Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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seelischen Inhalten, wo sie historisch (kausal) relevant sind, für eine Bewandtnis hat. Daß »Gefühle« sich nicht in dem Sinne begrifflich »definieren« lassen wie etwa ein rechtwinkliges Dreieck oder wie Abstraktionsprodukte der quantifizierenden Wissenschaften, teilen sie durchaus mit allem Qualitativen. Alle Qualia, mögen wir sie als Qualitäten der »Dinge« in die Welt außer uns »projizieren« oder als psychische Erlebungen in uns »introjizieren«, besitzen als solche diesen Charakter des notwendig relativ »Unbestimmten«. Für Lichtfarben, Klangfarben, Geruchsnuancen usw. gilt natürlich genau im gleichen Sinn wie für religiöse, ästhetische, ethische »Wertgefühle«, daß bei ihrer schildernden Darstellung letztlich »ein jeder sieht, was er im Herzen trägt«. Die Deutung psychischer Vorgänge arbeitet also, soweit nur dieser Umstand in Frage kommt, in durchaus keinem andern Sinn mit prinzipiell nicht absolut eindeutig bestimmbaren Begriffen, wie jede Wissenschaft, welche vom Qualitativen nicht durchweg abstrahiert, überhaupt es tun muß180.

      Soweit der Historiker in seiner Darstellung sich mit suggestiv wirkenden Mitteln an unser »Gefühl« wendet, also m. a. W. ein begrifflich nicht artikulierbares »Erlebnis« in uns zu provozieren trachtet, handelt es sich entweder um eine Stenographie für die Darstellung von Teilerscheinungen seines Objekts, deren begriffliche Bestimmtheit für den konkreten Erkenntniszweck ohne Schaden unterlassen werden kann: – dies ist eine Folge des Umstandes, daß die prinzipielle Unausschöpfbarkeit des empirisch gegebenen Mannigfaltigen jede Darstellung nur als einen »relativen« Abschluß des historischen Erkenntnisprozesses »Geltung« erlangen läßt. Oder aber: die Provokation eines reinen Gefühlserlebnisses in uns beansprucht, als spezifisches Erkenntnismittel zu dienen: als »Veranschaulichung« z.B. des »Charakters« einer Kulturepoche oder eines Kunstwerkes. Alsdann kann sie zwiefachen logischen Charakter haben. Sie kann mit dem Anspruch auftreten, ein »Nacherleben« des – je nach der Ausdrucksweise – »geistigen« oder »psychischen« »Gehaltes« des »Lebens« der betreffenden Epoche oder Persönlichkeit oder des konkreten Kunstwerkes darzustellen. In diesem Fall enthält sie beim Darsteller und erzeugt sie beim Leser, der sich mit ihrer Hilfe »einfühlt«, solange sie im Stadium des »Gefühlten« beharrt, stets und unvermeidlich unartikulierte eigene Wertgefühle, bezüglich deren an sich nicht die mindeste Gewähr besteht, daß sie den Gefühlen jener historischen Menschen irgendwie entsprechen, in welche er sich einfühlt181. Es fehlt ihr deshalb auch jeder kontrollierbare Maßstab für eine Unterscheidung von kausal »Wesentlichem« und »Unwesentlichem«. Wie das »Totalitätsgefühl«, welches in uns z.B. durch eine fremde Stadt erzeugt wird, im Stadium des rein Gefühlsmäßigen durch Dinge, wie die Lage der Schornsteine, die Form der Dachgesimse und dergleichen absolut zufällige, d.h. hier: für den eignen »Lebensstil« ihrer Bewohner in keinem Sinn kausal wesentliche Elemente bestimmt zu werden pflegt, so steht es auch, nach aller Erfahrung, mit allen unartikulierten historischen »Intuitionen« ohne alle Ausnahme: ihr wissenschaftlicher Erkenntniswert sinkt zumeist parallel mit ihrem ästhetischen Reiz; sie können unter Umständen bedeutenden »heuristischen« Wert gewinnen, unter Umständen aber auch der sachlichen Erkenntnis geradezu im Wege stehen, weil sie das Bewußtsein davon, daß es sich um Gefühlsinhalte des Beschauers, nicht der geschilderten »Epoche« resp. des schaffenden Künstlers usw. handelt, verdunkeln. Der subjektive Charakter derartiger »Erkenntnis« ist in diesem Falle identisch mit dem Mangel der »Geltung«, eben weil eine begriffliche Artikulation unterlassen ist, und die »Anempfindung« dadurch sich der Demonstration und Kontrolle entzieht. Und sie trägt überdies die eminente Gefahr in sich, die kausale Analyse der Zusammenhänge zugunsten des Suchens nach einem dem »Totalgefühl« entsprechenden »Gesamtcharakter« zurückzudrängen, welcher nun, – da das Bedürfnis nach einer die »Gefühlssynthese« wiedergebenden Formel an die Stelle desjenigen nach empirischer Analyse getreten ist, – der »Epoche« als Etikette aufgeklebt wird. Die subjektive gefühlsmäßige »Deutung« in dieser Form stellt weder empirische historische Erkenntnis realer Zusammenhänge (kausale Deutung) dar, noch dasjenige andere, was sie außerdem noch sein könnte: wertbeziehende Interpretation. Denn