Max Weber

Seine Schriften zur Wissenschaftslehre


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verkleidete Mystik umschlagen wollte, mit Notwendigkeit doch auch jene rationalistischen Konsequenzen wieder in die Erörterung hinein, welche dem Epigonentum des Hegelschen Panlogismus als Erbe von dessen großartigen Konstruktionen anhaften blieben. Dahin gehört vor allem die der emanatistischen Logik in ihrem Dekadenz-Stadium so charakteristische Ineinanderschiebung von realem Kollektivum und Gattungsbegriff. Es ist, sagt Knies (S. 345) »festzuhalten, daß in allem menschlichen Leben und Wirken etwas. Ewiges und Gleiches ist, weil kein einzelner Mensch zur Gattung gehören könnte, wenn er nicht gerade so mit allen Individuen zum gemeinsamen Ganzen verbunden wäre, und daß dieses Ewige und Gleiche auch in den Gemeinwesen zur Erscheinung gelangt, weil diese die Eigentümlichkeit der Einzelnen doch immer zur Basis haben.« Man sieht: »allgemeiner« Zusammenhang und »allgemeiner« Begriff, reale Zugehörigkeit zur Gattung und Subsumtion unter den Gattungsbegriff gehen hier ineinander über. Wie von Knies die »Einheitlichkeit« der realen Totalität als begriffliche »Widerspruchslosigkeit« gefaßt wurde, so wird hier der reale Zusammenhang der Menschheit und ihrer Entwickelung doch wieder zu einer begrifflichen »Gleichheit« der in sie eingefügten Individuen. Dazu tritt nun ein weiteres: die Identifikation von »Kausalität« und »Gesetzlichkeit«, welche gleichfalls ein legitimes Kind der panlogistischen Entwickelungsdialektik und nur auf ihrem Boden konsequent durchführbar ist: »Wer die Volkswirtschaftslehre als eine Wissenschaft ansieht, der wird es keinem Zweifel unterwerfen, daß es sich in derselben um Gesetze der Erscheinung handelt. Die Wissenschaft unterscheidet sich eben so von dem bloßen Wissen, daß dieses in der Kenntnis von Tatsachen und Erscheinungen besteht, die Wissenschaft aber die Erkenntnis des Kausalitätszusammenhanges zwischen diesen Erscheinungen und den sie hervorbringenden Ursachen vermittelt und die Feststellung der auf dem Gebiete ihrer Untersuchungen hervortretenden Gesetze der Erscheinung erstrebt« – sagt Knies (S. 235). Schon nach allem, was wir im Eingang dieses Abschnittes über die »Freiheit« des Handelns, den Zusammenhang zwischen »Persönlichkeit« und Irrationalität bei Knies hörten, muß diese Bemerkung auf das äußerste erstaunen, – und wir werden alsbald bei Betrachtung seiner Geschichtstheorie sehen, daß mit jener Irrationalität strenger Ernst gemacht wird. Zur Erklärung dient eben der Umstand, daß hier unter »Gesetzlichkeit« nur das durchgängige Beherrschtsein der realen Entwickelung der Menschheitsgeschichte durch jene einheitliche, hinter ihr stehende »Triebkraft« zu verstehen ist, aus welcher alles einzelne als ihre Aeußerungsform emaniert. Der Bruch in der erkenntnistheoretischen Grundlage ist bei Knies wie bei Roscher durch jene verkümmerten und nach der anthropologisch-biologischen Seite abgebogenen Reste der großen Hegelschen Gedanken zu erklären, welche für die Geschichts-, Sprach- und Kulturphilosophie verschiedener noch in den mittleren Jahrzehnten des abgelaufenen Jahrhunderts einflußreicher Richtungen so charakteristisch war. Bei Knies ist zwar der Begriff des »Individuums«, wie nach der vorstehenden Darstellung sich vermuten läßt und wie sich bald näher zeigen wird, wieder zu seinem Rechte gelangt an Stelle des Naturalismus der Roscherschen Kreislauftheorie. Aber die in ihren Grundlagen emanatistischen Vorstellungen über seinen realen substantiellen Charakter sind mit daran schuld, daß die Kniessche Theorie den Versuch, das Verhältnis zwischen Begriff und Realität zu ermitteln, gar nicht unternahm und daher, wie wir ebenfalls sehen werden, nur wesentlich negative und geradezu destruktive Resultate zeitigen konnte202.

      Fußnoten

      1 Freilich werden wir es dabei nur mit elementaren Formen dieser Probleme zu tun haben. Dieser Umstand allein erlaubt es mir, dem die fachmäßige Beherrschung der gewaltig anschwellenden logischen Literatur naturgemäß nicht zu Gebote steht, mich mit ihnen hier zu beschäftigen. Ignorieren darf auch der Fachmann der Einzelwissenschaften jene Probleme nicht, und vor allem: so elementar sie sind, so wenig ist, wie sich auch im Rahmen dieser Studie zeigen wird, auch nur ihre Existenz allseitig erkannt.

