Günter Dönges

Butler Parker Paket 3 – Kriminalroman


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seine Schußwaffe zu zeigen. Er brauchte nicht zu befürchten, daß seine Fahrerin Dummheiten machte. Sie befanden sich auf dem flachen Land, östlich von Blackpool, auf dem Hof einer Farm, deren Haupt- und Seitengebäude fast ein Quadrat bildeten.

      Kathy gehorchte und schaute sich um.

      Die Farm befand sich in einem ziemlich schlechten Zustand und schien wohl kaum bewirtschaftet zu werden. Das Wohnhaus machte einen verkommenen Eindruck. Die Fenster waren ungeputzt, die wenigen Vorhänge im Erdgeschoß glichen dreckigen Lappen.

      Unter dem Dach einer offenen Remise entdeckte sie einige Autos, die durchweg in Liverpool registriert waren.

      „Geh ins Haus, Mädchen“, sagte der Rentner und versetzte ihr einen leichten Stoß. Kathy ging und wußte nicht, was sie von dieser Entführung halten sollte.

      Während der Fahrt hatte sie sich selbstverständlich schon Gedanken gemacht.

      Hing dieses Unternehmen mit Dan Hodner zusammen? Das konnte sie sich kaum vorstellen. Oder handelte es sich wirklich nur um den Mann im Frack, nach dem der Dicke mit dem Rentnergesicht sich so nachdrücklich erkundigt hatte?

      Sie hatten das zweistöckige Farmhaus noch nicht ganz erreicht, als die Tür geöffnet wurde.

      Kathy erkannte den Mann sofort wieder.

      Es handelte sich um den Beifahrer aus dem Austin, mit dem der Frackträger seine Flucht aus der Hotelbar fortgesetzt hatte. Das ovale Gesicht und das spitze Kinn waren unverkennbar. Der Mann sah sie aus seinen etwas müden Augen aufmerksam an. Kathy tat natürlich so, als sei ihr dieses Gesicht völlig unbekannt. Sie hatte gelernt, ihre Miene zu kontrollieren.

      Sie befanden sich in einer großen Wohnküche, die deutlich zeigte, daß hier nur Männer lebten.

      Der Abwasch im Doppelbecken aus Stein türmte sich, man schien seit Wochen den Boden nicht mehr gekehrt zu haben. Er war mit ausgetretenen Zigarettenstummeln übersät. Es roch nach schalem Bier, nach kaltem Rauch und nach verschüttetem Schnaps.

      Auf dem langen Küchentisch aus Holz standen sechs leere Teller und Blechtassen, woraus sich unter Umständen gewissen Schlüsse ziehen ließen. Kathy sah die beiden Männer abwartend an. Es mußte sich bald zeigen, was sie von ihr wollten.

      „Wir gehen rauf“, kommandierte der Rentner. „Wenn alles klappt, bist du in ’ner Stunde wieder bei deiner Lady.“

      Kathy glaubte ihm kein Wort.

      Der Mann mit dem ovalen Gesicht und dem spitzen Kinn kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern verschwand hinter der Tür eines angrenzenden Raumes, in dem Kathy für Sekunden doppelstöckige Betten entdeckte, wie sie in Militärlagern üblich sind.

      Die Holztreppe, die ins Obergeschoß führte, knarrte und machte keinen sonderlich soliden Eindruck. Der Mann war dicht hinter ihr, sie hörte wieder sein angestrengtes Schnaufen. Oben auf der Galerie überholte er sie und öffnete eine Tür aus einfachen Holzbrettern.

      Das Schnaufen wurde lauter, als der Mann in den Raum zeigte.

      „In drei Minuten bin ich wieder zurück“, sagte er. „Zieh dich aus und reich mir dann die Klamotten durch die Tür!“

      „Ausziehen?“ Kathy schluckte.

      „Ausziehen“, wiederholte er. „Keine Sorge, hier will kein Mensch was von dir. Is’ nur wegen ’nem Fluchtversuch.

      Wenn man nackt ist, fühlt man sich nicht so sicher.“

      Sie betrat den Raum, der nicht größer war als eine Zelle. Das Fenster war vergittert, auf dem Boden lag eine alte Matratze. Sonst war nichts vorhanden.

      Kathy trat ans Fenster und sah auf die weiten Felder hinaus. Kein Mensch und kein Haus waren zu sehen. Sie befanden sich tatsächlich in einer Einöde. Weit hinter einer früheren Koppel befand sich wahrscheinlich ein kleiner Bach oder Flußlauf. Kathy sah eine Reihe von Weiden, deren Zweige tief bis zum Boden hingen.

