Kind zu sehen war, während die kleine Pepita sehr hübsch und schon sehr selbstbewußt war.
Violetta, die an logisches Denken gewöhnt war, begann zu überlegen, welchen Weg sie nun einschlagen wollte, um sich Gewißheit zu verschaffen, ob ihr Kind lebend geboren wurde und ob Pepita dieses Kind war. Sie wollte herausfinden, was für ein Mensch dieser Dr. Hernando war. Sie überlegte auch, ob sie sich irgendwie mit Santoro in Verbindung setzen könnte. War er so kaltschnäuzig, daß er sie einfach aus seinem Leben gestrichen hatte? Vielleicht war sie in seinen Augen wirklich nur ein Amüsiermädchen gewesen, und das nagte schmerzhaft an ihr.
Wie hätte er wohl reagiert, wenn ich ihm verraten hätte, daß ich eine reiche Erbin sei, anstatt mir einzubilden, um meiner selbst willen geliebt zu werden, ging es ihr durch den Sinn. Sie war wirklich sehr naiv gewesen. Seit sie aber Isadora kannte, bewegte sie das seltsame Gefühl, dieser Frau auch keinen Schmerz zufügen zu können und vielleicht hatte auch Carlos Santoro in all seinem Leichtsinn so gedacht.
Dr. Norden hat recht, ich muß mir Gewißheit verschaffen, dachte sie, sonst finde ich nie mehr Ruhe. Was immer auch geschieht, der Seele des Kindes soll kein Schmerz zugefügt werden.
*
Violetta hatte alles überdacht und war zu dem Entschluß gekommen, Ivi und Ted in ihr Vorhaben einzuweihen, damit sie Bescheid wußten, falls ihre Geschichte doch an die Öffentlichkeit dringen würde. Es war ja nicht vorauszusehen, wie sich alles entwickeln würde.
Ted war gekommen, und Ivi hatte das Abendessen zubereitet. Sie hatte vielerlei Talente und konnte auch sehr gut kochen. Violetta wirkte entspannt, als sie sich zu den beiden an den Tisch setzte.
»Habt ihr heute abend etwas vor?« fragte sie beiläufig.
Ted seufzte hörbar. »Ich bin heilfroh, zu Hause zu sein. Mir tun dir Füße weh von dem Herumlaufen.«
»War es wenigstens interessant?« fragte Violetta.
»Man kann neue Verbindungen knüpfen«, erwiderte er. »Dein Name und Vici-Moden öffnen alle Türen. Ich hoffe, daß ein paar zukunftsträchtige weit offen bleiben werden, Violetta.«
»Ich habe schon überlegt, ob ihr die Firma weiterführen würdet, wenn ich mich zurückziehe«, sagte sie ohne Gefühlsregung, aber beide sahen sie richtig entsetzt an.
»Das willst du doch nicht wirklich!« stieß Ivi hervor.
»Ich weiß nicht, mir geht so vieles durch den Sinn. Ich muß euch nach dem Essen etwas erzählen, wenn ihr Zeit habt.«
»Natürlich haben wir Zeit«, sagte Ivi, und ihre Stimme bebte leicht. »Du bist doch nicht etwa krank?«
»Nein, ich habe dir das doch schon mal gesagt. Es geht um meine Vergangenheit.«
Ivi und Ted tauschten einen ungläubigen Blick. Sie hatten sich nie Gedanken gemacht, daß Violetta auch eine Vergangenheit haben könnte.
Schweigend und bis ins Innerste ergriffen, lauschten sie dann später, als Violetta ihnen ihre Geschichte so erzählte, wie sie diese auch Dr. Norden erzählt hatte. Sie hatte alle Hemmungen jetzt überwunden, und ihre Stimme klang ruhig, als würde sie einen geschäftlichen Vortrag halten.
Es dauerte lange, bis Ivi und Ted etwas sagen konnten, und es war zuerst Ted, der erklärte, daß es ungeheuerlich sei, was man Violetta angetan hätte, wenn sich alles als Tatsache herausstellen würde.
»Ich finde es einfach kriminell«, sagte Ivi tonlos, »und dafür gehören sie bestraft. Du darfst gar keine Bedenken wegen des Kindes aufkommen lassen. Wir müssen herausfinden, was sich in dieser Klinik abgespielt hat. Wir müssen Schritt für Schritt recherchieren.«
»Du wirst dich hübsch heraushalten«, sagte Violetta. »Ich will nicht, daß du Schwierigkeiten bekommst. Mir wird schon etwas einfallen.«
»Aber ich helfe dir gern«, sagte Ivi, »du kannst nicht alles allein machen, und vor allem sollte Santoro dich nicht erkennen, bevor nicht schon Beweise vorhanden sind.«
»Er wird mich nicht erkennen, ich war ein naives Mauerblümchen«, sagte Violetta spöttisch.
