Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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es mit einem prinzipiell andersartigen Sein als Objekt zu tun haben, als alle jene Wissenschaften, welche, wie Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, auf die Bildung von Allgemeinbegriffen auf dem Wege der in »Induktion«, »Hypothesenbildung« und Verifizierung der Hypothesen an den »Tatsachen« verlaufenden »objektivierenden Erfahrung« ausgehen. Nicht um die von keinem Verständigen geleugnete absolute Gegensätzlichkeit alles »physischen« zu allem »psychischen« Sein handelt es sich dabei, sondern um eine Ansicht, nach welcher jenes »Sein«, welches »Objekt« einer analytischen Betrachtung überhaupt werden könne: – »physisches« wie »psychisches« –, prinzipiell in einem ganz anderen Sinne »sei«, wie diejenige Wirklichkeit, die wir unmittelbar »erleben« und innerhalb deren der Begriff des »Psychischen«, wie ihn die »Psychologie« verwertet, gar nicht anwendbar sei. Eine solche Auffassung würde nun auch dem von uns bisher noch gar nicht näher analysierten Begriffe der »Deutung« eine prinzipielle Grundlage geben: in dieser Art des Erkennens würde offenbar die »subjektivierende« Methode ihre eigentümliche Ausdrucksform besitzen. Die Kluft zwischen jenen beiden Arten von Wissenschaften würde aber offenbar die Gültigkeit aller Kategorien des »objektivierenden« Erkennens: »Kausalität«, »Gesetz«, »Begriff«, problematisch werden lassen. Die Grundthesen einer derartigen Wissenschaftstheorie sind wohl am konsequentesten in Münsterbergs »Grundzügen der Psychologie« entwickelt und haben alsbald die Theorie der »Kulturwissenschaften« zu beeinflussen begonnen. So wenig hier eine erschöpfende Kritik des geistvollen122 Buches am Platze ist, so kann doch, da hier der Begriff der Irrationalität des »Persönlichen« und derjenige der »Persönlichkeit« selbst einen ganz anderen Sinn zu erhalten scheint, eine Stellungnahme wenigstens zu denjenigen seiner Aufstellungen nicht umgangen werden, welche das Problem der Kausalität auf dem Gebiete menschlichen Handelns berühren und in diesem Sinne von einigen Autoren – namentlich F. Gottl – für die Erkenntnistheorie der Geschichte und der ihr verwandten Wissenschaften nutzbar gemacht worden sind. Münsterbergs Gedankengang bezüglich der für uns hier wesentlichen Punkte123 läßt sich wohl etwa so zusammenfassen: Das »Ich« des wirklichen Lebens, wie wir es in jedem Augenblicke »erleben«, kann nicht Objekt analysierender, mit Begriffen, Gesetzen und kausaler »Erklärung« operierender Forschung sein, denn es wird niemals in gleichem Sinn »vorgefunden« wie z.B. unsere »Umgebung«, es ist von »unbeschreibbarer« Art. Und ebenso die von ihm wirklich »gelebte« Welt. Denn jenes Ich ist nie nur anschauend, sondern stets und in jedem Augenblick »stellungnehmend, bewertend, beurteilend«, und die Welt kommt daher für dieses Ich – für jeden von uns, solange er »wirkt« – gar nicht als »beschreibbar«, sondern nur als »bewertbar« in Betracht. Erst wenn ich zum Zweck der Mitteilung und Erklärung die Welt als der Abhängigkeit vom Ich entzogen denke, wird sie zu einem »lediglich wahrgenommenen« Tatsachenkomplex. Schon hier ist einzuschalten, daß in dieser Theorie, wenn wir sie wörtlich verstehen wollten, offenbar die rationale Ueberlegung der Mittel zum Zweck eines konkreten »Wirkens« und der möglichen Folgen eines erwogenen Handelns keine Stätte als Teil des noch unobjektivierten »Erlebens« hätten, denn in jeder solchen Ueberlegung wird die »Welt« als »wahrgenommener Tatsachenkomplex« unter der Kategorie der Kausalität zum »Objekt«. Ohne »erfahrene« Regeln des Ablaufs des Geschehens, wie sie nur durch »objektivierende« bloße »Wahrnehmung« zu gewinnen sind, kein »rationales« Handeln124. Darauf würde indessen Münsterberg entgegnen, daß allerdings die Objektivierung der »Welt« zum Zweck der Erkenntnis letztlich in jenem rationalen Handeln wurzele, welches für seinen Zweck der Welt des »Erlebten« einen Kosmos des »Erfahrenen« unterbaut, um unsere »Erwartung« der Zukunft behufs Stellungnahme zu sichern, und daß hier tatsächlich die Quelle aller mit Begriffen und Gesetzen arbeitenden Wissenschaft liege. Die »Erfahrung« aber, welche die objektivierende Wissenschaft schaffe, sei erst möglich nach Loslösung der Wirklichkeit von der Aktualität des wirklich Erlebten. Sie sei ein für bestimmte, ursprünglich praktische, später logische Zwecke geschaffenes, unwirkliches Abstraktionsprodukt. Das aktuelle »Wollen« insbesondere werde nie in dem gleichen Sinne »erlebt«, wie