weitere fünftausend nehmen?
Hanna lenkte den Wagen in ein Waldstück am Straßenrand, um in Ruhe nachdenken zu können. Doch es kam dabei wenig heraus. Wenn sie behauptete, dass sie heimlich Schulden gemacht habe, würde sich das als Unwahrheit erweisen. Denn sie gab niemals viel Geld für sich persönlich aus. Eine solche Summe würde sie ihrem Mann nicht erklären können. Auch verlieren konnte sie einen so großen Betrag nicht zum Schein. Denn höhere Rechnungen wurden im allgemeinen vom Professor durch Scheck oder Überweisung bezahlt. Er gehörte zu den vernünftigen Leuten, die es für sträflichen Leichtsinn hielten, viel Bargeld mit sich herumzutragen.
Hanna schluchzte auf.
Vielleicht würde Georg es nicht wagen, sich mit ihrem Mann in Verbindung zu setzen. Es war eine Drohung, mehr nicht. Aber gehörte denn viel Mut dazu, einen Brief zu schreiben und Klaus an die Polizei zu verweisen?
Ich werde im Lotto spielen, dachte Hanna. Vielleicht hat das Schicksal ein Einsehen und lässt mich gewinnen. Es ist meine einzige Chance.
*
Antje hielt unter jedem Arm eine junge Katze und strahlte Denise von Schoenecker an. »Sind sie nicht goldig, Tante Isi?«
»Ja, Kleines, ganz reizend. Trotzdem musst du sie jetzt ins Heu zu Muschi setzen. Deine Eltern kommen in einer halben Stunde. Du bist ziemlich schmutzig und musst dich umziehen.«
Antje brachte die Kätzchen zu ihren Geschwistern zurück. »Ich gehe ins Haus und dusche mich, Tante Isi.«
»Freust du dich, dass deine Eltern kommen?«
Antje verzog nachdenklich das hübsche Gesicht. »Genau weiß ich’s nicht, Tante Isi. Natürlich ist es prima, dass ich sie endlich wiedersehe. Aber am liebsten würde ich noch ein bisschen bei euch bleiben. Bei uns gibt es kein einziges Tier. Nur ein paar Amseln und Finken im Garten.«
»Du kannst uns ja mal besuchen.«
»Das mache ich ganz bestimmt, Tante Isi.«
Antje lief ins Herrenhaus. Denise folgte ihr. Sie hatte das unkomplizierte, allzeit vergnügte kleine Mädchen ins Herz geschlossen.
Nick, der bei dem ehemaligen Gutsverwalter Justus im Pferdestall gewesen war, gesellte sich zu seiner Mutter. »Ob sie sie gleich mitnehmen wollen?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht genau. Frau Martell hat es am Telefon nicht ausdrücklich gesagt.«
»Antje ist in Ordnung. Sie kann bleiben, solange sie mag«, meinte Nick. »Henrik ist bestimmt traurig, wenn sie nach Hause muss. Er schwärmt sie nämlich regelrecht an.«
Denise lachte leise. »Unser Kleiner hat sich sehr herzlich mit Antje angefreundet. Warum auch nicht? Aber es stand von Anfang an fest, dass sie nicht allzu lange bleiben würde.«
»Es ist immer dasselbe«, seufzte Nick. »Ich möchte am liebsten, dass alle Kinder bei uns bleiben.«
»Hm, ich weiß es, Nick. Aber dann wäre unser liebes Sopienlust inzwischen restlos überfüllt. Es ist ein Segen, dass selbst heimatlose Kinder wieder ein neues Zuhause finden.«
»Ja, das sehe ich natürlich ein, Mutti. Trotzdem tut’s mir leid. Du, das ist ihr Wagen. Sie sitzen beide drin. Also kein Ehekrach und gar nichts.«
»Aber Nick, wünschst du dir denn so etwas, damit Antje bei uns bleibt?«
»Ach wo. Aber du musst zugeben, dass wir solche Sachen schon erlebt haben.«
Denise war einer Antwort enthoben, denn eben hielt der große Wagen neben ihnen. Sie erschrak bei Hannas Anblick.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte sie besorgt und schlang stützend einen Arm um die abgemagerte Frau, die so erschöpft war, dass sie kaum stehen konnte.
