Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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wenn solche Werktätigkeit nur Spenden des Erworbenen erkennen läßt, also dem Eigennutz im Verbrauch widersagt, wäre es nicht schon an sich ein unlösbarer psychologischer Widerspruch, wenn man sich die Massen dagegen im Erwerb, auf den Bahnen der Produktion, nur von Selbstsucht und Eigennutz erfüllt denken sollte, unbekümmert um das Wohl des Nächsten und um das Gemeinwohl, solange sie Güter zu gewinnen streben?« (S. 164/5197). Und doch steht die Erfahrung aller derjenigen, welche jenen Unternehmertypus, den das heroische Zeitalter des Kapitalismus gezeitigt hat, entweder aus der Geschichte oder aus eigener Anschauung in den Nachzüglern, die er auch heute noch besitzt, kennen, dem schnurstracks entgegen, und ganze Kulturmächte, wie der Puritanismus, tragen jenes nach Knies »psychologisch« widerspruchsvolle Gepräge. Allein wie die Anm. I zitierte Berufung auf den »Begriff« der »Selbstliebe« zeigt: das Individuum darf eben kein »Mensch mit seinem Widerspruch« sein, – es ist ein »ausgeklügelt Buch«, weil es eben sonst nicht dem Postulat der inneren Widerspruchslosigkeit genugtun würde.

      Aus diesem Begriff der psychologischen »Einheitlichkeit« des Individuums folgert nun Knies für die Methodik seine wissenschaftliche Unzerlegbarkeit. Der Versuch der »Zerlegung« des Menschen in einzelne »Triebe« ist nach ihm der Grundfehler der bisherigen (klassischen) Methode198). – Man könnte glauben, Knies habe mit dieser letzteren Aeußerung jener Auffassung den Krieg erklärt, welche – Mandeville und Helvetius wie ihre Gegner – die Lehrsätze der theoretischen Nationalökonomie aus einem konstruierten Triebleben des Menschen ableiten zu müssen glaubte und deshalb, da der für sie entscheidende »Trieb«, der »Eigennutz«, nun einmal ein bestimmtes ethisches Vorzeichen trägt, Theorie und Theodizee, Darstellung und Beurteilung hoffnungslos in eine noch heute nachwirkende Verquickung miteinander brachte. In der Tat nähert sich Knies wenigstens an einer Stelle der richtigen Auffassung der Grundlagen der ökonomischen »Gesetze« in hohem Maß: »Von Anfang an«, heißt es in einem gegen Roschers Konstruktion der 'Triebe' gerichteten, freilich wenig klar formulierten Satz (2. Aufl. S. 246), »wird (scil. bei Rau und Roscher) in dem Hinweis auf die 'Aeußerungen des Eigennutzes' nicht zwischen dem 'Prinzip der Wirtschaftlichkeit' in einer – objektiviertenHaushaltungsführung und dem seelischen Trieb des Eigennutzes und der Selbstsucht in dem menschlichen Subjekte unterschieden.« Man sieht, es liegt hier die Erkenntnis ungemein nahe, daß die ökonomischen »Gesetze« Schemata rationalen Handelns sind, die nicht durch psychologische Analyse der Individuen, sondern durch idealtypische Wiedergabe des Preiskampf-Mechanismus aus der so in der Theorie hergestellten objektiven Situation deduziert werden, welche da, wo sie »rein« zum Ausdruck kommt, dem in den Markt verflochtenen Individuum nur die Wahl läßt zwischen der Alternative: »teleologische« Anpassung an den »Markt« oder ökonomischer Untergang. Indessen hat Knies aus dieser vereinzelt auftauchenden Erkenntnis keine methodologischen Konsequenzen gezogen: wie schon die früher zitierten Stellen zeigen, und wir immer wieder sehen werden, bleibt bei ihm in letzter Instanz der Glaube unerschüttert, man bedürfe, um zu begreifen, daß Fabrikanten generell ihre Rohstoffe billig zu kaufen und ihre Produkte teuer zu verkaufen beabsichtigen, eigentlich nicht viel weniger als einer Analyse des gesamten empirischen menschlichen Handelns und seiner psychologischen Triebfedern überhaupt. – Vielmehr hat die Ablehnung der »Zerlegung« des »Individuums« bei ihm einen andern Sinn: »Weil ... die Eigentümlichkeit des einzelnen Menschen wie die eines ganzen Volkes sich aus einem einheitlichen Springquell erschließt, alle Erscheinungskreise der menschlichen Tätigkeit sich auf eine Totalität zurückbeziehen und eben deshalb untereinander in Wechselwirkung stehen, so können weder die Triebfedern der wirtschaftlichen Tätigkeit, noch auch die ökonomischen Tatsachen und Erscheinungen ihren eigentlichen Charakter, ihr ganzes Wesen offenbaren, wenn sie nur isoliert ins Auge gefaßt werden« (S. 244). Der Satz zeigt zunächst, daß Knies – in diesem Punkt durchaus wie Roscher denkend – seine »organische« Theorie vom Wesen des Individuums im Prinzip auch auf das »Volk« anwendet. Was unter einem »Volk« im Sinn seiner Theorie zu verstehen ist, hält er dabei nicht nötig zu bestimmen: er hält es augenscheinlich für ein in der gemeinen Erfahrung eindeutig gegebenes Objekt199) und identifiziert es gelegentlich ausdrücklich (2. Aufl. S. 490) mit der staatlich organisierten Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft nun ist ihm nicht nur, selbstverständlich, etwas anderes als die »Summe der Individuen«, sondern dieser letztere Umstand ist ihm nur eine Folge des viel allgemeineren Prinzips, daß überall und notwendig – wie er (S. 109) es ausdrückt – »ein ähnlicher Zusammenklang« (nämlich wie zwischen den Lebensäußerungen einer »Persönlichkeit«) »auch aus den Lebensäußerungen eines ganzen Volkes heraustönt«. Denn: »Wie von einem einheitlichen Kern aus umfaßt das geschichtliche Dasein eines Volkes die verschiedenen Lebenskreise.« Daß unter dieser »Einheitlichkeit« mehr als die nur rechtliche oder die durch gemeinsame historische Schicksale, Traditionen und Kulturgüter bedingte, historisch erwachsene gegenseitige Beeinflussung aller Lebensgebiete zu verstehen ist, daß vielmehr für Knies umgekehrt die »Einheitlichkeit« das prius ist, aus welchem die Kultur des Volkes emaniert, ergibt sich nicht nur aus der oben zitierten, mehrfach wiederkehrenden Parallele zwischen der »Totalität« beim Individuum und beim Volk, sondern auch aus zahlreichen anderen Aeußerungen. Jene »Totalität« bedeutet insbesondere auch beim Volk eine einheitliche psychologische Bedingtheit aller seiner Kulturäußerungen: die »Völker« sind auch für Knies Träger einheitlicher »Triebkräfte«. Nicht die einzelnen geschichtlich werdenden und empirisch konstatierbaren Kulturerscheinungen sind Komponenten des »Gesamtcharakters«, sondern der »Gesamtcharakter« ist Realgrund der einzelnen Kulturerscheinungen: er ist nicht etwas Zusammengesetztes, sondern das Einheitliche, welches sich in allem einzelnen auswirkt, – zusammengesetzt ist – im Gegensatz zu den natürlichen Organismen – nur der »Körper« des Volksorganismus200). Die einzelnen »Seiten« der Kultur eines Volkes sind daher in keiner Weise gesondert und für sich, sondern lediglich aus dem einheitlichen Gesamtcharakter des Volkes heraus wissenschaftlich zu begreifen. Denn ihr Zusammenschluß zu einer »Einheit« ist nicht etwa bedingt durch gegenseitige »Angleichungs«- und »Anpassungs«-Prozesse, oder wie immer sonst man die durch den Allzusammenhang des Geschehens bedingten gegenseitigen Beeinflussungen alles »Einzelnen« unter sich bezeichnen will, sondern umgekehrt: der notwendig in sich einheitliche und widerspruchslose »Volkscharakter« »strebt« seinerseits stets und unvermeidlich dahin, unter allen Umständen einen Zustand der Homogenität auf und zwischen allen Gebieten des Volkslebens herzustellen201). Die Natur dieser dunklen, der vitalistischen »Lebenskraft« gleichartig gedachten Macht wird nicht zu analysieren versucht: sie ist, wie der Roschersche »Hintergrund«, eben das schlechthin letzte Agens, auf welches man bei der Analyse historischer Erscheinungen stößt. Denn wie in den Individuen das, was ihre »Persönlichkeit«, ihren »Charakter« ausmacht, den Charakter einer »Substanz« hat – dies ist ja doch der Sinn der Kniesschen Persönlichkeitstheorie –, so ist eben hier dieser Substanzcharakter ganz im Geist der Romantik auch auf die »Volksseele« übertragen, – eine metaphysische Abblassung von Roschers frommem Glauben daran, daß die »Seelen« der Einzelnen wie der Völker direkt aus Gottes Hand stammen.

