Jack Urwin

Boys don't cry


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Zeit immer vertrauter, und auch wenn sie von wahrer Gleichheit noch weit entfernt waren (und heute noch sind), war der Weg doch geebnet.

      Da es Frauen jetzt erlaubt war, bezahlter Arbeit nachzugehen, hatte sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte im Land im Grunde verdoppelt, und auch wenn sie nicht als so nützlich galten wie Männer, so führt doch jede Marktsättigung unvermeidlich zu Wertverlust. Um eine Familie über die Runden zu bringen, braucht man im Allgemeinen heute das Einkommen von zwei Erwachsenen; vor einem halben Jahrhundert reichte dafür gewöhnlich eines – das veränderte die Art, wie wir arbeiteten, und es veränderte die Art, wie wir Gender sahen. Für Frauen war es eine Befreiung: Sie waren nicht mehr darauf angewiesen, einen Mann zu haben, der dafür sorgte, dass sie ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hatten. Für Männer war die Sache ein wenig komplexer. Traditionelle Genderrollen hielten für Männer und Frauen einen recht beständigen Regelkanon bereit, an den sie sich halten sollten, und Männer zogen oft beträchtlichen Stolz daraus, wenn sie taten, was von ihnen erwartet wurde. Zur Arbeit zu gehen und allein für ihre Familie zu sorgen gab ihnen ein Gefühl der Erfüllung, und indem sie taten, was angeblich nur Männer konnten, fühlten sie sich in ihrer Männlichkeit bestätigt. Als die Zahl arbeitender Frauen stieg und Männer mitansehen mussten, wie ihre Frauen und Freundinnen Jobs bekamen, verloren sie dieses Gefühl der Erfüllung allmählich, und ihre Männlichkeit geriet unter Beschuss.

      Viele toxische Aspekte moderner Männlichkeit können wir bis dahin zurückverfolgen. Bei allem Negativen, das wir mit den alten Traditionen verbinden, verhalfen diese Männern doch zu einer gewissen gesunden Bekräftigung ihrer Männlichkeit. Auch ohne sie brauchten Männer aber das Gefühl, sich als Männer fühlen zu können, und leider musste das jetzt aus ihrem Verhalten und ihrer Haltung kommen. Toxische Männlichkeit in ihrer grundlegendsten Ausprägung ist nichts anderes als aus Unsicherheit geborene Überkompensation: eine übertriebene Zurschaustellung von Verhaltensweisen und Handlungen, die man als männlich erachtet. Zur Arbeit zu gehen war nicht mehr männlich genug, und Männer hatten das Gefühl, ihre Männlichkeit auf jede andere erdenkliche Art und Weise beweisen zu müssen. Doch bevor ihr jetzt den Frauen die Schuld gebt, will ich euch daran erinnern, dass Milchersatznahrung zu diesem Zeitpunkt leicht zu erhalten war. Wenn ein Kind in den frühen Lebensjahren von einem Elternteil aufgezogen wird, kann das für beide eine wunderbare Erfahrung sein, und es gibt keinen Grund, warum dieser Elternteil nicht der Vater sein sollte. In der Nachkriegszeit hatten Männer alles, was sie brauchten, um ihre Kinder aufzuziehen, und als Gesellschaft hätten wir leicht entscheiden können, dass jetzt, wo Frauen arbeiten gingen, Männer zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern könnten. Wir hätten ein Land aufbauen können, in dem Männer wie Frauen zur Arbeit gingen und Männer wie Frauen zu Hause blieben und jedes Paar für sich entschied, was ihm lieber war, und dann wäre das Kind von einem Elternteil aufgezogen worden und es hätte keine Rolle gespielt, von welchem, solange das Kind geliebt worden wäre. Doch das haben wir nicht getan. Frauen sind zur Arbeit gegangen – dass sie das konnten, wussten sie schon lange – und haben bewiesen, dass sie das konnten, was Männer konnten, und das gab ihnen zunehmend das Gefühl, fähig, stark und unabhängig zu sein. Männer dagegen zeigten nicht, dass sie konnten, was in der Geschichte bis dato Frauen getan hatten, und so, könnte man argumentieren, waren die Probleme, die aus diesem Wandel erwuchsen, ganz allein von Männern gemacht.

