Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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standen mit Antje auf der Freitreppe und winkten. Die Mehrzahl der Sophienluster Kinder, die sonst bei der Abfahrt von Besuchern den traditionellen großen Bahnhof veranstalteten, befand sich bei Andrea und Hans-Joachim von Lehn, um wieder einmal das Tierheim Waldi & Co zu besichtigen. So ergab sich für den leckeren Apfelkuchen der jungen Frau reichlich Verwendung. Die zurückgebliebenen Kinder aber hatten mit dem Hauslehrer Wolfgang Rennert einen ausgedehnten Waldspaziergang unternommen.

      »Was fangen wir jetzt mit dir an?«, fragte Denise ein bisschen ratlos.

      »Ich hab’ ja das neue Tierbuch von Mutti und Vati.« Besonders begeistert klang das jedoch nicht. »Tante Ma ist im Haus.« So wurde Frau Rennert, die Heimleiterin, genannt. »Aber sie ist jetzt bestimmt bei Tante Carola und bei ihren Enkeln und möchte jetzt ungestört sein. Weißt du, wir fahren am besten nach Bachenau zu Tante Andrea.«

      Alexander war einverstanden. »Wir haben Peterle eine ganze Woche nicht gesehen. Antje kann mit den anderen Kindern im Schulbus zurückfahren.« Er ging mit langen Schritten auf seinen Wagen zu, der unter einem schattigen Baum geparkt war.

      »Zwei Minuten, Alexander«, bat Denise. »Ich möchte im Haus Bescheid sagen. Sonst wird Antje vermisst.«

      Denise fand Frau Rennert in ihrem Büro. Carola und die niedlichen Zwillinge leisteten ihr Gesellschaft. Die gewissenhafte Heimleiterin hatte ihren Posten nicht verlassen wollen, weil sie sich allein im Hause wusste.

      »Jetzt behält Nick doch recht«, sagte Frau Rennert gedankenvoll. »Er hat seit drei Tagen ständig davon geredet, dass Antje hierbleiben soll.«

      »Tut er das nicht bei jedem Kind, das uns verlassen will?«, meinte Denise.

      »Ja, das stimmt«, bestätigte Carola. »Für Nick ist Sophienlust nun mal der Himmel auf Erden. Er ist ständig in Sorge, dass es die Kinder woanders nicht so gut haben könnten wie bei uns.«

      Denise warf der jungen Mutter einen liebevollen Blick zu und verabschiedete sich dann. Rasch verließ sie das Haus, das so vielen Kindern zur Heimat geworden war.

      *

      Hanna wurde kreidebleich, als sie die Stimme Georg Pflugs am Telefon erkannte. Ihr Mann saß neben ihr. Er war für eine halbe Stunde aus der Klinik herübergekommen, um bei ihr eine Tasse Kaffee zu trinken.

      »Sie müssen falsch gewählt haben«, sagte sie mühsam. »Hier ist die Wohnung von Prof. Martell.« Dann legte sie den Hörer so schnell auf, als wäre er aus glühendem Metall und verbrenne ihr die Finger.

      »Falsch gewählt?«

      »Ja, das kommt schon mal vor, Klaus. Heute kam übrigens ein Briefchen von Antje. Willst du es lesen?«

      »Erzähle mir nur, was sie schreibt. Geht es ihr gut?«

      »Sie hat sich eine junge Katze schenken lassen. Große Anfrage bei uns, ob sie das Tier mit nach Hause bringen darf.«

      »Meinetwegen. Aber sie muss selbst für die Katze sorgen. Das mache ich zur Bedingung.«

      »Das tut sie gewiss.«

      »Frau von Schoenecker erzählte Wunderdinge über Antjes Umgang mit Tieren. Die Freundschaft mit der Familie von Lehn wird zur Folge haben, dass wir hier auch eine Art Zoo einrichten müssen.«

      »Eine Katze, Klaus, ist doch kein Zoo.«

      »Immerhin ein Anfang. Bei Frau von Lehn war es zuerst auch nur ein herrenloser Dackel namens Waldi. Jedenfalls kann unsere Antje ihr väterliches Erbe nicht verleugnen. Möglich, dass sie mal Tiermedizin studiert. Warum auch nicht?«

      Hanna schwieg. Von Antjes Vater mochte sie jetzt nicht sprechen. Ihr schlug das Herz noch immer bis zum Halse. Klaus Martell trank seinen Kaffee aus.

