Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 6 – Arztroman


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Ich sehe nach, ob ich helfen kann.«

      »Und was ist mit mir?«, fragte Anneka kläglich, als ihr Vater an ihr vorbei aus der Praxis eilte. Es hatte sie viel Überwindung gekostet, hierher zu kommen, und sie konnte sich vor Schmerzen kaum aufrecht halten.

      Doch Daniel hatte keine Zeit mehr.

      »Danny kümmert sich um dich!«, rief er ihr über die Schulter zu und war auch schon zur Tür hinaus.

      Danny, der die Not seiner Schwester erkannte, fasste sie behutsam an den Schultern und führte sie mit sich.

      »Du hast Glück, dass du früh genug dran bist. Das Wartezimmer ist noch leer. Was machst du eigentlich hier?«, fragte er, während er sie in sein Sprechzimmer brachte. »Müsstest du nicht eigentlich in der Schule sein?«

      Anneka wartete mit einer Antwort, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann setzte sie sich vorsichtig auf die Kante des Stuhls, der vor seinem Schreibtisch stand.

      Erst jetzt, während er sie beobachtete, fiel Danny auf, wie schlecht seine Schwester aussah.

      »Bist du krank?«

      »Ich weiß nicht«, antwortete sie, und plötzlich schwammen ihre Augen in Tränen. »O Danny, ich hab solche Angst ...«

      Entsetzt über diesen unerwarteten Gefühlsausbruch kam Danny wieder um den Schreibtisch herum. Er nahm seine Schwester in die Arme und wiegte sie so lange, bis das Schluchzen endlich weniger wurde und schließlich aufhörte. Dabei verfolgte er mit einem Ohr das, was draußen vor sich ging. Offenbar hatte sein Vater den richtigen Instinkt gehabt. Die Sirenen wollten gar nicht mehr aufhören und ein Rettungswagen nach dem anderen eilte zum Unglücksort, der offenbar nicht weit von der Praxis entfernt lag.

      Schließlich wurde auch Anneka aufmerksam. Mit einem Papiertuch, das Danny ihr reichte, wischte sie die Tränen vom Gesicht.

      »Was ist denn da draußen los?«, fragte sie ängstlich.

      Doch Danny schüttelte den Kopf.

      »Das finden wir später raus. Jetzt kümmern wir uns erst mal um dich. Dazu solltest du mir aber endlich sagen, was dir fehlt.«

      Anneka zögerte. Dann gab sie sich einen Ruck und begann zu erzählen. Von ihrer ersten Begegnung mit Noah über ihre Angst, schwanger zu sein bis hin zu dem negativen Schwangerschaftstest und den Schmerzen, die plötzlich am vergangenen Abend eingesetzt hatten.

      »Trotz Wärmflasche und Tee ist es heute Nacht noch schlimmer geworden«, schloss sie ihren Bericht schüchtern. »Noah meinte, dass ich zu euch in die Praxis gehen soll. Dabei hab ich so eine Angst davor, schwanger zu sein«, gestand sie und wagte es nicht, ihrem Bruder ins Gesicht zu sehen.

      Trotz ihrer Qual musste Danny leise lachen, als er sie hinüber ins Ultraschallzimmer brachte. Inzwischen hatte sich das Wartezimmer gefüllt, und Janine und Wendy hatten alle Hände voll zu tun. Das lag auch an den Patienten, die mit blutenden Wunden im Flur saßen und auf ihre Behandlung warteten.

      »Legst du dich bitte hier hin und machst schon mal den Bauch frei?«, fragte Danny, der es allmählich mit der Angst zu tun bekam.

      Inzwischen waren die Sirenen draußen verstummt. Doch die Menge der Patienten sprach eine deutliche Sprache. Er eilte aus dem Ultraschallzimmer, um Auskunft zu bekommen, und fing Wendy ab, die gerade eine Schachtel Verbände aus einem Schrank auf dem Flur holte.

      »Was ist passiert?«

      »Offenbar eine Gasexplosion. Ein Wohnhaus hier in der Nähe ist in die Luft geflogen«, antwortete sie und drückte Danny die Schachtel in die Hand. Sie legte Desinfektionsmittel und Infusionsnadeln darauf und schloss die Schranktüren. Dann drehte sie sich zu dem jungen Arzt um. »Dein Vater hat angerufen. Er versorgt die Patienten vor Ort. Diejenigen, die schwer verletzt sind, werden in die umliegenden Kliniken verlegt. Die anderen lässt er hierher bringen. Du sollst dich um sie kümmern. Er kommt so schnell wie möglich her, um dir zu helfen.«

      Stumm hatte Danny den Anweisungen der langjährigen Assistentin gelauscht und sah ihr dabei zu, wie sie die Schachtel und alle andren Utensilien wieder an sich nahm.