dies ist derjenige andere Sinn des »Erlebens« eines historischen Objektes, welcher neben der kausalen Zurechnung in der »Kategorie« [der Deutung], mit welcher wir uns hier befassen, liegen kann. Ich habe über ihr logisches Verhältnis zum Geschichtlichen an anderer Stelle gehandelt182, und es genügt hier festzustellen, daß in dieser Funktion die »Deutung« eines ästhetisch, ethisch, intellektuell oder unter Kulturwertgesichtspunkten aller denkbaren Art bewertbaren Objektes nicht Bestandteil einer (im logischen Sinn) rein empirisch-historischen – d.h. konkrete, »historische Individuen« zu konkreten Ursachen zurechnenden – Darstellung, sondern vielmehr – vom Standpunkt der Geschichte aus betrachtet – Formung des »historischen Individuums« ist. Die »Deutung« des »Faust«, oder etwa des »Puritanismus« oder etwa bestimmter Inhalte der »griechischen Kultur« in diesem Sinn ist Ermittlung der »Werte«, welche »wir« in jenen Objekten »verwirklicht« finden können und derjenigen, stets und ausnahmslos individuellen »Form«, in welcher »wir« sie darin »verwirklicht« finden und um derentwillen jene »Individuen« Objekte der historischen »Erklärung« werden: – mithin eine geschichtsphilosophische Leistung. Sie ist in der Tat »subjektivierend«, wenn nämlich darunter verstanden wird, daß die »Geltung« jener Werte selbstverständlich von uns niemals im Sinn einer Geltung als empirischer »Tatsache« gemeint sein kann. Denn in dem hier jetzt in Rede stehenden Sinn verstanden, interpretiert sie nicht, was die historisch an der Schaffung des »bewerteten« Objekts Beteiligten ihrerseits subjektiv »empfanden« – das ist ihr, soweit sie Selbstzweck ist, nur eventuell Hilfsmittel für unser eigenes, besseres »Verständnis« des Wertes183 –, sondern was »wir« in dem Objekt an Werten finden »können« – oder etwa auch: »sollen«. Im letzteren Fall setzt sie sich die Ziele einer normativen Disziplin – etwa der Aesthetik – und »wertet« selbst, im ersteren ruht sie, logisch betrachtet, auf der Grundlage »dialektischer« Wertanalyse und ermittelt ausschließlich »mögliche« Wertbeziehungen des Objekts. Diese »Beziehung« auf »Werte« ist es nun aber, – und das ist ihre in unserm Zusammenhang entscheidend wichtige Funktion, – welche zugleich den einzigen Weg darstellt, aus der völligen Unbestimmtheit des »Eingefühlten« herauszukommen zu derjenigen Art von Bestimmtheit, deren die Erkenntnis individueller geistiger Bewußtseinsinhalte fähig ist. Denn im Gegensatz zum bloßen »Gefühlsinhalt« bezeichnen wir als »Wert« ja eben gerade das und nur das, was fähig ist, Inhalt einer Stellungnahme: eines artikuliert-bewußten positiven und negativen »Urteils« zu werden, etwas, was »Geltung heischend« an uns herantritt, und dessen »Geltung« als »Wert« »für« uns demgemäß nun »von« uns anerkannt, abgelehnt oder in den mannigfachsten Verschlingungen »wertend beurteilt« wird. Die »Zumutung« eines ethischen oder ästhetischen »Wertes« enthält ausnahmslos die Fällung eines »Werturteils«. Ohne nun auf das Wesen der »Werturteile« hier noch näher eingehen zu können184, so ist für unsere Betrachtungen das eine jedenfalls festzustellen: daß die Bestimmtheit des [Urteils-]Inhaltes es ist, welche das Objekt, auf welches sie sich beziehen, aus der Sphäre des nur »Gefühlten« heraushebt. Ob irgend jemand das »Rot« einer bestimmten Tapete »ebenso« sieht wie ich, ob es für ihn dieselben »Gefühlstöne« besitzt, ist durch kein Mittel eindeutig festzustellen, die betreffende »Anschauung« bleibt in ihrer Kommunikabilität notwendig unbestimmt. Die Zumutung, ein ethisches oder ästhetisches Urteil über einen Tatbestand zu teilen, hätte dagegen gar keinen Sinn, wenn – bei allem Mitspielen inkommunikabler »Gefühls« bestandteile – nicht dennoch der »zugemutete« Inhalt des Urteils in den Punkten, »auf die es ankommt«, identisch »verstanden« würde. Beziehung des Individuellen auf mögliche »Werte« bedeutet stets ein – immer nur relatives – Maß von Beseitigung des lediglich anschaulich »Gefühlten«. Eben darum – und damit kommen wir noch einmal abschließend auf einige schon früher gemachte Andeutungen zurück – tritt diese geschichtsphilosophische »Deutung«, und zwar in ihren beiden möglichen Formen: der direkt wertenden (also: metaphysischen) und der lediglich wertanalytischen, offensichtlich fortwährend in den Dienst des »einfühlenden Verständnisses« des Historikers. Es kann in dieser Hinsicht durchaus auf die, nur in der Formulierung hier und da nicht abschließenden, gelegentlich auch sachlich nicht ganz unbedenklichen Bemerkungen Simmels185