man sich der Willensobjekte – welche nachher Gegenstände der »objektivierenden« Wissenschaften werden – »bewußt« werde (S. 51) und sei daher von allem »vorgefundenen« Erfahrungsinhalt prinzipiell verschieden. Man wird zunächst geneigt sein, hiergegen einzuwenden, daß es sich dabei doch lediglich um die »Verschiedenheit« des »Existenten« selbst vom »Existenzialurteil« handle, welch letzteres von uns an einem konkreten (auch eignen) Wollen genau ebenso realisiert werden könne und tatsächlich werde, wie an irgendeinem »Objekt«. Daß das Wollen existent ist, d.h. also »erlebt« wird, ist natürlich – aber ganz wie bei »wahrgenommenen« Objekten – etwas logisch anderes, als daß wir von diesem Erlebnis »wissen«. Münsterberg würde hierauf entgegnen, seine Ansicht besage ja nur, daß erst nach vollzogener »Introjektion« des Psychischen in einen Körper, welche ihrerseits erst nach vollzogener Trennung des »Psychischen« vom »Physischen« möglich werde (eine Trennung, von der das unmittelbare »Erleben« gar nichts wisse), also erst nach vollzogener »Objektivierung« der Welt, der »Wille« Gegenstand der »Beschreibung und Erklärung« werden könne. Dieser Wille sei aber alsdann nicht mehr der »wirkliche« Wille des »aktuellen Subjektes«, sondern ein durch Abstraktion gewonnenes und nun weiter zum Gegenstand der Analyse gemachtes »Objekt«. Wir wissen – nach seiner Ansicht – nun aber auch von dem wirklichen Willen in seiner erlebten Realität. Aber dieses »Wissen« von der eignen ununterbrochen »stellungnehmenden« und wertenden »Aktualität«, und ebenso von derjenigen eines anderen stellungnehmenden, d.h. wollenden und wertenden Subjekts – Mensch, oder, wie er gelegentlich ausdrücklich hervorhebt, Tier! –, bewege sich in der Sphäre der unmittelbar gelebten Wirklichkeit, der »Welt der Werte«, bedeute deshalb auch ein unmittelbares »Verstehen«, d.h. ein Mit- und Nacherleben, Nachfühlen, Würdigen und Bewerten von »Aktualitäten« – im Gegensatz zu jenem erst durch »Objektivierung«, d.h. künstliche Loslösung vom ursprünglichen »verstehenden und wertenden« Subjekt zu erzeugenden Gegenstand des »wertfreien« analytischen Erkennens, welches seinerseits eben nicht eine Welt der Aktualität innerlich »verstehen«, sondern eine Welt der »vorgefundenen« Objekte »beschreiben« und durch Auflösung in ihre Elemente »erklären« wolle. Schon zum bloßen »Beschreiben« und vollends zum »Erklären« bedürfe aber diese »objektivierende« Erkenntnis nicht nur der »Begriffe«, sondern auch der »Gesetze«, die andrerseits auf dem Gebiet des »Verstehens« des »aktuellen« Ich als Erkenntnismittel weder wertvoll noch überhaupt sinnvoll seien. Denn die Aktualität des Ich, von der eine »Wirklichkeitswissenschaft« nicht abstrahieren könne, sei die »Welt der Freiheit« und manifestiere sich als solche dem Erkennen als die Welt des deutbar Verständlichen, »Nacherlebbaren«, eine Welt, von der wir eben jenes »erlebte« Wissen haben, welches durch die Anwendung der Mittel des »objektivierenden Erkennens«: Begriffe und Gesetze, in keiner Weise vertieft werden könne. – Da nun aber, nach Münsterberg, die »objektivierende« Psychologie ebenfalls von den erlebten Inhalten der Wirklichkeit ausgeht, um sie alsdann »beschreibend« und »erklärend« zu analysieren, so verbleibt schließlich als Gegensatz der objektivierenden und der subjektivierenden Disziplinen nur die »Abhängigkeit vom Ich«, welche von den letzteren nicht aufgegeben werden kann und soll, während die ersteren von jener Abhängigkeit nur das rein theoretische, wertfreie »Erfahrenwerden« ihrer Objekte beibehalten, und daher die Einheit des »stellungnehmenden« Ich durch ihre Konstruktionen gar nicht erreichen können, da dieses Ich eben nicht »beschreibbar«, sondern nur »erlebbar« ist. Und da die Geschichte von »Akten« der »Persönlichkeiten« berichtet, einen »Willenszusammenhang« herstellen will, bei dem menschliches Werten und Wollen in seiner vollen »erlebten« Realität »nacherlebt« wird, so ist sie eine subjektivierende Disziplin.

      Daß das nur auf dem Gebiet »geistiger« Vorgänge mögliche »Einfühlen« und »Verstehen« die eigentümliche Kategorie des »subjektivierenden« Erkennens sei, daß es von ihr aus keine Brücke zu den Mitteln des objektivierenden Erkennens gebe, daß wir deshalb auch nicht berechtigt seien, nach Belieben von der einen, z.B. von der psychophysischen, zur »noëtischen« (verstehenden) Deutung eines Vorgangs gewissermaßen überzuspringen125, oder etwa Lücken, welche die eine Erkenntnisart läßt, durch die andere auszufüllen –, auf diese Sätze gründet sich – wenn man eine