      »Gut. Aber zuerst muss ich mich um Anneka kümmern«, gab er zu bedenken.

      Der Zustand seiner ältesten Schwester machte ihm Sorgen. Dass sie in die Praxis gekommen war, zeugte von ihrer großen Not.

      Wendy verstand und nickte.

      »Natürlich. Janine und ich kümmern uns inzwischen um die leichteren Fälle, die nur einen Verband brauchen.« Sie nickte dem jungen Arzt aufmunternd zu und verschwand eilig um die Ecke.

      Angesichts der angespannten Lage zögert auch Danny nicht und kehrte zu seiner Schwester zurück, die auf der Liege lag und geduldig auf ihn wartete.

      »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, entschuldigte er sich und begann mit der Untersuchung. »Hast du hier Schmerzen?«, fragte er und tastete den Unterleib seiner Schwester ab. »Und hier?«, forschte er weiter, als sie verneinte.

      »Das tut weh!« Um ein Haar hätte sie laut aufgeschrien.

      Danny runzelte die Stirn.

      »Aha, und das hier?«

      »Ja, das auch«, presste seine Schwester durch die Zähne. Doch trotz ihres Leids galten ihre Gedanken auch den Verletzten draußen. »Es tut mir leid, dass ich dich ausgerechnet heute brauche, wo so viel los ist.«

      Das war wieder einmal typisch Anneka. Missbilligend schüttelte Danny den Kopf.

      »Dafür brauchst du dich doch nicht entschuldigen«, erwiderte er mit mildem Tadel in der Stimme. »Eine Blinddarmentzündung hast du jedenfalls nicht«, konnte er wenigstens in einer Hinsicht Entwarnung geben. Draußen wurde es immer hektischer und allmählich brannte ihm die Zeit unter den Nägeln. »Wir machen jetzt noch einen Ultraschall. Dann wissen wir vielleicht mehr«, beschloss er, darauf bedacht, nicht zu sehr auf die Geräusche vom Flur zu achten. »Schiebst du bitte mal das Shirt hoch?«

      Auch Anneka bemerkte die Unruhe.

      »Wir können das gerne ein andermal machen, Danny«, schlug sie mit schlechtem Gewissen vor. »Da draußen sind Menschen, die deine Hilfe brauchen.«

      »Du brauchst meine Hilfe auch, sonst wärst du nicht hier!«, widersprach der junge Arzt, doch der Zwiespalt stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hastig griff er nach einer Plastikflasche und drückte etwas von dem durchsichtigen Gel auf Annekas Bauch. Er verteilte es mit dem Schallkopf und konzentrierte sich so gut es ging auf das Bild auf dem Monitor.

      »So, hier haben wir deine Gebärmutter.« Eine angestrengte Falte stand zwischen seinen Augen. »Ich kann dich beruhigen. Wenn du schwanger wärst, hätten wir hier eine Fruchthöhle mit Inhalt. Das kleine Herz würde auch schon schlagen. Aber hier ist weit und breit nichts zu sehen.«

      Wenigstens das war eine gute Nachricht, und vor Freude wusste Anneka nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

      »O Danny, mir fällt ein Stein vom Herzen.«

      »Mir erst, wenn ich weiß, woher deine Schmerzen kommen«, widersprach er ungewöhnlich ernst und starrte angestrengt auf das Ultraschallbild. »Hier sieht irgendwas komisch aus. Dieser Bereich ist zu dunkel. Und an dem Eileiter da ...« Eine Weile fuhr Danny mit dem Schallkopf über Annekas Bauch und versuchte zu deuten, was er da sah. Doch er war kein Frauenarzt, und die Bilder waren zu unspezifisch, als dass er eine sichere Diagnose hätte stellen können.

      »Ich bin mir fast sicher, dass deine Schmerzen mit dem rechten Eileiter zusammenhängen. Aber ehrlich gesagt kann ich nicht einschätzen, was genau los ist«, musste er sich und seiner Schwester endlich eingestehen und zupfte ein Papiertuch aus dem Spender, um den Schallkopf zu säubern. »Mir wäre es am liebsten, wenn du in die Klinik zu einem Gynäkologen gehen würdest.«

      »In die Klinik?«, fragte Anneka entgeistert. »Muss das sein?« Inzwischen hatte auch sie das Gel vom Bauch gewischt und sich unter Schmerzen auf der Liege aufgesetzt.

      »Dort wirst du schnell untersucht und kannst im