Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke


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Kreuz an fei­ner gol­de­ner Ket­te hat­te Papa ihr beim Früh­stück um den Hals ge­legt. Jetzt durf­te sie sich wohl schon ein we­nig der Neu­gier auf die Ge­schen­ke von Ver­wand­ten und Freun­din­nen hin­ge­ben.

      In der nied­ri­gen, an die­sem Früh­lings­ta­ge noch et­was kel­le­rig-küh­len gu­ten Stu­be des Pfarr­hau­ses er­quick­ten sich die Er­wach­se­nen an Wein und klei­nen But­ter­bröt­chen. Aga­the ver­spür­te kei­nen Hun­ger. Sie setz­te sich eif­rig mit ih­ren Pa­ke­ten auf den Tep­pich, riss an den Sie­geln, schlug sich mit den Pack­pa­pie­ren her­um. Ihre Wan­gen brann­ten glü­hen­d­rot, die Fin­ger zit­ter­ten ihr.

      »Aber, Aga­the, zer­schnei­de doch nicht all die gu­ten Bind­fa­den«, mahn­te ihre Mut­ter. »Wie Du im­mer hef­tig bist!«

      »Wenn ein Mäd­chen ge­dul­dig Kno­ten lö­sen kann, so be­kommt es einen gu­ten Mann«, er­gänz­te die Pas­to­rin aus dem Ne­ben­zim­mer, wo der Ess­tisch ge­deckt wur­de.

      »Ach, ich will gar kei­nen Mann!« rief Aga­the lus­tig, und ritsch – ratsch flo­gen die Hül­len her­un­ter.

      »Na – ver­schwör’s nicht, Mä­del«, sag­te der di­cke On­kel Gu­stav und guck­te mit lis­ti­gem Lä­cheln hin­ter sei­nem Gläs­chen Mar­sa­la her­vor. »Von heu­te ab musst Du ernst­lich an sol­che Sa­chen den­ken.«

      »Das woll­t’ ich mir ver­be­ten ha­ben«, fiel die Re­gie­rungs­rä­tin ihm ins Wort; den Ton durch­klang das Sie­ges­be­wusst­sein, wel­ches die Müt­ter sehr jun­ger Töch­ter er­füllt: Kommt nur, ihr Frei­er ihr … hei­ra­ten soll mein Kind schon – aber wer von Euch ist ei­gent­lich gut ge­nug für sie?

      »Rückerts Lie­bes­früh­ling!« schrie Aga­the da plötz­lich laut auf und schwenk­te ein klei­nes ro­tes Bü­chel­chen so ent­zückt in der Luft, dass al­les um sie her in Ge­läch­ter aus­brach.

      »Zur Kon­fir­ma­ti­on? Et­was früh!« be­merk­te Papa ver­wun­dernd und ta­delnd.

      »Ge­wiss von Eu­ge­nie?« frag­te die Re­gie­rungs­rä­tin; sie ant­wor­te­te sich selbst: »Na­tür­lich – das ist ganz wie Eu­ge­nie.«

      In­zwi­schen kam der In­halt ei­nes zwei­ten Pa­ke­tes zu Tage.

      »Geroks Palm­blät­ter – von der gu­ten Tan­te Mal­vi­ne«, be­rich­te­te Aga­the dies­mal ru­hi­ger mit an­däch­ti­ger Pie­tät.

      »Ach – das won­ni­ge Arm­band! Gera­de sol­ches hab’ ich mir ge­wünscht! Eine Per­le in der Mit­te! Nicht wahr, Mama, das ist doch echt Gold?« Sie leg­te es gleich um ihr Hand­ge­lenk. Knips! sprang das Sch­löss­chen zu.

      »– Und hier wie­der ein Buch! Der pracht­vol­le Ein­band! Des Wei­bes Le­ben und Wir­ken als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter … Von wem denn nur? Frau Prä­si­dent Dürn­heim. Wie freund­lich! – Nein, aber wie freund­lich! Sieh doch nur, Mama! Das Weib als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter mit Il­lus­tra­tio­nen von Paul Thu­mann und an­de­ren deut­schen Künst­lern!«

      »Nein – nein – wie ich mich aber freue!«

      Aga­the sprang mit ei­nem Satz vom Tep­pich auf und tanz­te vor aus­ge­las­se­nem Glück in der Stu­be zwi­schen den gel­ben und brau­nen Pa­pie­ren her­um; die lo­sen Löck­chen auf ih­rer Stirn, die Ket­te und das Kreuz auf ih­rer Brust, der Lie­bes­früh­ling und das Weib als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter, das sie bei­des zärt­lich an sich drück­te – al­les hüpf­te und tanz­te mit.

      Die er­wach­se­nen Leu­te auf dem Sofa und in den Lehn­stüh­len lä­chel­ten wie­der. Wie rei­zend sie war! Ach ja – die Ju­gend ist et­was Schö­nes!

      End­lich fiel Aga­the ganz au­ßer Atem bei ih­rer Mut­ter nie­der, warf ihr all ihre Schät­ze in den Schoß und rieb wie ein ver­gnüg­tes Hünd­chen den brau­nen Kopf an ih­rem Klei­de.

