Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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blickte Andreas freundlich aus ihren kleinen Augen an. Ihre Kinder Taps und Tölpl kullerten vor Begeisterung über den Boden der Box, dann stießen sie die Klapptür auf und liefen hinaus ins Freigehege. Ihre Mutter folgte ihnen besorgt.

      Andreas gab die Suche nach dem Tierpfleger auf und besuchte die Esel Benjamin und Fridolin im Freigehege.

      Fridolin lachte fröhlich und stupste ihn an, als ob er ihn zu einem Ritt auffordern wolle. Andreas überlegte nicht lange. »Komm, Fridolin«, sagte er und fasste den Esel beim Halfter. Das Verlangen, irgendwohin zu reiten, wo ihn niemand finden würde, wurde so groß in ihm, dass er nun wie unter einem Zwang handelte. Er stieg auf Fridolins Rücken und ritt mit ihm zum Tor hinaus.

      Andreas ritt zu dem großen Wald und dann den schmalen Pfad entlang, der irgendwo weit hinten endete. Seit langem schon hatte er wissen wollen, was sich am Ende des Waldes befand.

      Fridolin trabte fröhlich weiter. Er fand sichtlich Gefallen an dem Ritt in der herrlichen Luft.

      *

      Helmut Koster bemerkte das Fehlen des Esels erst sehr viel später. Er hatte einige Besorgungen im Ort machen müssen und war nach seiner Rückkehr in seine kleine Wohnung gegangen, um die Rechnungen einzuordnen. Als es dann Zeit für die Fütterung der Tiere war, versorgte er zuerst diejenigen im Gebäude. Erst danach kümmerte er sich um die Rehe, Füchse, Hasen, Esel und das Liliputpferdchen Billy.

      »Nanu«, rief er kopfschüttelnd, »wo steckt denn nur Fridolin? Weißt du es?«, wandte er sich an den alten halbblinden Esel Benjamin. Dieser zeigte jedoch nur Interesse für das Heu, das er mit Genuss zwischen seinen gelben Zähnen zermahlte.

      Helmut Koster fing an, sich ernstlich Sorgen um den verschwundenen Esel zu machen, nachdem er das ganze Grundstück vergeblich nach ihm abgesucht hatte. Schließlich ging er zu Betti ins Haus. »Es ist mir ein Rätsel, wie das passieren konnte«, erklärte er aufgebracht. »Dass Fridolin über das Gatter gesprungen sein sollte, erscheint mir unmöglich. Jemand muss ihn aus dem Gehege herausgelassen haben.«

      »Das wird Andreas gewesen sein. Er und Fridolin sind doch unzertrennlich.«

      »Andreas? War er denn hier? Ich habe ihn nirgends gesehen. Weder im Tierheim noch sonst wo.«

      »Andreas war schrecklich aufgeregt. Ob er mit Fridolin nach Sophienlust geritten ist?«, überlegte Betti. »Es wäre nicht auszuschließen. Ich rufe sofort in Sophienlust an. An Wochentagen ist die Straße nach Wildmoos ja sehr ruhig, aber du solltest sie auf alle Fälle mit dem Wagen einmal abfahren«, schlug sie noch vor, bevor sie die Telefonnummer von Sophienlust wählte.

      Helmut Koster befolgte Bettis Rat und fuhr los. Aber schon bald war er zurück. »Von Andreas und Fridolin ist weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht ist er inzwischen schon in Sophienlust eingetroffen?«

      »Frau Rennert hat mir versprochen, sofort zurückzurufen, sollte er dort eintreffen. Sie will auch die Umgebung von Sophienlust absuchen lassen.«

      *

      Andreas ritt weiter auf Fridolins Rücken. Als plötzlich eine große blumenübersäte Wiese vor ihm lag, stieg er ab und sagte: »Sicherlich hast du Hunger, Fridolin. Mir knurrt auch der Magen. Aber ich kann kein Gras essen.« Er suchte in seiner Hosentasche nach einem letzten Stückchen Schokolade, das durch seine Körperwärme ganz weich geworden war. Er steckte es in den Mund und leckte sich dann die schokoladenbeschmierten Finger ab.

      Fridolin graste friedlich. Andreas setzte sich ins Gras und zog die Knie an. Er blickte zum Himmel empor. »Fridolin, glaubst du, dass man einfach in den Himmel laufen kann? Vielleicht gibt es irgendwo eine Himmelsleiter. Mutti und Vati würden ganz große Augen machen, wenn ich plötzlich vor ihnen stehen würde.«

      Vielleicht würde er tatsächlich eine Himmelsleiter finden, überlegte Andreas. Er musste nur immer weitergehen, aber alle Straßen umgehen, damit ihn niemand fand.

