Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 6 – Arztroman


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stünde eine hoch schwarze Wand drohend vor ihm. Er wollte nicht weiterdenken.

      »Ich werde jetzt nach Pepita sehen und mich mit den Kollegen unterhalten«, sagte er schleppend.

      *

      Violetta war in Madrid gelandet. Im Hotel angekommen, rief sie sofort Dr. Fernandez an. Er hatte bereits mit Daniel Norden ein längeres Telefonat gehabt und war auf ihr Kommen vorbereitet.

      Er gab sich Mühe, deutsch zu sprechen und war überrascht, daß sie die spanische Sprache perfekt beherrschte. Gehört hatte er von ihr und Vici-Moden noch nichts, da er Junggeselle war und sich auch nicht für Damenmoden interessierte. Er verabredete mit Violetta einen Termin für den späteren Nachmittag. Es war ihm recht, sie im Hotel aufzusuchen, da es sich nicht um eine Untersuchung, sondern um seinen ärztlichen Rat handelte.

      Daniel Norden hatte ihn schon vorbereitet, daß es sich um eine sehr diffizile und diskrete Angelegenheit handelte, aber er neigte nicht dazu, sich schon vorher Gedanken über mögliche Probleme zu machen.

      Er war pünktlich und maßlos überrascht, es mit einer so attraktiven Frau zu tun zu haben.

      Violetta lernte einen Mann kennen, der der Prototyp eines Intellektuellen war und äußerlich nicht als Spanier eingeordnet werden konnte.

      Allein seine dunkle, warme Stimme gefiel ihr gleich, aber im Laufe der Unterhaltung stellte sie fest, daß dieser Mann nicht nur einen wachen Verstand sondern auch Einfühlungsvermögen besaß. Hatte sie anfangs auch nur zögernd die richtigen Worte gefunden, so verstand er es, ihr leichtzumachen, was sie erklären mußte.

      Sein Blick schien ihr Innerstes ergründen zu wollen, aber es war ihr nicht unangenehm, wie er sie ansah.

      »Sie sind also nicht sicher, ob dieses Mädchen tatsächlich Ihre Tochter ist«, stellte er fest.

      »Ich möchte es herausfinden, es sind in mir viele Zweifel geweckt worden. Sicher ist bisher nur, daß das Kind adoptiert wurde und ein Muttermal hat, das meinem gleicht.«

      »Der Vater ist Spanier, verheiratet und mit dem Arzt befreundet, in dessen Klinik Sie das Kind zur Welt brachten?«

      »Soviel habe ich in Erfahrung gebracht. Der Arzt soll jetzt eine Privatpraxis haben. Sein Name ist Dr. Hernando.«

      Es konnte ihr nicht entgehen, daß seine Augenbrauen leicht emporruckten, so beherrscht sein Mienenspiel sonst auch war.

      »Er ist Ihnen bekannt?« sagte sie gepreßt.

      »Man kennt sich flüchtig. Ich bin nicht sehr gesellig, er schon. Er hat einen guten Ruf als Gynäkologe. Ich bin Internist.«

      Ein kurzes, gedankenvolles Schweigen folgte. Dann spürte Violetta seinen Blick. Plötzlich wich die Spannung von ihr, und sie empfand eine wohltuende Ruhe.

      »Wie wollen Sie vorgehen, Señora Fabrici? Direkt oder diplomatisch?«

      Ihr gefiel es sehr, daß er nicht herumredete, sondern mit wenigen Worten sagte, was er dachte. Es war auch ihr eigener Stil.

      »Mir wäre es ja am liebsten, wenn die beiden Frauen nichts mitbekommen würden. Sie tun mir leid, aber es nagt sehr in mir, welch böses Spiel mit mir getrieben wurde.«

      »Es ist unentschuldbar und verwerflich«, sagte er. »Selbst wenn Hernando falsch informiert wurde über Ihre Person, durfte er nicht von einer Todgeburt sprechen. Das ist ein Verbrechen gegen Sie und das Kind.«

      »Ich hatte den Eindruck, daß Antonella das Kind sehr liebt«, sagte Violetta leise. »Sie ist Pepita eine liebevolle Mutter. Bitte sehen Sie in mir nicht eine rachsüchtige, sitzengelassene Geliebte. Ich glaubte damals, diesen Mann zu lieben und habe ihm vertraut. Die Erkenntnis, nur zum Zeitvertreib benutzt worden zu sein, war schon demütigend genug, aber dieser schreckliche Betrug macht mich zornig.«

