Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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Disziplinen, z.B. namentlich solche der Jurisprudenz, übernehmen und verwenden. – Nun ist selbstverständlich die juristische Begriffsbildung keine »kausale«. Sie erfolgt, soweit sie begriffliche Abstraktion ist, unter der Fragestellung: wie muß der zu definierende Begriff X gedacht werden, damit alle diejenigen positiven Normen, welche jenen Begriff verwenden oder voraussetzen, widerspruchslos und sinnvoll, neben-und miteinander bestehen können? Es steht nichts im Wege, diese Art der Begriffsbildung, welche die eigenartige »subjektive Welt« der juristischen Dogmatik konstituiert, »teleologisch« zu nennen136. Allein so selbstverständlich die Bedeutung der so gewonnenen juristischen Begriffsgebilde gegenüber den Begriffsbildungen aller kausal erklärenden Disziplinen gänzlich autonom ist, mit kausaler Interpretation der Wirklichkeit gar nichts zu schaffen hat, – so unzweifelhaft ist es, daß die Geschichte und alle Spielarten der nicht normativen »Gesellschaftswissenschaften« diese Begriffsbildungen in ganz anderem Sinne verwerten als die juristische Dogmatik. Für letztere steht der begriffliche Geltungsbereich gewisser Rechtsnormen, für jede empirisch-geschichtliche Betrachtung dagegen das faktische »Bestehen« einer »Rechtsordnung«, eines konkreten »Rechtsinstituts« oder »Rechtsverhältnisses« nach Ursachen und Wirkungen in Frage. Sie finden als diesen »faktischen Bestand« in der historischen Wirklichkeit die »Rechtsnormen« einschließlich der Produkte der dogmatisch-juristischen Begriffsbildung lediglich als in den Köpfen der Menschen vorhandene Vorstellungen vor, als einen der Bestimmungsgründe ihres Wollens und Handelns neben anderen, und sie behandeln diese Bestandteile der objektiven Wirklichkeit wie alle anderen: kausal zurechnend. Das »Gelten« eines bestimmten »Rechtssatzes« kann z.B. für die abstrakte ökonomische Theorie unter Umständen begrifflich sich auf den Inhalt reduzieren: daß bestimmte ökonomische Zukunftserwartungen eine an Sicherheit grenzende faktische Chance der Realisierung haben. Und wenn die politische oder soziale Geschichte juristische Begriffe verwenden – wie sie dies fortwährend tun –, so wird das ideale Gelten wollen des Rechtssatzes hier nicht erörtert, sondern die juristischen Normen sind nur der für die Geschichte allein in Betracht kommenden faktischen Realisierung gewisser äußerer Handlungen von Mensch zu Mensch terminologisch soweit substituiert, als dies nach Lage der Sache möglich ist. Das Wort ist dasselbe, – was gemeint ist, etwas im logischen Sinn toto coelo Verschiedenes. Der juristische Terminus ist hier teils Bezeichnung einer oder vieler faktischer Beziehungen, teils ein »idealtypischer« Kollektivbegriff geworden. Daß dies leicht übersehen wird, ist die Folge der Bedeutung rechtlicher Termini in der Praxis unseres Alltagslebens; – und im übrigen ist der Sehfehler nicht häufiger und nicht schwerwiegender als der umgekehrte: daß Gebilde juristischen Denkens mit Naturobjekten identifiziert werden. Der wirkliche Tatbestand ist, wie gesagt: daß der juristische Terminus zur Erfassung eines rein kausal zu analysierenden realen Sachverhaltes verwendet wird und normalerweise auch verwendet werden kann, weil wir alsbald dem Geltenwollen juristischer Begriffsgebilde das faktisch existente soziale Kollektivum unterschieben137. –

      Würde man endlich – wie dies sicherlich Münsterbergs eigentlicher, wennschon durch seine eigenen Ausführungen verdunkelter Ansicht entspricht –, unter »subjektivierendem« und deshalb »teleologischem« Denken ein solches verstehen, welches, unbekümmert um die Abstraktionen psychologischer Theorien, das »Wollen« in seiner empirischen, ungebrochenen Gegebenheit nimmt, und seinen Ablauf, seine Konflikte und Verbindungen mit fremdem Wollen und – was aber bei Münsterbergs Ausdrucksweise immer wieder unter den Tisch fällt – mit den Widerständen und »Bedingungen« der »Natur«, denkend zu erfassen sucht, so würde die Tatsache, daß es andere Disziplinen gibt, welche für ihre Erkenntniszwecke das »Wollen« als einen »Empfindungskomplex« behandeln, doch keine prinzipielle, wie Münsterberg sagt: »ontologische«, Kluft zwischen beiden Betrachtungsweisen begründen. Sie würde auch einer Gewinnung von kausalen Regeln durch eine Disziplin, für welche das »Wollen« ein- für allemal die letzte, nicht weiter zu zerlegende »Einheit« bildet, nach dem früher Ausgeführten natürlich durchaus nicht im Wege stehen.

