Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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letzte Stück hat er nur für mich gespielt«, flüsterte das Kind, schon halb im Schlaf.

      Denise küsste die klare, hohe Stirn des kleinen Mädchens und löschte das Licht. Leise ging sie hinaus.

      »Hoffentlich hat sich Sibylle nicht zu sehr aufgeregt«, sagte sie zu ihrem Mann, als sie wieder zu ihm in den Wagen stieg. »Immerhin bin ich überzeugt, dass Herr Rennert recht hatte mit seinem Vorschlag.«

      »Wir sollten der Kleinen öfter Gelegenheit geben, gute Musik zu hören«, erwiderte Alexander gedankenvoll. »Seltsam, wie schnell sie Kontakt zu Thilo Bach gefunden hat.«

      »Er scheint warmherzig und freundlich zu sein. Unser Billchen wird diesen Abend wohl nie vergessen.«

      *

      Währenddessen feierte Thilo Bach seinen großen Erfolg mit seiner schönen jungen Freundin Isabella von Wettering. Unmittelbar nach dem Konzert hatte ein Sektempfang der Stadt die Mitglieder des Orchesters, den Dirigenten, den prominenten Solisten und viele bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vereint. Doch jetzt war Thilo mit Isabella allein.

      »Endlich stört uns niemand mehr«, stellte er fest. »Gleich kommt das Essen. Offizielle Empfänge sind etwas Gräßliches.«

      Die bildhübsche Isabella, vierundzwanzig Jahre alt und Studentin der Musik, streichelte die Hand ihres Freundes. »Ich bin stolz auf dich, Thilo. Du warst heute besser als je zuvor.«

      »Ich habe es selbst gemerkt. Aber jetzt bin ich ziemlich müde.«

      »Die Menschen, die dir zuhören, haben sicherlich keine Ahnung, wie gewaltig deine Leistung ist, Thilo. Was war eigentlich mit dem kleinen Mädchen? Ist es nicht übertrieben, ein Kind ins Konzert zu schicken? Du hast ihr Blumen geschenkt.«

      Sie wurden unterbrochen, weil zwei Kellner einen Servierwagen ins Hotelzimmer des berühmten Gastes rollten und mit geübten Griffen den Tisch deckten.

      »Wir versorgen uns selbst, vielen Dank«, erklärte Isabella freundlich.

      Die Hotelangestellten zogen sich zurück. Während Isabella die Teller füllte, erzählte Thilo von Sibylles Besuch im Künstlerzimmer. »Sie hat viel Talent«, äußerte er lebhaft. »Ich wünschte, ich könnte ein Kind wie sie unterrichten. Aber dazu bleibt mir keine Zeit.«

      »Weißt du, wie sie heißt?«

      Er hob die Schultern. »Sibylle. Der Familienname ist mir wieder entfallen. Sie sagte, sie wohne auf einem Gut. Sophies Lust oder so ähnlich heißt es.«

      »Sophienlust?«

      Überrascht sah Thilo seine Freundin an. »Du kennst es? Ja, das war der Name.«

      »Das Gut meiner Eltern ist nicht allzu weit entfernt von Sophienlust. Es handelt sich um ein Kinderheim. Frau von Schoenecker hat es in einem Gutshaus gegründet. Du kannst sicher sein, dass man dort das Talent des Kindes gewissenhaft fördert.«

      »Das beruhigt mich, offen gestanden, Bel. Vielleicht werde ich das kleine Mädchen mal wiedersehen. Es würde mich interessieren, was aus ihr wird. Nicht immer entwickeln sich siebenjährige Wunderkinder später zu guten Musikern. Allerdings hatte ich bei ihr das Gefühl, dass echte Musikalität und Begabung in ihr stecken. Ein interessantes Persönchen.«

      Bel schob ihm den Teller zu. »Jetzt musst du endlich etwas essen. Es ist eine schlimme Angewohnheit von dir, vor einem Konzert den ganzen Tag zu fasten.«

      Der Musiker zog Bels Hand an die Lippen. »Du brauchst auf das Kind nicht eifersüchtig zu sein«, scherzte er.

      Isabella von Wettering richtete die samtbraunen Augen voll auf den Mann, den sie liebte. »Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann«, sagte sie mit fester Stimme. »Eifersucht ist etwas Dummes.«

      Thilo Bach senkte die Lider, als er dem klaren Blick ihrer samtbraunen Augen begegnete. Er schämte sich ein wenig, denn er hatte Gefühle bisher noch niemals ernst genommen. Schöne Frauen waren in seinem Leben gekommen und gegangen. Er hatte die Rosen gepflückt und sie dann achtlos am Weg liegenlassen, wenn er eine andere Blüte gefunden hatte. Neue Liebe beflügelte ihn und feuerte ihn zu immer ­größeren Leistungen auf dem Konzertpodium an. Das Mädchen, dem sein Herz gehörte, musste stets so sitzen, dass er in ihr Gesicht blicken konnte beim Spiel. Doch es war in jedem Konzertwinter ein anderes Gesicht gewesen.