      »Ich verstehe Sie, und die Beteiligten sollten ruhig wissen, daß ihr makabres Vorgehen ans Licht gekommen ist. Mein Bruder ist Anwalt, man könnte ihn einschalten, wenn Sie einverstanden sind. Es verleiht der Angelegenheit einen offiziellen Anstrich. Ich könnte dann den Gentest durchführen lassen, um vorerst noch die auch von Ihnen gewünschte Diskretion walten zu lassen.«

      »Das wäre mir sehr recht. Es würde sich zeigen, wie sich die beiden Männer verhalten. Jetzt muß ich Ihnen wohl sagen, daß es sich bei dem Vater meines Kindes um Carlos Santoro handelt.«

      In seinem Gesicht zeigte sich keine Regung, aber Violetta bemerkte, daß seine Augen einen ganz anderen Ausdruck bekamen.

      »Ja, er ist ein bekannter Mann«, sagte er. Jetzt klang seine Stimme kalt, und unwillkürlich kroch ein Frösteln durch Violettas Körper.

      »Er hat eine sehr nette Frau«, sagte sie mit erzwungener Ruhe. »Ich gebe zu, daß ich ihre Bekanntschaft gesucht habe, als ich erfuhr, daß sie Isadora Santoro ist, aber ich habe nicht geahnt, was ich dadurch erfahren würde. Sie war so arglos, als sie mich auf Pepitas Muttermal aufmerksam machte. Sie denkt sicher auch nicht einen Augenblick daran, welche Verbindung es zwischen uns gibt.«

      »Aber sie weiß, was sie von ihrem Mann zu halten hat«, sagte Nicolas Fernandez. »Er hat sie öfter als einmal betrogen. Es ist an der Zeit, daß er seine Rechnung präsentiert bekommt.«

      »Sie werden mir behilflich sein?« fragte Violetta stockend, da sie spürte, daß bei ihm ein ganz persönliches Interesse an Santoro mitspielte.

      »Ich werde mit meinem Bruder sprechen, dann treffen wir uns wieder. Sie brauchen das nicht allein durchzustehen.«

      Er verabschiedete sich mit einem Handkuß, und sie blieb ziemlich verwirrt zurück.

      *

      Juan Hernando stand an Pepitas Bett. Das Kind sah ihn mit großen, fragenden Augen an.

      »Warum bin ich in der Klinik, Papa?« fragte sie.

      »Du bist in dieser Woche zum dritten Mal gestürzt, und deshalb wirst du untersucht.«

      »Aber du bist doch Arzt, du kannst mich auch untersuchen.«

      »Ärzte behandeln ihre Angehörigen nicht so gern selbst, Pepita.«

      »Ich habe Anämie, das habe ich gehört. Was ist das?«

      »Blutarmut, du mußt entsprechend behandelt werden. Jetzt ist es wichtig, daß du kräftiger wirst.«

      »In Marbella ist es mir gutgegangen. Mama sagt, daß wir wieder nach Marbella fahren.«

      »Ja, das wäre gut.«

      »Hast du wieder mit Mama gestritten?«

      »Wir streiten doch nicht. Wir sind nur manchmal verschiedener Meinung, das ist nichts Schlimmes.«

      »Tante Isadora ist zu ihren Eltern gefahren. Meinst du, daß sie auch mit ihrem Mann gestritten hat?«

      »Das geht uns nichts an. Denk nicht darüber nach, Pepita, schlaf jetzt lieber.«

      »Wann fahren wir nach Marbella? Ich will nicht in der Klinik bleiben.«

      »Mama geht es auch nicht gut. Ihr könnt nicht gleich losfahren.«

      Er fühlte sich hilflos, und unwillkürlich kam ihm in den Sinn, wie unsensibel er manchmal mit Patienten sprach, wenn es um ihren Zustand ging. Aber wie war es damals mit Viola Faber gewesen? Lange hatte er das verdrängen können, aber jetzt verfolgte ihn ihr Gesicht, das damals so blutleer und verängstigt gewesen war.

      Jetzt wußte er, daß ihn das Schuldbewußtsein nie mehr loslassen würde und empfand es als Strafe Gottes, daß Pepita zum Sterben verdammt sein könnte, wenn es keinen Knochenmarkspender geben würde. Ob Carlos doch dazu bereit sein würde? Dann käme die Wahrheit ans Licht, und wenn es stimmte, daß jene Viola Faber inzwischen eine prominente Unternehmerin war, könnte es erst recht zu einem Skandal kommen. Juan Hernando sah sich in einem Netz verstrickt, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Er liebte das Luxusleben, Geld bedeutete ihm mehr als alles andere und sein Ruf als Arzt war ihm ungeheuer wichtig. Sollte alles zu Ende sein, weil dieses Kind krank geworden war? Hätte es