      2 Sachlich erhebliche Aenderungen finden sich übrigens in den für uns wesentlichen Hauptpunkten bis in die spätesten Bände und Auflagen des großen Roscherschen Werkes kaum. Es ist eine gewisse Erstarrung eingetreten. Autoren wie Comte und Spencer hat er zwar noch kennengelernt, ihre Grundgedanken in ihrer Tragweite aber nicht erkannt und nicht verarbeitet. Ueber Erwarten dürftig für unsere Zwecke erweist sich insbesondere seine »Geschichte der Nationalökonomik« (1874), da für R. durchweg das Interesse daran, was der behandelte Schriftsteller praktisch gewollt hat, im Vordergrunde steht.

      3 Die nachfolgende Analyse bietet, ihrem Zweck entsprechend, selbstverständlich das Gegenteil eines Gesamt bildes von der Bedeutung Roschers. Für deren Würdigung ist auf den Aufsatz Schmollers (zuletzt gedruckt in: Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften) und auf die Gedächtnisrede Büchers (abgedruckt Preuß. Jahrbücher, Band 77, 1894, S. 104 ff.) zu verweisen. Daß beide in diesen bei Roschers Lebzeiten bzw. gleich nach seinem Tode erschienenen Aufsätzen einen für Roschers wissenschaftliche Persönlichkeit wichtigen Punkt: seine religiöse Grundanschauung, beiseite ließen, war bei der subjektivistischen Empfindungsweise unserer Generation in diesen Dingen durchaus natürlich. Eine genauere Analyse von Roschers Methode würde – wie wir sehen werden – diesen Faktor nicht vernachlässigen dürfen, und Roscher selbst war – wie die posthume Publikation seiner »Geistlichen Gedanken« zeigt – auch insofern durchaus »unmodern«, als er gar nicht daran dachte, bei dem öffentlichen Bekenntnis zu seinem streng traditionellen Glauben irgendeine Verlegenheit zu empfinden. Daß in der nachfolgenden Analyse Roschers mannigfache Wiederholungen und eine oft scheinbar unnötige Ausführlichkeit sich finden, hat seinen Grund in dem unabgeschlossenen und vielfach in sich wiederspruchsvollen Charakter seiner Ansichten, deren einzelne Verzweigungen immer wieder an den gleichen logischen Gedanken gemessern werden müssen. Für logische Untersuchungen gibt es schlechthin nichts »Selbstverständliches«. Wir analysieren hier in eingehender Weise längst überwundene Anschauungen Roschers auf ihren logischen Charakter hin, über deren sachlichen Gehalt heute in unserer Wissenschaft wohl niemand mehr ein Wort verlieren würde. Irrtümlich aber wäre es, aus diesem Grunde anzunehmen, die logischen Schwächen, die darin stecken, wären uns heute im allgemeinen klarer, als sie es ihm waren.

      4 Dieser im weiteren Verlauf unserer Erörterung noch oft zu berührende Gegensatz ist in einem gewissen Maße, obgleich mit teilweise unzutreffenden Folgerungen, schon von Menger – wie noch zu erwähnen sein wird – in seiner Tragweite für die Methodenlehre der Nationalökonomie erkannt worden.

      Die exakte logische Formulierung ist, nach den Ansätzen, die sich bei Dilthey (Einleitung in die Geisteswissenschaften) und Simmel (Probleme der Geschichtsphilosophie) fanden, in wichtigen Punkten zuerst in Windelbands Rektoratsrede 1894 (Geschichte und Naturwissenschaft) kurz skizziert, dann aber in dem grundlegenden Werk von H. Rickert (Die Grenzen der naturwissensch. Begriffsbildung) umfassend entwickelt worden. Auf ganz anderen Wegen nähert sich, beeinflußt von Wundt, Dilthey, Münsterberg und Mach, gelegentlich auch von Rickert (Band I), im wesentlichen aber durchaus selbständig, den Problemen der Begriffsbildung in der Nationalökonomie die Arbeit von Gottl (»Die Herrschaft des Wortes«, 1901), welche jetzt freilich, soweit sie Methodenlehre treibt, in manchen – jedoch keineswegs in den ihr wesentlichsten – Punkten durch die inzwischen erschienene zweite Hälfte des Rickertschen Werkes überholt ist. Rickert ist die Arbeit offenbar unbekannt geblieben, ebenso Eduard Meyer, dessen Ausführungen (»Zur Theorie und Methodik der Geschichte«, 1902) sich mit denjenigen Gottls vielfach berühren. Der Grund liegt wohl in der fast bis zur Unverständlichkeit sublimierten Sprache Gottls, der – eine Konsequenz seines psychologistischen erkenntnistheoretischen Standpunkts – die hergebrachte begrifflich gebundene und dadurch für ihn »denaturierte« Terminologie geradezu ängstlich meidet und gewissermaßen in Ideogrammen den Inhalt des unmittelbaren »Erlebens« zu reproduzieren strebt. So sehr manche Ausführungen, darunter auch prinzipielle Thesen der Arbeit, Widerspruch erregen müssen, und so wenig ein wirklicher Abschluß erreicht wird, so sehr ist die in ihrer Eigenart feine und geistvolle Beleuchtung des Problems zu beachten, auf welche auch hier mehrfach zurückzukommen sein wird.

      5 Wohlgemerkt: nicht ihr ausschließlich oder auch nur überwiegend verwendetes Mittel, sondern dasjenige, welches sie von den exakten Naturwissenschaften unterscheidet.