      »Ich werde mir Mühe geben, heute nicht zu spät zurückzukommen, Hanna.«

      Er stand auf und küsste sie auf die Stirn. »Geht es dir eigentlich besser? Zugenommen hast du nicht. Und die gute Farbe vom Schiff ist inzwischen weg.«

      »Du bist auch nicht mehr so dunkelbraun wie zuvor, Klaus. Ich fühle mich wirklich besser.«

      Erleichtert atmete Hanna auf, als sich die Haustür hinter ihrem Mann geschlossen hatte. Vom Fenster aus vergewisserte sie sich, dass er nicht zurückkam. Dann erst wagte sie es, die Nummer des Hotels in Frankfurt aus ihrem Notizbüchlein herauszusuchen und zu wählen.

      »Bitte Dr. Bruck!«

      Wieder die verhasste Stimme. Trotzdem war Hanna froh, dass sie Georg erreicht hatte. Nun würde er wenigstens nicht noch einmal anrufen.

      »Hier ist Hanna. Du hattest versprochen, mich nicht anzurufen. Mein Mann saß unmittelbar neben dem Telefon. Tu das bitte nicht wieder.«

      »Deine Schuld, mein Schatz. Ich warte nämlich auf mein Geld.«

      »Ich habe dir doch geschrieben, dass ich Zeit brauche.«

      »Ich habe leider nicht soviel Zeit, Hanna. Allmählich wird es mir zu dumm. Ich glaube, du führst mich bloß an der Nase herum. Heute ist Freitag. Am Montag erwarte ich dich um zehn hier im Hotel. Dann musst du mir das Geld bringen. Wenn nicht, dann hat der Professor am Dienstag einen Brief ohne Unterschrift in seiner Post, aus dem er das Nötige über die Vergangenheit seiner Ehefrau erfährt.«

      »Georg, ich …«

      »Georg ist tot. Ich bin Dr. Matthias Bruck. Also bis Montag, Hanna. Lass dir etwas einfallen. Der Professor ist kein armer Mann. Fünftausend kann er schon entbehren.«

      »Ich komme am Montag. Auf Wiedersehen.« Hanna drückte auf die Gabel, um nichts mehr hören zu müssen.

      Drei Wochen waren seit der ersten Zahlung vergangen. Hanna hatte im Lotto getippt und natürlich nicht gewonnen. Sie hatte etwas Geld beiseite gelegt und kam sich deswegen wie eine Diebin vor. Fünfhundert. Das war genau ein Zehntel von dem, was Georg verlangte.

      Vergeblich sann und grübelte Hanna um einen Ausweg zu finden. Ehe ihr Mann zum Abendessen heimkehrte, trank sie gegen jede sonstige Gewohnheit ein Glas Likör, weil sie sich irgendwie Mut machen musste, um das Zusammensein mit Klaus zu überstehen, ohne ihm alles zu sagen. Ihr Wunsch, sich einem Menschen anvertrauen zu können, wurde immer sehnlicher. Doch sie durfte es nicht wagen. Sie war dazu verurteilt, zu schweigen und diesen schrecklichen Weg allein zu gehen. Bis zum bitteren Ende.

      Der Sonnabend brachte eine Überraschung. Nachmittags standen unangemeldet Thomas und Michaela Wolfsen vor der Tür.

      »Hoffentlich stören wir nicht«, sagte Michaela lachend. »Wir mussten nach Frankfurt. Da fiel uns ein, dass wir einen Abstecher zu Ihnen machen könnten.«

      »Eine großartige Idee«, freute sich der Professor. »Jetzt fehlt nur noch Dr. Bruck. Dann wäre unser Tisch vom Schiff wieder vollzählig.«

      Hanna beeilte sich, Kaffee zu machen. Dazu schnitt sie den Nusskuchen auf, den sie für den Sonntag gebacken hatte.

      »Wo mag der Doktor jetzt sein?«, fragte Michaela Wolfsen, als man mitten im schönsten Erinnern an die ereignisreiche Reise war. »Er wollte eine Asienfahrt antreten, erzählte er mal. Genau wusste er es allerdings noch nicht.«

      »Vielleicht bekommen wir eines Tages eine Postkarte aus Peking«, scherzte ihr Mann. »Bruck ist ein interessanter Mensch. Ich habe ihn insgeheim ein bisschen um seine Unabhängigkeit beneidet.«

      »Na, hör mal! Jetzt bin ich aber beleidigt«, beschwerte sich Michaela.

      »Ich meine seine finanzielle Unabhängigkeit, Liebling. Es muss herrlich sein, wenn man ohne Sorgen durch die Welt reisen kann.«

      »Das wird auf die Dauer bestimmt langweilig«, erklärte Michaela. »Du würdest es nicht sechs Monate aushalten ohne deine Arbeit.«

      Thomas Wolfsen war Architekt. Er liebte seinen Beruf und hatte sich darin bereits einen Namen gemacht.

      »Na ja, vielleicht würde ich unterwegs mal Halt machen und etwas bauen«, räumte er ein. »Luftschlösser, zum Beispiel.«

      Hanna