»Das warst du nie, das hast du dir nur eingebildet«, widersprach Ivi. »Solche Männer gehen doch nach dem Äußeren.«
»Woher beziehst du diese Erfahrung?« fragte Ted sofort.
»Ich bin nicht von gestern, und von Anmache verstehe ich mehr als Violetta, da bin ich sicher. Ich habe genug Männer abwimmeln müssen, bis du dich meiner erbarmt hast, Ted.«
»Gut, daß du sie abgewimmelt hast«, sagte Violetta betont. »Du hast dann ja keinen schlechten Fang gemacht.«
Ted grinste, und Ivi gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange. »Das sagt er mir oft genug, aber ich bestreite es ja nicht«, erwiderte sie.
*
Carlos Santoro, ein Mann von Rang und Namen, flog als Regierungsbeauftragter von Madrid nach Berlin. Für ihn waren solche Flüge eine willkommene Abwechslung, die er genoß, weil er sich frei fühlen und alles das tun konnte, was ihm Spaß machte. Er war ein Lebemann, wenn er es auch verstand, seinen Vorlieben strenge Diskretion angedeihen zu lassen.
Seinen fast erwachsenen Kindern war er ein vorbildlicher Vater, wie er es selbst immer betonte und man es ihm auch nachsagte. Seine Frau Isadora hätte nicht gewagt, das Gegenteil zu behaupten, und auch sie war darauf bedacht, mit Rücksicht auf ihre hochangesehene und sehr religiöse Familie nach außenhin den Schein zu wahren. Sie gingen getrennte Wege, aber von einer Scheidung war nie die Rede.
Eine hübsche Stewardeß brachte ihm eine kleine Flasche Champagner und schenkte ihm ein Glas ein. Nach einem Flirt war ihm nicht zumute. Er fühlte sich nicht ganz wohl und schob das auf den Streß der letzten Tage.
Eine andere Stewardeß brachte ihm Zeitungen und Journale. Er hatte keine Lust zu lesen und blätterte nur achtlos in einem Journal, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich um eine Modezeitschrift handelte. Er hatte sich nie dafür interessiert, was seine Frau für Kleidung bevorzugte und wo sie einkaufte. Sie hatte ein eigenes, beträchtliches Vermögen, und so wußte er nicht einmal, wieviel Geld sie für Kleidung ausgab.
Plötzlich wurde sein Blick starr, als er unwillkürlich auf einem großen Foto haften blieb, das zu einem Artikel über Violetta Fabrici gehörte. La grande Dame der Modewelt wurde sie tituliert, und ihre Erfolge fanden wortreiche Bewunderung. Ihm kam die Erinnerung an ein scheues junges Mädchen, aber er wollte es nicht glauben, daß dieses mit der faszinierenden Schönheit in Einklang zu bringen sei. Er las den Artikel Wort für Wort, und dabei brach ihm der Schweiß aus. Er fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht, und seine Finger hinterließen feuchte Spuren auf den Illustriertenseiten. Diese attraktive Karrierefrau konnte doch unmöglich jene Viola Faber gewesen sein, mit der er einmal ein paar Tage in München verbracht hatte.
Ihn bewegten aber auch andere Gedanken, die noch viel quälender waren und ihm stechende Schmerzen in der Brust verursachten. Angst und eine düstere Ahnung überkam ihn, daß sein Leben aus den Fugen geraten könnte. Er wollte sich diese Gedanken ausreden, aber es gelang ihm nicht.
*
Violetta hatte noch einiges zu erledigen, bevor sie nach Madrid fliegen konnte. Ted hatte inzwischen Erkundigungen über Dr. Nicolas Fernandez eingezogen, und die waren sehr gut und beruhigend ausgefallen. Er hatte eine große Privatpraxis und genoß großes Ansehen.
Daraufhin suchte Violetta nochmals Dr. Norden auf und bat ihn, Dr. Fernandez ihr Kommen zu avisieren.
»Haben Sie sich alles gut überlegt, Violetta?« fragte Dr. Norden.
»Das habe ich, und ich habe auch mit Ivi und Ted gesprochen. Sie wissen jetzt über meine Vergangenheit Bescheid. Sie sind gute Freunde, sie haben sich bewährt.«
»Dann hoffe ich, daß Sie keine Enttäuschung erleben.«
Er dachte an das unschuldige Kind, das zum Spielball werden konnte zwischen Menschen, die die unterschiedlichsten Motive hatten. Wenn es dem Kind gutging, wenn es geliebt wurde und sich geborgen fühlte