wurde für den kommenden Sonntag fest aufs Programm gesetzt.
»Morgen muss ich nach Frankfurt, um Besorgungen zu machen«, erklärte Hanna so gleichmütig wie möglich. »Kann ich den Wagen nehmen?«
»Natürlich, ich brauche ihn nicht. Lass dir mal wieder die Großstadtluft um die Nase wehen. Wenn du ein schönes Kleid siehst, kaufe es dir. Es tut mir leid, dass ich dich nicht begleiten kann. Aber es gibt zurzeit eine ganze Menge Arbeit in der Klinik.«
»Ja, schade.«
Lügen über Lügen! Hanna wäre entsetzt gewesen, wenn Klaus die Absicht gehabt hätte, mit ihr zu fahren. Sie musste allein sein, um sich ungestört mit Georg Pflug treffen zu können.
»Besorge auch ein Geschenk für Antje. Sie erwartet gewiss ein Mitbringsel von ihren weitgereisten Eltern.«
»Ja, Ich werde mich umsehen.«
»Du bist so seltsam heute Abend, Hanna.« Klaus war nun doch aufmerksam geworden, denn Hanna konnte sich nicht allzugut verstellen.
»Kopfweh, Klaus. Wahrscheinlich ist es das veränderte Klima. Heute war es richtig schwül.«
»Ob der Kollege Heim etwas übersehen hat bei deiner Untersuchung? Du gefällst mir nicht. Es klingt verrückt, aber es ging dir bei unserer Abreise eigentlich besser als jetzt. Oder irre ich mich?«
Hanna bekam glühende Wangen. »Es geht mir nicht schlecht, Klaus. Schau, ich bin tüchtig braun gebrannt.« Sie streckte den Arm ein wenig vor.
»Auf die Farbe kommt es nicht an, Hanna. Du bist dünner geworden, obwohl du gar nichts zuzusetzen hattest. Außerdem bist du erschöpft, nervös, appetitlos und bis zu einem gewissen Grad sogar apathisch, wenn man sich mit dir unterhält. Du wirst mir doch nicht krank werden, Liebes?« Er nahm sie in den Arm und betrachtete sie forschend und liebevoll.
Ängstlich mied sie seinen Blick. Warum durfte sie nicht aufrichtig zu ihm sein und ihm anvertrauen, was sie quälte?
»Ich gebe dir heute Abend ein Beruhigungsmittel«, meinte er nach kurzer Überlegung. »Dass du nicht sonderlich gut schläfst, habe ich schon auf der Reise bemerkt.«
Hanna erhob keinen Widerspruch und schluckte die kleine blaue Tablette, die er für sie aus dem Apothekenschrank holte. Schon nach kurzer Zeit spürte sie angenehme Mattigkeit und ging zu Bett. Sie versank sofort in einen bleiernen Schlaf. Ihr letzter Gedanke war Dankbarkeit gegen Klaus, der ihr dieses Ausruhen geschenkt hatte.
»Ich liebe dich«, stammelte sie schlaftrunken.
»Ja, Hanna, ich liebe dich auch. Schlaf nur. Das wird dir guttun.«
Die Meinung des Professors, dass es sich bei dem Zustand seiner Frau um eine nervöse Dystonie handeln müsse, festigte sich. Er hatte von Fällen gehört, in denen sich allzu viel Sonne in Verbindung mit dem Seeklima ungünstig auf zarte Personen ausgewirkt hatte. Deshalb war er überzeugt, dass Hanna sich in der heimatlichen Umgebung rasch erholen würde.
Am nächsten Morgen wirkte Hanna etwas frischer. Der tiefe Schlaf hatte ihr wohlgetan.
»Es wird bestimmt besser, Klaus«, behauptete sie so munter wie möglich. »Die Abwechslung, mal nach Frankfurt zu fahren, ist ganz gut. Sonst sitze ich bloß hier herum und schüttele den Kopf über mich, weil ich nicht so fantastisch erholt bin wie du.«
Klaus Martell, sonnengebräunt und sehr jugendlich aussehend, lachte sie an. »Also, viel Vergnügen in Frankfurt, Hanna. Fahre bitte vorsichtig.«
»Natürlich, Klaus.«
Hanna wartete ungeduldig, bis er das Haus verlassen hatte. Dann legte sie für die Zugehfrau einen Zettel zurecht, auf dem sie notierte, was im Hause zu tun war.
Schon zehn Minuten nach dem Aufbruch des Professors lenkte sie das Auto aus der Garage. Zuerst fuhr sie zur Kreissparkasse, wo sie den gesamten Bestand ihres Sparbuches abhob. Außerdem ließ sie sich von dem Konto, das dem Ehepaar gemeinsam gehörte, noch einmal dieselbe Summe auszahlen. Hanna hatte Vollmacht