      Immer wieder bleibt also als spezifisches Merkmal der »subjektivierenden« Wissenschaften, soweit sie historische Wissenschaften und nicht normative Disziplinen sind, das Ziel des »Einfühlens«, »Nacherlebens«, kurz des »deutenden Verstehens«. Der Objektivierung entrinnt aber bei den auf dieses Verstehen abzielenden Disziplinen der konkrete psychische Vorgang, z.B. das »unmittelbar« verständliche »Wollen« und ebenso auch das »Ich« in seiner »unmittelbar« verständlichen »Einheit« niemals, wo immer es sich um eine wissenschaftliche Darstellung von Tatsachen handelt, zu deren Wesen es eben gehört, daß sie überindividuell als »objektive Wahrheit« gelten will. Diese Objektivierung wird sich, wo es sich um die Ausnutzung unserer Fähigkeit des »deutenden« Verstehens handelt, teilweise, namentlich in der Art und Weise ihrer begrifflichen Bestimmtheit, anders gestalteter Demonstrationsmittel bedienen, als da, wo das Zurückgehen auf »unverstandene«, aber eindeutig bestimmte »Formeln« das Ziel sein soll, und allein sein kann, aber »Objektivierung« ist sie eben auch. Münsterberg138 ist der Ansicht, daß das subjektivierende »Nachfühlen«, welches, im Gegensatz zu der ebenfalls von dem »Anerkennen« fremder Subjekte ausgehenden, dann aber im Interesse der Beschreibung, Erklärung und Mitteilung den Weg der »Introjektion« einschlagenden Psychologie, der Historiker verwende, sich auf das »Zeitlose« des »Erlebnisses« beziehe, daher wesensgleich mit dem »Verstehen« des »stellungnehmenden Subjektes sei«. Je weniger »begrifflich« bestimmt der Ausdruck, desto sicherer erreiche daher der Historiker seinen Zweck. Wir kommen darauf noch näher zurück, hier sei nur folgendes dazu bemerkt: Die Kategorie der »Deutung« zeigt ein doppeltes Gesicht: sie kann 1. eine Anregung zu einer bestimmten gefühlsmäßigen Stellungnahme sein wollen – so die »Suggestion« eines Kunstwerks oder einer »Naturschönheit«: dann bedeutet sie die Zumutung zum Vollzug einer Wertung bestimmter Qualität. Oder sie kann 2. Zumutung eines Urteils im Sinn der Bejahung eines realen Zusammenhanges als eines gültig »verstandenen« sein: dann ist sie das, was wir hier allein behandeln: kausal erkennende »Deutung«139. Sie ist bei der »Naturschönheit« in Ermangelung metaphysischer Aufstellungen ausgeschlossen, beim Kunstwerk auf die historische »Deutung« der »Intentionen« und der »Eigenart« des Künstlers in ihrer Bedingtheit durch die zahllosen in Betracht kommenden Determinanten seines Schaffens beschränkt. Wenn in den »Genuß« des Kunstwerks beides ungeschieden einzugehen pflegt und in den Darstellungen der Kunsthistoriker nur zu oft beides nicht geschieden wird, wenn ferner die faktische Scheidung ungemein schwer fällt und die Fähigkeit dazu erarbeitet werden will, und wenn endlich und vor allem die wertende Deutung in gewissem Umfang der unentbehrliche Schrittmacher für die kausale Deutung ist, – so ist die prinzipielle Scheidung beider von der Logik doch selbstverständlich unbedingt zu postulieren. Sonst wird »Erkenntniszweck« und »praktischer Zweck« ähnlich ineinander geschoben, wie dies so oft zwischen Erkenntnisgrund und Realgrund geschieht. Es steht jedermann frei, sich auch in Form einer historischen Darstellung als »stellungnehmendes Subjekt« zur Geltung zu bringen, politische oder Kulturideale oder andere »Werturteile« zu propagieren und zur Illustration der praktischen Bedeutung dieser und anderer, bekämpfter, Ideale das ganze Material der Geschichte zu verwenden, ganz ebenso wie Biologen oder Anthropologen gewisse »Fortschritts«-Ideale sehr subjektiver Art oder philosophische Ueberzeugungen in ihre Untersuchungen hineintragen und damit natürlich nichts anderes tun, als jemand, der das ganze Rüstzeug naturwissenschaftlicher Erkenntnis zur erbaulichen Illustration etwa der »Güte Gottes« verwertet. In jedem Fall redet aber dann nicht der Forscher, sondern der wertende Mensch, und wendet sich die Darlegung an wertende, nicht nur an theoretisch erkennende Subjekte. Die Logik ist durchaus außerstande zu hindern, daß eben aus diesem Grunde der Markt des stürmisch wollenden und ethisch oder ästhetisch wertenden Lebens gerade diese Bestandteile als das eigentliche »Wertvolle« einer »historischen Leistung« ansieht, – was sie allein feststellen kann und, will sie sich treu bleiben, muß, ist: daß in diesem Fall nicht der Erkenntniszweck es ist, an welchem gemessen wird, sondern andere Zwecke und Gefühlswerte der Lebenswirklichkeit. Auch die Geschichte behandelt »objektivierte Selbststellungen«, wie dies Münsterberg140 für die Psychologie in dem Anfangsstadium ihrer Begriffsbildung statuiert. Der Unterschied beider ist, daß die Geschichte zwar generelle