      Das Stückchen Schokolade hatte Andreas’ Hunger verständlicherweise nicht gestillt. Darum entschloss sich der Junge, als er zu einem einsam gelegenen Bauerngehöft kam, dort ein Stückchen Brot zu erbitten. Als er jedoch einige grüne Äpfel und Birnen fand, gab er diese Absicht wieder auf. Er stopfte sich die Taschen mit dem Fallobst voll und ritt wieder zum Wald zurück.

      Tief in Gedanken versunken spornte Andreas das Grautier an. Fridolin schien dieser ungewohnte Tagesausflug gut zu gefallen. Folgsam trottete er den Waldweg entlang.

      »Bestimmt hast du Durst.« Andreas glitt vom Rücken des Esels und führte ihn am Halfter zu einem Bach, dessen Plätschern er gehört hatte. Aber nicht nur der Esel labte sich an dem Wasser, sondern auch Andreas selbst. Er dachte nicht mehr an die Ermahnungen von Schwester Regine und Tante Ma, niemals unreifes Obst zu essen und auf keinen Fall Wasser darauf zu trinken.

      Schon gut eine Stunde später bekam Andreas heftige Leibschmerzen. Weinend krümmte er sich und presste beide Hände auf seinen Bauch. Auf einmal hatte er genug von seinem Ausflug. Er wollte nach Sophienlust zurück. »Komm, Fridolin«, schluchzte er.

      Viel zu schnell wurde es dunkel. Noch immer irrte Andreas im Wald umher. Schließlich sank er erschöpft auf den weichen Boden.

      Mit hängendem Kopf betrachtete der Esel seinen kleinen Freund. Er stupste ihn an, um ihn aufzufordern, weiterzugehen. Aber Andreas stöhnte vor Schmerzen. Schließlich schlief er vor Erschöpfung ein.

      Lautes Hundegebell und Stimmen rissen den Jungen aus seinem Schlaf. »Da sind ja die beiden Ausreißer!«, rief Polizeimeister Kirsch erleichtert. »Der Junge scheint krank zu sein.« Er hob Andreas auf seine kräftigen Arme. »Hast du Schmerzen, Andreas?«

      »Mir tut der Bauch so weh. Ich will zu meiner Mutti!«, schrie er. »Mutti! Mutti!«

      Denise und Alexander saßen in ihrem Wagen, als sie das laute Schreien des Kindes hörten. »Ich glaube, sie haben ihn gefunden.« Denise konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. »Alexander, ich bin fertig mit meinen Nerven. Ich …«

      »Das ist verständlich.« Er blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. »Es ist gleich zehn.«

      »Es ist schon vorbei.« Denise hatte ihren Schwächeanfall bereits wieder überwunden. Sie dachte nur noch daran, dass ein unglückliches Kind ihre Hilfe brauchte.

      »Tante Isi, liebe Tante Isi.« Andreas streckte ihr die Arme entgegen. »Ich habe solches Bauchweh«, klagte er.

      Inzwischen bemühten sich die Polizeileute um den Esel Fridolin, der sich hartnäckig weigerte, über die kleine Rampe in den für diesen Fall mitgenommenen Kastenwagen zu gehen. Schließlich gelang es ihnen mit vereinten Kräften, das störrische Grautier hineinzubugsieren.

      Alexander fuhr so schnell wie möglich nach Sophienlust. Schwester Regine untersuchte den Jungen gründlich und stellte dann fest, dass er nur einen verdorbenen Magen hatte.

      »Bitte, nicht böse sein«, flehte Andreas, als er im Krankenzimmer lag. »Ich war doch so unglücklich. Und weil Oliver nun fortfährt, wollte ich auch fort. Ich habe nach der Himmelsleiter gesucht, um zu Mutti und Vati zu gehen. Ich …« Er schluchzte laut auf.

      Denise wiegte Andreas zärtlich wie ein Baby in ihren Armen. »Vorläufig bleibt Oliver noch hier, mein Junge. Und dann, wenn er nicht mehr bei uns sein wird, hast du doch noch uns alle. Wir haben dich alle lieb.«

      »Tante Isi, wenn ich sterbe, komme ich doch bestimmt in den Himmel, nicht wahr?«, fragte Andreas leise.

      Ein Schauer lief Denise über den Rücken. »Andreas, an so etwas darfst du nicht denken. Versprich mir, dass du dir solche Gedanken aus dem Kopf schlägst.«

      Andreas nickte unter Tränen.

      Ein seltsamer Laut erklang in diesem Augenblick hinter Denise. Sie drehte sich um und erblickte Gesa Wendt unter der Tür, die sichtlich mit den Tränen kämpfte.

      Andreas fielen die Augen zu. Kurz darauf verrieten seine ruhigen Atemzüge, dass er schlief. Erleichtert erhob sich Denise vom Bettrand. Sie bat noch Schwester Regine, die Nacht bei Andreas zu bleiben.

      »Selbstverständlich