      Sie wandte sich wieder der Tür zu, hörte das Schnaufen und wußte, daß der Mann mit dem Rentnergesicht sie beobachtete. So empfindungslos, wie er sich gab, war er also nicht. Er wollte als heimlicher Zuschauer auf seine Kosten kommen!

      Nun, von ihr aus konnte er das haben.

      Kathy war nicht prüde und sich der Schönheit ihres Körpers bewußt. Oft genug schon hatte sie ihn indirekt als Waffe benutzt, wenn es galt, sich aus schier ausweglosen Situationen wieder herauszuwinden. Sie wußte, worauf eine gewisse Sorte von Männern ansprach.

      Sie zog sich also aus und brauchte nicht viel Zeit dazu, zuerst das Kleid vom Körper, dann die Schuhe. Danach ging sie zur Tür und klopfte leise, fast schüchtern an.

      „Reich’s raus“, sagte der Mann mit dem Rentnergesicht. „Ausziehen hatte ich aber gesagt, Mädchen, du hast was vergessen!“

      Er hatte sie also tatsächlich durch einen Spalt in der Brettertür beobachtet.

      Schnell zog sie wieder die Tür zu und ärgerte ihn.

      Sie blieb seitlich neben der Tür an der Wand stehen und schlüpfte jetzt noch aus dem Slip und dem BH.

      Mochte der Mann sich auch noch so sehr anstrengen, aus der Perspektive gab es für ihn nichts mehr zu sehen. Wie wütend er war, merkte sie daran, daß er ihr die beiden Kleidungsstücke förmlich aus der Hand riß.

      Kathy hörte seine sich entfernenden Schritte zuerst auf der Galerie, dann auf der Treppe. Sie faßte nach ihrer Perlenkette, die man ihr gelassen hatte. Damit besaß sie immerhin noch eine Waffe, mit der sich eine ganze Menge anfangen ließ, wenn man damit umzugehen verstand. Als sie zurück zum Fenster ging, hörte sie über sich ein schwaches knackendes Geräusch.

      Kathy sah hoch. Erst jetzt entdeckte sie, wie brüchig die Zimmerdecke war. Der Verputz fiel in großen Fladen ab und war schon gar nicht mehr vorhanden. Stellenweise waren halb verfaulte Strohmatten zu sehen, die den Verputz gehalten hatten.

      In einer Öffnung entdeckte Kathy ein Gesicht.

      Sie wußte sofort, um wen es sich handelte. Das war der Mann, der den Frack getragen hatte und über ihr Bein gestolpert war. Er trug eine Nickelbrille, die er abnahm, damit sie ihn deutlich wiedererkannte.

      „Hallo“, rief er leise nach unten.

      „Hallo“, antwortete sie nach oben und hütete sich, ein Wiedererkennen zu zeigen.

      „Erkennen Sie mich wieder?“ fragte er und schob sein Gesicht noch tiefer an die Öffnung in der Zimmerdecke. Kathy blieb bei ihrer ersten Entscheidung. Sie durfte nichts zugeben, denn sie fühlte, daß es gerade jetzt um Leben oder Tod ging.

      „Woher?“ fragte sie und tat verschämt. Sie riß die Matratze hoch und nahm hinter ihr Deckung.

      „Sie müssen mich doch wiedererkennen“, sagte er fast verzweifelt, „erinnern Sie sich!“

      „An was?“ Kathy ließ sich nicht beirren, obwohl die Stimme des Mannes schier verzweifelt klang. „Wer sind Sie? Hält man Sie hier auch fest?“

      Das Gesicht verschwand plötzlich, und dann waren vorsichtig tastende Schritte auf der schwachen Decke über ihr zu hören, die sich aber entfernten. Kathy lauschte angestrengt. War der Mann wirklich gegangen? Oder wurde sie nach wie vor von ihm belauert?

      Ihre Entführer hatten sich das alles raffiniert ausgedacht. Sie hatten auf eine Gegenüberstellung verzichtet und sie hereinlegen wollen. Der Mann, um dessen Gesicht es ging, hatte sich ihr plötzlich als Leidensgenosse präsentiert und darauf gesetzt, daß Kathy die Wahrheit sagte. Er hatte sie einfach überrumpeln wollen.

      Wer war dieser Mann? Doch offensichtlich eine wichtige Person, deren Identität geheim bleiben sollte. Ging es hier um einen Bandenkrieg unter Gangstern oder gar um mehr? Kathy vermochte auf diese Frage noch keine Antwort zu finden.

      *

      Sie dachte nicht daran, untätig herumzusitzen und zu warten. Dazu war die Lage viel zu gefährlich. Sie mußte diese Farm so schnell wie möglich verlassen.