Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 6 – Arztroman


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      Inhalt

       Kein Fall für den Psychiater

       Verliebt in die falsche Frau

       Ein eiskaltes süßes Mädchen

       Halte fest, was dir gehört

       Die erste und die letzte Liebe

       Die verlorene Kindheit

Dr. Norden (ab 600) – Jubiläumsbox 6 –
Kein Fall für den Psychiater

      Rasch war es Herbst geworden nach einem sehr wechselhaften, regenreichen Sommer. Ein starker Wind fegte die welken Blätter von den Bäumen und wirbelte sie über die Straßen. Es war die Zeit, die viele Erkrankungen mit sich brachte und bei manchen Patienten gar Depressionen verursachte. Dr. Norden hatte wieder einmal Überstunden machen müssen, und als er sich anschickte, die Praxis endlich zu verlassen, läutete das Telefon und die Tür tat sich auch noch einmal auf.

      Wendy war schon gegangen, weil sie einen Termin beim Zahnarzt hatte. Ein Weisheitszahn plagte sie schon seit Tagen, und Dr. Norden hatte darauf bestanden, daß dem Übel endlich abgeholfen wurde.

      Mit einem schweren Seufzer nahm er das Telefon auf, ohne zu beachten, wer da jetzt eintrat. Gleich ergoß sich ein Wortschwall vom anderen Ende der Leitung über ihn. Die Frau eines kranken Patienten jammerte ihm vor, daß er unbedingt sofort zu ihrem Mann kommen müsse, da sie sonst gleich durchdrehen würde. Er kannte Frau Zimmermann zur Genüge und wußte, daß es sinnlos war, sie beschwichtigen zu wollen.

      »Ich komme, sobald ich kann, Frau Zimmermann«, sagte er nun doch ungeduldig, da ihr Redefluß nicht zu stoppen war. Dann drehte er sich um und sah eine schlanke, sehr elegante Frau nahe der Tür stehen. Ein breitrandiger Hut ließ ihr Gesicht nicht deutlich erkennen.

      »Welches Anliegen haben Sie?« fragte er müde.

      Sie nahm den Hut ab. »Kein bißchen Ahnung, wer ich bin?« fragte sie mit einem Lächeln, das jetzt doch eine Erinnerung in ihm wachrief. Ja, sie kam ihm nun irgendwie bekannt vor, aber wiederum doch fremd. Sie hatte eine so starke Ausstrahlung, die er nicht in Einklang bringen konnte mit einem gehemmten, farblosen Mädchen, das die gleichen Grübchen in den Wangen besaß. Ein bißchen mehr Ähnlichkeit konnte er dann aber doch feststellen, als ihn die schönen nachtdunklen Augen anstrahlten.

      »Ich habe mich also so verändert, daß mich nicht mal alte Bekannte erkennen«, sagte sie. Es klang etwas enttäuscht.

      »Violetta?« fragte Dr. Norden jetzt zögernd, und gleich lachte sie hell auf.

      »Also doch, jetzt bin ich froh. Ich bin halt zehn Jahre älter geworden und reifer.«

      »Und schöner«, fügte er hinzu, »das darf ich doch feststellen.«

      »Von Ihnen höre ich es gern, lieber Dr. Norden. Sie dürfen es ruhig sagen, daß ich ein häßliches Entlein war.«

      »Sie waren ein Teenager voller Komplexe, vielleicht vergleichbar mit einem kleinen Schwan, dem keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu entfalten.«

      »Ein Waisenkind, das hin- und hergeschoben wurde zwischen habgierigen Verwandten. Damals wußte ich das nicht, aber Sie waren es, der mir die Augen öffnete und mir den Weg wies, mich zu behaupten. Jetzt ist es an der Zeit, Ihnen zu zeigen, was sich dann aus dem kleinen schwarzen Schwan entwickelte. Aber ich habe schon bemerkt, daß ich zur unrechten Zeit gekommen bin. Würde der Herr Doktor mir einen Termin geben, an dem er sich in Ruhe anhören würde, was ich auf dem Herzen habe? Ich kann nicht sagen, daß mich nichts bedrückt, wenn es auch so aussehen mag.«

      »Heute ist es tatsächlich eng, aber wie wäre es morgen nachmittag, sechzehn Uhr? Es ist Mittwoch, da habe ich keine offizielle Sprechstunde.«

      »Ich komme gern und sage herzlichen Dank. Wie geht es Ihrer Frau, die Sie bitte grüßen von mir?«

      »Gut geht es, inzwischen haben wir fünf Kinder.« Als er es aussprach, kam ihm wieder eine flüchtige Erinnerung. Er entnahm ihrem Mienenspiel, daß sie plötzlich traurig wurde.

