Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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Altertums, deren Lebenslauf ja abgeschlossen vor uns liegt, uns in besonders weitgehendem Maße Aufschluß über den Gang unserer eigenen Entwickelung zu geben vermöge. – Ein gewisses Maß von Beeinflussung durch derartige Gedankengänge Roschers verraten noch einige frühere Aeußerungen Eduard Meyers, der dagegen jetzt, wohl namentlich unter dem Eindruck der Wege, auf die Lamprecht geraten ist, sich im wesentlichen auf den schon von Knies, wie wir sehen werden, vertretenen Standpunkt stellt.

      55 In einem u. S. 29 noch zu zitierenden Aufsatz in Schmoll. Jahrb., 1897.

      56 Wenn moderne Historiker (v. Below, Histor. Zeitschr. 81 [1898] S. 245) von den »lähmenden Gedanken der gesetzlichen Entwickelung« sprechen und der Geschichte die Aufgabe zuweisen, uns von dem »niederdrückenden und abstumpfenden Gefühle, das die von der Naturforschung vorgetragene Lehre unserer Abhängigkeit von allgemeinen Gesetzen bei uns hervorbringen will«, zu befreien, – so lag ein solches Bedürfnis für Roscher nicht vor. Die Entwickelung der Menschheit gilt ihm als zeitlich endlich im Sinn der religiösen Vorstellung vom jüngsten Tage, und daß den Völkern von Gott ihr Lebensweg in bestimmten Bahnen und Altersstufen vorgezeichnet ist, kann die Arbeitspflicht und Arbeitsfreudigkeit des Staatsmanns ebensowenig beeinträchtigen, wie das Bewußtsein, altern und sterben zu müssen, den Einzelnen lähmt.

      Uebrigens spricht die Erfahrung gegen die Bemerkung v. Belows, der – sonst ein scharfer und überaus erfolgreicher Kritiker aprioristischer Konstruktionen – hier wohl einmal seinerseits zu »konstruktiv« verfährt. Die radikalsten Neuerer standen unter dem Eindruck und Einfluß der Kalvinistischen Prädestinationslehre, des »l'homme machine« und des marxistischen Katastrophenglaubens. Wir kommen auf diesen Punkt noch mehrfach zurück.

      57 »Naturwissenschaftlich« soll hier wie im folgenden stets im Sinn von »gesetzeswissenschaftlich« verstanden sein, also die exakte Methode der Naturwissenschaften bezeichnen.

      58 Siehe die charakteristische Stelle § 37 des »Systems«, Band I und die weiterhin zitierten Stellen im Thukydides.

      59 Thuk. S. 58, 59, 62, 63.

      60 Thuk. S. 43.

      61 So der Schluß des ganzen Werkes (S. 502): »So haben von jeher die Lieblingspläne sinkender Zeiten, statt der Freiheit und Glückseligkeit, die sie verhießen, nur gesteigerte Knechtschaft und Drangsal zur Folge gehabt.«

      62 In der Gegenwart arbeitet unter den Historikern vornehmlich Lamprecht mit derartigen biologischen Analogien und Begriffen. Auch hier wird die Nation als eine »sozialpsychische« Einheit hypostasiert, welche an sich eine Entwickelung von – wie Lamprecht (Jahrb. f. Nationalökonomie 69, 119) ausdrücklich sagt – »biologischem Charakter«, das soll heißen eine in »typischen«, »regulären« Entwickelungsstufen, nach bestimmten Gesetzen verlaufende Entwickelung, erlebt. Diese Entwickelung stellt sich dar als »beständiges Wachstum der psychischen Energie« der Nation (Deutsche Zeitschrift f. Geschichtswiss. N. F. I, 109 f.): Aufgabe der Wissenschaft ist es, an Völkern mit »abgeschlossener Entwickelung« – wiederum eine Roschersche Vorstellung – diese bei jedem »normal entwickelten« Volke wiederkehrenden typischen Kulturepochen in ihrem notwendigen Hervorgehen auseinander zu beobachten und »kausal (?) zu erklären«. Lamprechts »Diapasons« (!) sind in den im Text wiedergegebenen Ausführungen im 4. Kapitel des Thukydides ganz ebenso vorweggenommen wie dessen stark dilettantische kunsthistorische Konstruktionen, und wenn man von dem »Animismus« und »Symbolismus« auf der einen, dem »Subjektivismus« auf der anderen Seite absieht, selbst die Kategorien, nach denen die Epochen geschieden werden. Das logische Mittel, welches L. anwendet: Hypostasierung der »Nation« als eines kollektiven Trägers derjenigen psychischen Vorgänge, welche nach ihm die »Sozialpsychologie« erörtern soll, ist das gleiche wie bei allen »organischen« Theorien. Auch die Bezugnahme auf das »Gesetz der großen Zahl« zur Erhärtung der »Gesetzlichkeit« in der Bewegung der sozialen Gesamterscheinungen trotz der empirischen »Freiheit« des »Einzelnen« kehrt bei ihm, wenn schon verhüllt, wieder.

