Jack Urwin

Boys don't cry


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      Die 1990er Jahre brachten einen neuen Typ Mann mit sich, den »Lad«. Wie Tom Adams es im Observer formulierte:

      »Man könnte die Lads als sehr britische Antwort auf den von Amerika angeführten Backlash gegen den Feminismus bezeichnen, wie ihn Robert Bly und andere verfochten. Nach dem Erfolg von Blys Eisenhans. Ein Buch über Männer im Jahr 1992 tauchte in den Staaten eine Reihe von Büchern auf den Bestsellerlisten auf, die Titel trugen wie Feuer im Bauch: Über das Mann-Sein und König, Krieger, Magier, Liebhaber: Initiation in das wahre männliche Selbst durch kraftvolle Archetypen. Bly wollte mit seiner Bewegung aufzeigen, wie Männer, die seiner Ansicht nach von der Frauenbewegung herabgesetzt wurden, einen Weg finden konnten, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen. In den Augen der Briten sah dies anscheinend aus wie eine Ausrede für einen langen Junggesellenabend, eine nicht endende Diskonacht und einen Berg von Zeitschriften über den ruppigen Glamour, ein Kerl zu sein.«14

      Man tut das Konzept des Lads leicht mit einem Lachen ab oder betrachtet es als relativ unbedeutende Marotte, doch zur damaligen Zeit dominierte es die britische Kultur und tut es in gewissem Maße heute noch. Der Brit-Pop war die größte heimische Musikbewegung, die das Land seit den glorreichen Tagen der Beatles und der Rolling Stones erlebt hatte, und während Pulp, Suede und ihresgleichen, angeführt von ihren androgynen Frontmännern, Riesenerfolge feierten, lieferten sich die beiden Bands, die synonym für das Genre standen, Blur und Oasis, im August 1995 einen legendären Kampf um den ersten Platz der Single-Charts. Die Mätzchen der Rockstars beider Gruppen waren über Jahre beliebtes Futter für die Boulevardpresse, und auch wenn die Rivalen eigentlich natürlich recht verschieden waren, verhielten sie sich doch beide wie Lads – echte Kerle.

      Der Lad erwuchs einem Backlash auf den metrosexuellen »neuen Mann« der 80er Jahre, er war der Gegenpol zu einem stark von der Mittelschicht geprägten Trend – doch die Beziehung zwischen der Kultur der Lads und dieser Schicht ist eher lose und in sich widersprüchlich. Lads vertraten Werte, die sie für Werte der Arbeiterklasse hielten, während sie selbst eher der Mittelschicht entstammten. Diese Bewegung eignete sich also eine Kultur an, der sie nicht angehörte, und romantisierte sie. Wie vermutlich jeder, der im letzten Jahrzehnt auf einer britischen Universität war, bestätigen kann, sind einige der lautesten Lads wohlhabende Rugbyspieler, die auf Privatschulen waren und oft hochfliegende Abschlüsse in der Medizin oder im Finanzsektor anstreben. Doch Lad-Kultur ist nicht exklusiv auf diese Gruppe beschränkt, sie herrscht auch unter weniger wohlhabenden Männern vor, die nicht auf der Uni waren, und unter denen, deren Familien einst der Arbeiterklasse zugerechnet worden wären. Ja, der letzte Halbsatz des vorangegangenen Satzes ist ziemlich aufschlussreich: einst der Arbeiterklasse zugerechnet worden wären. Denn das ist nicht mehr der Fall. Die Arbeiterklasse gibt es nicht mehr. Heute gehören diese Menschen einer breiteren Mittelschicht an, und der einzige Unterschied besteht darin, dass einige viel reicher sind als andere. Wegen deren Assoziation mit Männlichkeit versucht die Lad-Kultur, der verlorenen Arbeiterklasse nachzueifern, doch sie tut dies in dem irrigen Glauben, die Männer hätten ihre Bestätigung aus ihrem sozialen Rang gezogen, wo es in Wirklichkeit doch die harte, körperliche Arbeit war. Die Kleider, die Saufkultur, die deutliche Abwendung von ›kultivierteren‹ Werten, über die Lads sich definieren – all das stützt die Lad-Kultur, wenn auch auf leicht abstoßende Art.

      Was ich als »toxische Männlichkeit« bezeichne, ist ein Verhalten, das ein Ideal von Männlichkeit darstellen soll, doch ausgeführt von jemandem, der eine vollkommen verdrehte Vorstellung davon hat. Es ist oberflächlich und beruht gewöhnlich auf einem historischen Konzept von Männlichkeit, doch losgelöst von dem ursprünglichen Kontext, der es zu etwas Positivem, Nacheifernswertem machte. In ihrem Versuch, aus dem Nacheifern der Arbeiterklasse ein Gefühl von Mannhaftigkeit abzuleiten, während sie doch das entscheidende Detail (nämlich die Arbeit, die diese Männer verrichten) auslässt, ist die Lad-Kultur die Personifizierung toxischer Männlichkeit. Es spielt keine Rolle, ob Lads als Individuen progressiv sind, ob sie Feministen sind oder sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzen (wie es immer öfter der Fall ist), der Lad gründet als Subkultur auf einem Konzept, das toxische Männlichkeit definiert, und solange es Lads gibt, haben wir ein Problem mit Männern.