      Der rasche Niedergang der britischen Arbeiterklasse

      In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts musste die Arbeiterklasse auf beiden Seiten des Atlantiks schwere Schläge einstecken (das beste Bild davon bekommt man, wenn man sich die zweite Staffel von The Wire ansieht, falls ihr das nicht längst getan habt. Und wieso habt ihr euch The Wire noch nicht angesehen?). Die Globalisierung veränderte weiter die Art und Weise, wie wir Geschäfte machten, und Margaret Thatcher, Ronald Reagan und ihresgleichen führten eine besonders aggressive Form des Kapitalismus ein. Profit um jeden Preis wurde zum höchsten Ziel – und wenn das hieß, dass es billiger war, Waren aus dem Ausland zu importieren, statt sie im eigenen Land herzustellen, dann war das eben so. Die britische Industrie, einst eine der stärksten der Welt, erlebte den Niedergang zugunsten einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft. Das augenfälligste Opfer dieser Entwicklung war die Bergbauindustrie, die durch Schließungen geschwächt wurde. Tausende von Männern verloren ihre Jobs. Manche Städte waren so eng mit dem Bergbau verwoben, dass die Mehrzahl ihrer Bewohner arbeitslos wurde, und da es vor Ort kaum andere Beschäftigungsmöglichkeiten gab, breitete sich schnell Armut aus. Viele Familien lebten seit Generationen quasi nur vom Bergbau, und geringe Schulbildung und fehlende Ausbildungsmöglichkeiten bedeuteten, dass viele Männer unvermeidlich in die Langzeitarbeitslosigkeit rutschten. Die Narben durch diese gesellschaftlichen Veränderungen sind noch heute zu sehen, und in den am härtesten betroffenen Regionen ist inzwischen eine ganze Generation herangewachsen, die noch nie einer Arbeit nachgegangen ist. Armut und Massenarbeitslosigkeit bringen eine ganze Reihe weiterer sozialer Probleme mit sich: wachsende Kriminalität, steigender Alkohol- und Drogenmissbrauch, mehr Gewalt. Wenn sich Hoffnungslosigkeit mit Langeweile paart, hat das destruktive Folgen, doch da spielt auch angeschlagene Männlichkeit hinein. Straftaten, Drogenmissbrauch und Gewalt betreffen alle, doch bei all diesen Delikten sind die Täter in der Mehrzahl Männer.

      Körperliche Arbeit war besonders männerdominiert, aber an keinem anderen Arbeitsplatz war so viel rohe Männlichkeit im Spiel wie im Bergbau. Im Endeffekt entmannte (in Ermangelung eines besseren Wortes) der Untergang dieser Industrie Millionen von britischen Männern der Arbeiterklasse, und ich wage zu behaupten, dass ein großer Teil der nachfolgenden sozialen Probleme dem verzweifelten Versuch von Männern zuzuschreiben ist, ein Gefühl für ihre Männlichkeit zurückzugewinnen. Gewalt ist von Natur aus männlich: Gegen andere Männer zu kämpfen ist eine öffentliche Demonstration von Männlichkeit, während häusliche Gewalt eher eine Zurschaustellung von Dominanz gegen eine Partnerin ist; unter Alkoholeinwirkung steigt das Risiko gewalttätigen Verhaltens, und da das Trinken ein besonders männlicher Bewältigungsmechanismus ist, geht beides schnell Hand in Hand. Der Reiz bei Kleinkriminalität wie zum Beispiel Vandalismus liegt hauptsächlich in dem damit verbundenen Risiko, und wie ich in einem anderen Kapitel weiter untersuchen werde, ist übertriebene Risikobereitschaft ebenfalls ein Merkmal toxischer Männlichkeit.

      Im 20. Jahrhundert haben wir toxische Männlichkeit in diesen benachteiligten Gemeinden in einem bis dato (zumindest in diesem Extrem) nicht gekannten Ausmaß miterlebt, und das liegt daran, dass es keine gesunden Möglichkeiten der Selbstbestätigung mehr gab, mit denen Männer bis dahin zufrieden gewesen waren. Männer müssen sich in ihrer Männlichkeit sicher fühlen können, sie müssen das Gefühl haben, dass ihr Gender irgendwie wertgeschätzt wird. Wenn es dafür keinen gesellschaftlichen Rahmen mehr gibt, suchen sie die Wertschätzung in unsozialen Aktivitäten wie Gewalt und Kleinkriminalität.

      Die 80er

      Als jemand, der in den Bush-Blair-Jahren aufwuchs, hat deren »besondere Freundschaft« für mich nicht gerade einen positiven Klang, aber sie wäre mir jederzeit lieber als Reagan und Thatcher. Die 1980er Jahre waren eine turbulente Zeit, bestimmt von steil anwachsender finanzieller Ungleichheit, übermäßigem Konsum und so gut wie allen Aspekten des Kapitalismus, die jeden an sich moderaten Liberalen lauthals nach Marxismus schreien ließen. Die Zahl der Fabrikarbeitsplätze war geringer denn je, während sich die Dienstleistungswirtschaft etablierte – wohl die größte Umwälzung in der Beschäftigungsstruktur im Vereinigten Königreich seit dem Krieg. Männer konnten ihre Männlichkeit nicht mehr durch harte körperliche Arbeit bekräftigen, denn die wurde kaum noch gebraucht, abgelöst von Schreibtischarbeit – für die historisch nützliche biologische Merkmale wie Körpergröße und -kraft Männern keinen Vorteil gegenüber Frauen boten. Parallel dazu wuchs das Konsumdenken, das die Dekade insgesamt kennzeichnete: Luxusmarken und große Modelabel schossen sich intensiver und lauter als je zuvor auf alle Männer ein, die auch nur das kleinste bisschen Einkommen zur Verfügung hatten. Über Jahrtausende hatten Männer aus der Arbeit ein Ziel und einen Stolz auf ihr Gender gezogen, doch das veränderte sich zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die Arbeit selbst konnte uns kein Gefühl von Männlichkeit mehr vermitteln, und so richteten wir den Blick jetzt aufs Geld. Darauf komme ich später im Kapitel Der ideale Mann noch einmal zu sprechen, aber um