      »Dann bis morgen«, sagte sie leise, »ich bin froh, daß Sie Zeit für mich haben.«

      *

      Er fuhr zu dem Ehepaar Zimmermann und konnte feststellen, daß es dem Patienten nicht gar so schlecht ging und seine Frau mal wieder alles dramatisierte, um sich selbst als die Leidtragende darzustellen. Sie hörte sich gern reden. Für Dr. Norden war sie eine Schwätzerin, die seine Nerven strapazierte. Er setzte diesem Besuch auch recht rigoros ein Ende, indem er behauptete, noch mehr Hausbesuche machen zu müssen. Er wollte endlich nach Hause. Ein so anstrengender Tag hinterließ auch bei ihm Spuren.

      »Wann haben Sie denn endlich mal mehr Zeit?« schmollte Frau Zimmermann. »Ich habe auch meine Sorgen, und niemand hört mir zu.«

      Dr. Norden wunderte so was gar nicht, denn wer konnte es schon ertragen, wenn man einem Gespräch zuhören sollte, das wie ein Wasserfall dahinrauschte und nicht gebremst werden konnte. Er war heilfroh, als er wieder in seinem Wagen saß. Zehn Minuten später war er endlich daheim und wurde von seinen Lieben voller Mitgefühl empfangen.

      Die Kinder ließen ihn nach der Begrüßung bald in Ruhe. Sie hatten schon gegessen, und Fee konnte ihrem hungrigen Mann allein Gesellschaft leisten.

      Sie löcherte ihn nicht mit Fragen und sorgte dafür, daß er alles so vorgesetzt bekam, wie er es gern hatte, und er konnte sich dank ihrer Gegenwart ganz entspannen.

      Er erzählte erst von Violetta, als er satt und zufrieden war.

      »Violetta Fabrici«, sagte Fee gedankenvoll, »wo hat sie denn in den vergangenen Jahren gesteckt?«

      »Das werde ich erst morgen erfahren. Ich mußte noch einen Hausbesuch bei den Zimmermanns machen. Die Frau kann einen wirklich nerven, Fee. Ich muß ihn bewundern, daß er das so lange ausgehalten hat. Ich könnte diese Schnatterei nicht ertragen.«

      »Es gibt auch wenige, die nicht gleich einen großen Bogen schlagen, wenn sie irgendwo auftaucht. Ich gehe auch gleich auf Tauchstation. Aber zurück zu Violetta. Dann werde ich erst morgen erfahren, was aus ihr geworden ist.«

      »Auf jeden Fall eine sehr attraktive Frau. Ich habe sie nicht gleich erkannt. Sie hat sich zu einer Persönlichkeit entwickelt…«

      Fee schwieg nachdenklich. »Sie hat mal zu mir gesagt, daß sie sehr gern Modezeichnerin werden wolle, aber da wußte sie noch nicht, welches Erbe ihr zufallen würde. Diese ganze Sippschaft scheint es nicht geschafft zu haben, sie entmündigen zu lassen.«

      »Sie gab mir zu verstehen, daß sie es mir verdankt, daß sie sich behaupten lernte.«

      »Das freut mich für dich und auch für sie. Sie war ja tatsächlich ein armes Hascherl.«

      »Nicht ahnend, daß jeder darauf bedacht war, sie zu unterdrücken, um an ihr Erbe zu kommen. Allerdings ahnte ich damals nicht, daß es so beträchtlich sein würde. Doch jetzt glaube ich, daß sie daraus noch mehr gemacht hat, anstatt es sich nur gutgehen zu lassen.«

      »Ich bin wirklich sehr gespannt, was du erfahren wirst, aber vielleicht werde ich sie dann auch mal wiedersehen.«

      »Sie reagierte eigenartig, als ich ihr sagte, daß wir jetzt fünf Kinder haben«, sagte Daniel nachdenklich.

      »Ob sie gehofft hat, daß du wieder zu haben sein würdest?« meinte Fee verschmitzt.

      Er schüttelte den Kopf. »Nein, sie schien eher traurig zu sein. Vielleicht hat sie sich Kinder gewünscht.«

      »Oder sie hat eins verloren«, meinte Fee. »Ist sie verheiratet?«

      »Das