      Der Unterschied zwischen Roscher und ihm beruht nur auf der nüchternen Gewissenhaftigkeit Roschers, der nie an die Möglichkeit geglaubt hat, das Wesen des einheitlichen Kosmos in einem oder einigen abstrakten Begriffen auch formulieren zu können, und der in seiner Praxis sein Schema zwar innerhalb gewisser Grenzen zur Stoffgliederung und Veranschaulichung benutzte, nie aber dessen Erhärtung zum Ziel seiner wissenschaftlichen Arbeit gemacht und diese dadurch ihrer Unbefangenheit beraubt hätte. Siehe die oben S. 17 wiedergegebenen Ausführungen in Roschers »Thukydides«.

      63 Enthalten in Roschers »Ansichten der Volksw. vom gesch. Standpunkt«, Bd. I, in dem Aufsatz über das Verhältnis der Nationalökonomie zum klassichen Altertum. Der Aufsatz ist, wie gesagt, 1849 entstanden.

      64 S. die höchst charakteristischen Bemerkungen am Schluß des § 264 und in den Noten dazu. Der logische Charakter der stark religiös gefärbten Argumentation ist ersichtlich emanatistisch, aber wie vorsichtig weicht Roscher in der Formulierung der direkten Berufung auf Gottes Ordnung aus!

      65 R. begnügt sich daher auch bei der Schilderung des »Sterbens« der Völker mit ziemlich vagen Bemerkungen (§ 264), wobei die »unvermeidliche Abnutzung aller Ideale« und die »Erschlaffung im Genuß« eine Rolle spielen. In der Geschichte der Nationalökonomik (S. 922) wird in Anlehnung an Aeußerungen Niebuhrs das Schwinden des Mittelstandes auf bestimmten Kulturstufen als »Hauptform des Alterns hochkultivierter Völker« hingestellt. Mit dem modernen geschichtsphilosophischen Kulturpessimismus, wie er wissenschaftlich u.a. von Vierkandt vertreten wird, hat R.s Standpunkt infolge seines religiös bedingten Optimismus innerlich nichts Verwandtes. – Seine Ansicht von der »Notwendigkeit« des »Verfalles« für jeden »Organismus« und deshalb auch das »Volksleben« hielt Roscher auch in den späteren Auflagen (Anm. 7 zu § 16) ausdrücklich als einen Punkt, in dem er von Schmoller abweichen müsse, aufrecht. – Roscher geht soweit, es (Thukydides S. 469) unter Berufung auf Aristoteles Politik V, 7, 16 als eins der »tiefsten Entwickelungsgesetze« zu bezeichnen, daß dieselben »Kräfte«, welche ein Volk auf den Gipfel seiner Kulturentwickelung heben, im weiteren Fortwirken es davon auch wieder herabstürzen, und gelangt so in seinem »System« (§ 264 Anm. 7) zu dem Satz: »Große Herrscher, denen man nachrühmt, daß sie durch ihre Konsequenz die Welt erobert, würden mit derselben Konsequenz, fünfzig Jahre länger fortgesetzt, ganz gewiß (!) die Welt wieder verloren haben.« Es handelt sich hier um halb platonische, halb Hegelsche Formen der Konstruktion, aber in religiöser Wendung: die »Idee« des Endlichen, welche die Notwendigkeit jenes Ablaufs enthält, ist Gottes feste Ordnung.

      66 Möglich wäre es bezüglich des »Sterbens« der Völker nur bei Identifikation des Begriffs »Volk« mit der gattungsmäßig erfaßten politischen Organisation der Staaten, also bei rationalistischer Entleerung des Begriffes »Volk«. Aus dem »Altern« würde dabei vollends lediglich die inhaltsleere Vorstellung des Ablaufs eines erheblichen Zeitraums.

      67 Roscher hat freilich diesen prinzipiellen logischen Gegensatz gar nicht bemerkt. Er identifiziert § 22 Anm. 3 in charakteristischer Weise begriffliche Abstraktion und Zerlegung eines Zusammenhangs in seine Komponenten. Die Trennung der Muskeln und Knochen durch den Anatomen ist ihm eine Analogie der Abstraktion.

      68 Wir erinnern uns hier an das, was er im »Thukydides« über das Prinzip der Kausalität gesagt hatte: das »Wichtigere« muß als Realgrund angesehen werden, aus dem die Einzelerscheinungen emanieren. Siehe oben S. 18.

      69 Siehe oben S. 19 f.

      70 Bücher (a.a.O.) bedauert, daß Roscher sein Periodisierungsprinzip nicht »dem Begriffsinhalt der eigenen Wissenschaft entnommen« habe. Es stand eben für Roscher (und ebenso für Knies, wie unten zu zeigen sein wird) keineswegs fest und versteht sich ja auch an sich durchaus nicht von selbst, daß dies überhaupt möglich bzw. in welchem Maße es methodisch fruchtbar ist.

      71 Zusammengefaßt als »Politik.