Klaus Martell stieg eilig aus und verbeugte sich. »Meine Frau verträgt offenbar das Autofahren über längere Strecken nicht mehr. Sie fühlt sich nicht wohl. Wäre es vielleicht möglich, dass sie sich ein bisschen niederlegt?«
»Selbstverständlich. Ich bringe Sie ins Gästezimmer, Frau Martell.«
Hanna sprach kein Wort. Mit schleppenden Schritten ging sie an Denises Arm ins Herrenhaus, wo Frau Rennert, die Heimleiterin, sofort zu Hilfe eilte. Schon wenige Minuten später ruhte Hanna in einem freundlich eingerichteten Zimmer. Ihr Mann kam und fühlte ihren Puls.
»Ein Kollaps«, murmelte er. »Wie ist das nur möglich? Heute früh warst du doch ganz munter, Liebes.«
»Ich …, ich weiß es nicht«, flüsterte Hanna mühsam. »Wenn ich jetzt ein Weilchen liegen kann, wird es sicher rasch besser.«
»Vielleicht gibt es hier eine Hausapotheke. Mal sehen, ob ich ein Kreislaufmittel finden kann.«
Schwester Regine, für die Kleinen verantwortlich, wurde befragt. Sie konnte glücklicherweise mit einem Medikament aushelfen.
Nick und Pünktchen übernahmen es, Antje abzufangen, damit sie keinen allzu großen Schrecken bekam. Das kleine Mädchen erschien mit feuchtem Haar in einem sauberen rot-weißen Kleidchen.
»Sind sie nicht eben angekommen?«, fragte Antje aufgeregt.
Pünktchen nahm Antjes Hand.
»Ja, Antje. Aber deiner Mutti ist die Autofahrt nicht gut bekommen. Sie musste sich gleich hinlegen. Du sollst ein bisschen warten, ehe du hingehst. Sie braucht jetzt Ruhe.«
»Ist sie immer noch krank?«, fragte Antje mit erschrockenen Augen. »Sie sollte doch wieder ganz gesund werden auf der Reise.«
»Ein bisschen krank sieht sie aus«, berichtete Nick. »Wenn’s nach mir ginge, müsste sie ein paar Wochen bei uns in Sophienlust bleiben, damit sie sich erholt. Landluft ist nämlich das Beste.«
»Wenn sie hierbleibt, könnte ich auch bleiben«, seufzte Antje. »Aber das geht nicht. Vati muss ja die Kranken in der Klinik gesund machen. Er hat Mutti lieb und mag nicht allein sein.«
Sie beleuchteten den Fall von den verschiedensten Seiten, bis endlich Klaus Martell erschien. Antje rannte wie der Wind auf ihn zu und ließ sich hoch durch die Luft wirbeln zur Begrüßung.
»Fein schaust du aus«, freute sich der Professor. »Wir hätten Mutti auch hier in Pflege geben sollen, scheint mir. Die Seereise war ganz offenbar nicht gut für sie.«
»In Sophienlust kann man sich prima erholen, Herr Professor«, warf Nick ein. »Es werden auch Erwachsene aufgenommen. Mutti lädt Ihre Frau bestimmt gern ein, wenn ich sie frage.«
Klaus Martell lächelte. »Das ist sehr freundlich von dir, mein Junge. Aber ich denke, dass sie ärztliche Behandlung braucht.«
»Die kann man hier auch haben.« So leicht ließ sich Nick nicht abweisen.
Denise, die Hanna auf deren Wunsch allein gelassen hatte, legte die Hand auf die Schulter ihres Sohnes. »Wir wollen zunächst abwarten, wie sich Antjes Mutter in einer Stunde fühlt. Es gibt Menschen, die beim Autofahren sterbenskrank werden und sich dann sehr schnell erholen.«
Klaus Martell schwieg. Er fand den Zustand seiner Frau nachgerade besorgniserregend. Trotzdem glaubte er nicht an eine ernste körperliche Erkrankung, sondern schob ihren Zusammenbruch auf nervöses Versagen. Vergeblich suchte er nach dem Grund dafür.
Denise führte den Gast ins Biedermeierzimmer, und Antje wich nicht von der Seite ihres Vaters. Sie erzählte von den jungen Kätzchen, von den Ponys, auf denen sie geritten war, von Andrea’s Tierheim und von den Sophienluster Kindern, wobei Henriks Name besonders häufig fiel.
Kurz vor Tisch gesellte sich Alexander von Schoenecker zu ihnen. Der Einfachheit halber sollte heute gemeinsam in Sophienlust gegessen werden.
»Ich schau mal nach meiner Mutti. Darf ich?«, fragte Antje leise und sehnsüchtig.
»Ja, geh nur.« Denise lächelte ihr zu und dachte, vielleicht würde die Freude über das Wiedersehen mit dem Kind ein gutes Heilmittel sein.
»Wenn es die angegriffene Gesundheit