      »Ach – ich bin ganz toll«, sag­te sie be­schämt, als Mama lei­se ihr Haupt schüt­tel­te. Aga­the fühl­te ein schlech­tes Ge­wis­sen, weil Pas­tor Kend­ler ge­ra­de jetzt ein­trat. Er hat­te den Talar ab­ge­legt und trug sei­nen ge­wöhn­li­chen Hut in der Hand.

      »Du gehst noch aus?« frag­te sei­ne Frau er­schro­cken.

      »Ja – war­tet nicht auf mich mit dem Es­sen. Ich muss doch bei Gro­ter­jahns gra­tu­lie­ren – ich höre, dass ihre Fa­mi­lie durch ein Kälb­lein ver­mehrt wor­den ist«, sag­te er mit der gut­mü­ti­gen Iro­nie des re­si­gnier­ten Land­geist­li­chen, der längst er­fah­ren hat, dass er die Dor­fleu­te nur durch sein per­sön­li­ches In­ter­es­se für ihre ma­te­ri­el­len Sor­gen füg­sam zur An­hö­rung der christ­li­chen Heils­leh­re macht. »Ich be­stel­le also Wie­sing zu heut Abend her­auf –, Du woll­test doch wohl selbst mit ihr spre­chen, lie­be Cou­si­ne?« frag­te er die Re­gie­rungs­rä­tin.

      »Ja – wenn das Mäd­chen Lust hät­te, in die Stadt zu zie­hen, möch­te ich es schon ein­mal mit ihr ver­su­chen«, ant­wor­te­te die­se.

      Aga­the saß bei Tisch vor ei­nem Tel­ler, der mit gel­ben Schlüs­sel­blu­men um­kränzt war, zwi­schen Va­ter und Mut­ter. Der Kon­fir­man­din ge­gen­über hat­te Pas­tor Kand­ler sei­nen Platz, ne­ben ihm leuch­te­te On­kel Gu­stavs ro­si­ges Ge­sicht aus den blon­den Bart­ko­te­let­ten über der wei­ßen vor­ge­steck­ten Ser­vi­et­te. Die Pas­to­rin war von dem Re­gie­rungs­rat ge­führt wor­den. Un­ten, zwi­schen der Ju­gend, saß eine alte Nä­he­rin, die stets das Os­ter­fest im Pfarr­hau­se zu­zu­brin­gen pfleg­te. Nach je­dem Gang zog sie ihr Mes­ser zwi­schen den Lip­pen hin­durch, um ja nichts von den präch­ti­gen Spei­sen und der nahr­haf­ten Sau­ce zu ver­lie­ren. Wal­ter fühl­te sich in sei­ner Abi­tu­ri­en­ten­wür­de sehr ge­kränkt, weil man ihm die zahn­lücki­ge Per­son als Nach­ba­rin ge­ge­ben hat­te, und es war ihm fa­tal, dass er nicht recht wuss­te, ob es schick­li­cher von ihm sein wür­de, sie an­zu­re­den oder ihre Ge­gen­wart ein­fach zu über­se­hen. Die Re­gie­rungs­rä­tin warf gleich­falls un­be­hag­li­che Bli­cke auf die alte Flicke­rin, denn sie dach­te, ihr Mann möch­te viel­leicht an de­ren Ge­gen­wart An­stoß neh­men.

      Aber auf den Re­gie­rungs­rat Heid­ling wirk­te sie nur sanft be­lus­ti­gend. Er war ja ganz im Kla­ren dar­über, dass er sich un­ter nai­ven, welt­frem­den Leut­chen be­fand. Mit wohl­über­leg­ter Ab­sicht hat­te er sei­ne Toch­ter nicht im Krei­se ih­rer Freun­din­nen bei dem Mo­de­pre­di­ger in M. kon­fir­mie­ren las­sen, son­dern bei dem be­schei­de­nen Vet­ter sei­ner Gat­tin. Er schätz­te eine po­si­ti­ve Fröm­mig­keit an dem weib­li­chen Ge­schlecht. Für den deut­schen Mann die Pf­licht – für die deut­sche Frau der Glau­be und die Treue.

      Dass der Fonds von Re­li­gi­on, den er Aga­the durch die Er­zie­hung mit­ge­ge­ben, nie­mals auf­dring­lich in den Vor­der­grund des Le­bens tre­ten durf­te, ver­stand sich bei sei­ner Stel­lung und in den Ver­hält­nis­sen der Stadt eben­so von selbst, wie das Tisch­ge­bet und die alte Flicke­rin hier in dem pom­mer­schen Dörf­chen an ih­rem Platz sein moch­ten. »Lui­se« von Voß fiel ihm ein – in jun­gen Jah­ren hat­te er das Buch ein­mal durch­ge­blät­tert. Es tat sei­ner Toch­ter gut, die­se Idyl­le ge­nos­sen zu ha­ben. Aga­the war frisch und stark und ro­sig ge­wor­den in dem stil­len Win­ter, bei den Schlit­ten­fahr­ten über die be­schnei­ten Fel­der, in der kla­ren, her­ben Land­luft. Sein Kind hat­te ihm nicht ge­fal­len, als es aus der Pen­si­on kam. Et­was Zer­fah­re­nes, Eit­les, Schwatz­haf­tes war ihm da­mals an ihr