      Liebe den Sünder, hasse die Sünde

      Wenn ihr mir nicht glaubt oder wenn es wie eine gigantische Übertreibung klingt, dann fragt euch, welches einige der wichtigsten Charakteristika der Lad-Kultur sind. Eure Antworten mögen sich von meinen unterscheiden, doch aus dem Bauch heraus kommen mir, wenn ich an Lads denke, auf der Basis meiner persönlichen Erfahrung, Begriffe in den Sinn wie: laut, grobe Scherze, Alkohol, Sex, Sexismus, Kasabian, Wettstreit, Risiken, Sport, Jux, Angebereien, Kasabian, Fitnessstudio, Kasabian. Was zum Teufel ist so toll an Kasabian? Ich hasse Kasabian.

      Das ist natürlich eine vollkommen subjektive Liste, und wenn ich vorausgeplant und eine Befragung durchgeführt hätte, wäre das Ganze ein wenig wissenschaftlicher, aber ich glaube, die meisten Begriffe davon würden einer genaueren Überprüfung standhalten – wenn ihr Einwände dagegen habt, könnt ihr mich gern per Tweet um schlüssige Argumente bitten. Lad-Kultur ist so ein wichtiges Untersuchungsgebiet, weil fast alle Aspekte dieser Kultur eine moderne Vorstellung von Männlichkeit reflektieren, die häufig in ihrer toxischsten Form ausgeübt wird.

      Man hört selbsternannte Lads oft sagen, sie würden alles, was sie tun, »nur zum Spaß« tun. Sie machen Sachen allein um des billigen Nervenkitzels willen, einfach weil sie sie tun können. Wenn es auf Kosten anderer geht, tun sie es mit einem Achselzucken als »harmlosen Scherz« ab, und wer das anzweifelt, gilt als humorlos und prüde. Doch es steckt mehr dahinter. Eine Gruppe von Männern – laut, anmaßend und dreist – weiß, dass sie mit vielem durchkommt, wenn sie jemanden »im Spaß« verarscht, denn wegen ihrer Körpergröße und weil sie zu mehreren sind, wird kaum jemand sie körperlich angehen. Wenn Männer Frauen verhöhnen, nennen sie es einen »harmlosen Scherz«. Doch es wurden schon Frauen von Männern angegriffen und sogar umgebracht, die sich über so eine Kleinigkeit aufregten, wie die, dass ihre Avancen abgewiesen wurden. So etwas wie »harmlose Scherze« gibt es für Frauen nicht. Lad-Kultur ist die Personifikation männlicher Privilegien. Die Liste der Dinge, die nur Männer können, schrumpft mit jedem Tag, die Lücke zwischen den Genders schließt sich, bald ist von dem, was uns traditionell den Frauen überlegen machte, nichts mehr übrig. Die Lad-Kultur ist ein letztes Aufkeuchen, der verzweifelte Versuch, am letzten Rest von Macht und Dominanz festzuhalten, in dem falschen Glauben, unsere Männlichkeit würde sich aus so einem Verhalten speisen.

      Die Zukunft

      Ist Männlichkeit in der Krise? Ich weiß nicht. Vielleicht. Manche behaupten es. Manche leugnen es. Andere sagen, sie ist in der Krise, aber nicht so, wie die einen sagen. Das ist verwirrend, ich weiß. Ich persönlich halte die Formulierung »Männlichkeit in der Krise« für zu vage und zu schwammig, um euch oder mir oder irgendjemandem, der sich auch nur einen feuchten Kehricht um Männer schert, irgendwie weiterzuhelfen. Schadet uns das Bedürfnis, unsere Männlichkeit in der modernen Welt durchzusetzen? Absolut. Sind ungebildete, überholte Vorstellungen von Männlichkeit ein Problem? Allerdings. Aber vor allem: Können wir uns mit diesen Themen auf eine Art und Weise befassen, von der wir alle etwas haben, ungeachtet des Genders? Ja, durchaus.

      Leicht wird das nicht. Wir haben es mit Menschen zu tun, die keinen Fortschritt wollen. Wir treten in Opposition zu Gruppen, die behaupten, einen Großteil von dem zu unterstützen, was wir tun, aber nur, wenn es ihrer abscheulichen, entzweienden Agenda dient. So geben Männerrechtsaktivisten (MRAs) zum Beispiel vor, ein Interesse daran zu haben, die Selbstmordrate von Männern zu senken und misshandelten Männern leichter Zugang zu sicheren Orten und Beratung zu ermöglichen, doch den größten Teil ihrer Zeit und ihrer Energie verwenden sie darauf, Onlineangriffe auf bekannte Feministinnen zu organisieren, die in ihren Augen schuld an dem Ungemach der Männer sind, statt Aktionen gegen die Diskriminierung auf die Beine zu stellen und das Problem wirklich anzugehen. Diese Leute sagen, die Lösung zur derzeitigen »Krise der Männlichkeit« läge in der Regression, denn sie glauben, nur die Rückkehr zu traditionellen Genderrollen könnte die Männer retten. Leider sind wir zu weit gekommen, als dass das je passieren wird.