      »Liebe kleine Bel«, murmelte er. »Morgen fliegen wir nach Paris. Kommst du mit mir?«

      »Bis ans Ende der Welt, Thilo. Ich sorge mich nur, weil du diese Sommertournee durch ganz Europa gebucht hast und zu keiner richtigen Erholung vor dem Winter kommen wirst. Jeder Mensch muss mal ausspannen, sogar du.«

      Der Künstler machte eine geringschätzige Handbewegung. »Ohne Musik kann ich nicht existieren. Ich brauche die ständige Herausforderung, den Wechsel, das atemlose Zuhören des Publikums, den wilden Beifall. Später, wenn ich alt bin, werde ich genug Zeit zum Ausruhen haben.«

      Bel schwieg. Doch sie bemerkte das nervöse Zucken um seine Augen und das ganz leichte Zittern seiner Hand, als er das Glas wieder hob.

      »Auf dich, Bel.«

      »Nein, Thilo, auf dich. Immer nur auf dich.«

      Später lag die schöne Bel in seinen Armen. Sie war unendlich glücklich, denn dies war die Stunde, in der Thilo Bach ihr allein gehörte.

      *

      »Warum hast du Geheimnisse vor mir?«, fragte Frederik und küsste Anita zärtlich. »Ich merke, dass du mir etwas verbirgst. Hast du kein Vertrauen zu mir? Schau mal, ich bin dir gegenüber vollkommen aufrichtig gewesen. Du weißt, dass ich klein angefangen habe und auf meine Vergangenheit nicht gerade stolz sein kann. Aber es beunruhigt mich, dass du dich über deine Verwandte so beharrlich ausschweigst.«

      Die beiden saßen beim Tee. Barbara hatte dazu Brötchen gemacht und auch feines Gebäck in einer Silberschale bereitgestellt. Anita trug wieder einmal ein neues Kleid und sah darin besonders attraktiv aus. Sie hatte mit Frederik über den geplanten Verkauf der Villa gesprochen, deren Wert von einem Sachverständigen auf knapp zwei Millionen veranschlagt worden war. Doch zwei Schwierigkeiten waren aufgetaucht. Es würde nicht leicht sein, einen Käufer zu finden, der diese Kaufsumme sofort aufbringen konnte, und Anita musste nun erneut zugeben, dass sie nur über die Hälfte des Erlöses verfügen dürfte.

      Anita rührte in ihrem Tee und kämpfte mit sich. »Du hast wohl recht, Frederik«, rang es sich endlich von ihren Lippen. »Es war dumm von mir, dass ich es dir nicht sagen wollte. Die andere Hälfte des Hauses und des Grundstücks gehört meiner kleinen Nichte. Ich bin ihr Vormund.«

      Frederik Mintow verstand nicht sofort. »War deine verstorbene Schwester verheiratet?«, fragte er verwundert.

      Anitas Wangen färbten sich dunkler. »Nein.«

      »In euren Kreisen ist so etwas peinlich«, meinte Frederik unbekümmert. »Dabei bist du selbst entschlossen, einen Mann zu heiraten, der den Namen seines Vaters nie erfahren hat.« Er umarmte sie und spielte ein wenig mit ihrem Haar. »Wo steckt das Kind? Wie alt ist es?«

      Anita gab sich einen Ruck und gestand ihm rückhaltlos, dass sie Sibylle in ein Kinderheim verbannt habe, weil sie sich ihrer schämte.

      »Du bist ein süßes Dummchen«, erwiderte Frederik amüsiert. »Aber als du die Kleine wegbringen ließest, wusstest du doch nicht, dass der Mann deines Herzens gar keinen Grund hat, über so etwas die Nase zu rümpfen. Das Mädchen tut mir leid. Ich weiß, wie es in solchen Heimen zugeht, denn ich bin selbst ein paar Jahre lang in einem gewesen. Wir wollen deine Nichte zu uns nehmen. Ein Kind braucht eine richtige Familie. Wenn du damit einverstanden bist, adoptieren wir sie später. Ich mag Kinder gut leiden.«

      Anita Germersheim sah Frederik ungläubig an. »Das würdest du tun? Es würde dir nichts ausmachen? Du hast nicht einmal gefragt, wer der Vater ist.«

      »Als ob das wichtig wäre.«

      »Du – du machst mich sehr glücklich, Frederik«, stammelte Anita bewegt. »Es hat mich oft bedrückt. Doch jetzt sehe ich endlich