      Und über den »Organismen« der einzelnen Völker steht endlich der höchste organische Zusammenhang: derjenige der Menschheit. Die Menschheitsentwicklung kann aber, da sie eben ein »organischer« Zusammenhang ist, nicht ein Nach- und Miteinander von Völkern darstellen, deren Entwickelung in den historisch relevanten Beziehungen je einen Kreislauf bildete, – das wäre ja ein »unorganisches« Hinter- und Nebeneinander von Gattungswesen, – sondern sie ist als eine Gesamtentwickelung aufzufassen, in der jedes Volk seine geschichtlich ihm zugewiesene, daher individuelle, Rolle spielt. In dieser, dem Kniesschen Buch überall stillschweigend zugrunde liegenden geschichts-philosophischen Auffassung liegt der entscheidende Bruch mit Roschers Gedankenwelt. Denn aus ihr folgt, daß für die Wissenschaft die Einzelnen ebenso wie die Völker nicht in letzter Instanz als »Gattungswesen« in ihren generell gleichen Qualitäten, sondern eben als »Individuen« in ihrer – vom Standpunkt der »organischen« Auffassung aus gesprochen: – »funktionellen« Bedeutung in Betracht kommen müssen, und wir werden sehen, daß diese Auffassung in der Tat in der Kniesschen Methodologie äußerst kräftig zum Ausdruck gelangt.

      Allein der metaphysische oder, logisch ausgedrückt: der emanatistische Charakter der Kniesschen