verloren. Er wirkte fast wie ein kleines Kind, wenn dieser große und grobe Körper nicht gewesen wäre.
„Hab’ aufgepaßt“, murmelte er mit schwacher Stimme.
„Natürlich“, erwiderte Kathy beruhigend. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
„Butch immer prima, ja?“
„Immer gut“, sagte Kathy. Er war schon kaum mehr zu verstehen. „Wo ist der Chef?“
Warum sie gerade jetzt den Ausdruck ‚Chef‘ benutzte, hätte sie nicht sagen können, vielleicht ging sie von der Annahme aus, daß für einen Menschen wie Butch jeder ein Chef war, der ihm Befehle erteilte.
„Balton?“ fragte er leise.
„Balton“, wiederholte sie.
„Kommt wieder“, flüsterte Butch und wollte sich aufrichten. „Balton sagen, daß ich prima bin.“
„Balton und den anderen“, versprach sie.
„Meadows“, nannte er einen Namen. Bevor Kathy herausfinden konnte, wen er damit meinte, war der Mann schon tot.
Kathy war kein kleines Kind mehr und hatte schon eine Menge erlebt. Der Tod dieses einfältigen Menschen aber ging ihr an die Nieren. Sie konnte ihm einfach keinen Vorwurf machen, daß er auf sie geschossen hatte. Er hatte immer nur das begriffen, was man ihm befohlen hatte. Schuld an diesem sinnlosen Tod trug dieser Balton, für Kathy vorerst ein Name, mit dem sie nichts anfangen konnte.
Kathy richtete sich auf und griff nach Butchs automatischem Gewehr und prüfte dessen Funktionstüchtigkeit. Die Waffe war vollkommen in Ordnung. Kathy verließ die Scheune und eilte zur Remise hinüber. Es wurde ihrer Schätzung nach höchste Zeit, die Farm zu verlassen. Die drei Männer konnten schließlich jeden Moment zurückkehren.
Diesmal kümmerte sie sich nicht weiter um den Jeep.
Mit dem Gewehrkolben schlug sie die Scheibe auf der Fahrerseite ein, griff durch die Öffnung und entriegelte die Tür des Morris. Rasch hatte sie die Zündung kurzgeschlossen und prüfte, ob sich im Tank noch ausreichend Benzin befand.
Wenige Minuten später fuhr sie aus dem Gelände und nahm Kurs auf die Landstraße, die von der Farm aus nicht zu sehen war. Kathy hatte das automatische Gewehr dabei. Sicher war sicher.
Sie hatte den Zufahrtsweg halb hinter sich, als der VW aus einer Bodensenke der schmalen Straße auftauchte und genau auf sie zuhielt.
Die drei Männer!
Kathy ließ sich auf kein Risiko ein.
Sie bremste hart, stieg aus dem Wagen und ging hinter ihm in Deckung. Ob man sie bereits gesehen und identifiziert hatte, wußte sie nicht. Der VW kam näher und wurde schneller.
Kathy hatte keine Bedenken mehr, die Schußwaffe zu benutzen.
Sie feuerte einen Schuß nach dem anderen aus dem Magazin. Es kam ihr darauf an, die Männer im VW zu verunsichern.
Was ihr auch bestens gelang!
Der VW wirbelte herum wie auf Glatteis. Dann preschte er zurück in Richtung Landstraße, ohne daß aus ihm geschossen worden wäre.
Kathy setzte sich wieder ans Steuer und fuhr los.
Sie war eine ausgezeichnete Fahrerin und holte alles aus dem Motor heraus, was an Tempo zu bekommen war, und hielt den Wagen dennoch unter Kontrolle. Sie rechnete die ganze Zeit über damit, daß der VW von irgendwoher wieder auftauchte, doch das war nicht der Fall. Das massiv auf den Wagen gerichtete Feuer mußte die Insassen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht haben.
Dann kam auch bereits die Landstraße in Sicht, auf der normaler Verkehr floß.
Kathy bog erleichtert ab, fädelte sich ein und vergaß in ihrer Aufregung völlig, daß sie keinen Fetzen am Leib trug.
Sie saß „oben ohne“ am Steuer des Morris und eilte so schnell wie möglich zurück zu Lady Simpson und Butler Parker.
*
„Da sind Sie ja endlich.“ Agatha Simpson bemühte sich um Fassung. Sie schaffte es sogar, ein wenig empört auszusehen, als sie Kathy Porter musterte. „Und wie Sie aussehen! Waren Sie auf einem Maskenball?“
„Ich möchte mir erlauben, meiner Freude Ausdruck zu verleihen“, ließ Josuah Parker sich vernehmen und nickte dem jungen Mädchen zu.
Kathy Porter war nicht allein ins Hotel gekommen. In ihrer Begleitung befand sich Inspektor Griffins. Aus ganz bestimmten Gründen hatte man den Hintereingang des Hotels benutzt und den Wirtschaftsaufzug als Transportmittel in die Etage verwendet.
Kathy sah tatsächlich recht unkonventionell aus.
Sie trug eine Uniformjacke der Polizei, die gerade bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel reichte. Sonst nichts. Selbst ein kritischer Betrachter hätte ohne Abstrich zugeben müssen, daß sie hinreißend aussah. Ihre langen, schlanken Beine kamen unwahrscheinlich gut zur Geltung.
Von Angst oder Erschöpfung war ihr nichts anzusehen.
„Tut mir leid, falls Sie sich gesorgt haben, Mylady“, entschuldigte sich Kathy und lächelte. „Aber ich wurde entführt.“
„Eine verrückte Geschichte“, mischte sich Griffins ein.
„Wo haben Sie Miß Porter gefunden?“ wollte Lady Simpson wissen. „Offen gesagt, Inspektor, ich hätte Ihnen nie zugetraut, Miß Porter so schnell zu finden.“
„Das geht leider nicht auf das Konto der Polizei“, räumte Griffins ein.
„Sondern?“ Agatha Simpson wandte sich wieder an ihre Sekretärin. „Wollen Sie sich vorher zurechtmachen, Kindchen? Brauchen Sie etwas Erholung?“
„Was ich erlebt habe, ist schnell erzählt“, antwortete Kathy. Mit wenigen Sätzen schilderte sie, was passiert war. Sie hielt sich streng an die Tatsachen und dramatisierte nichts.
„Eine unserer Polizeistreifen wurde auf Miß Porter aufmerksam“, übernahm Griffins anschließend den weiteren Bericht. „Miß Porters Wagen, in dem sie saß, befand ich im Mittelpunkt einer Massenkarambolage.“
„Ich verstehe kein Wort.“ Agatha Simpson sah Griffins streng an. „Können Sie sich gefälligst etwas deutlicher ausdrücken?“
„Miß Porters Kleidung war gleich Null.“ Griffins schmunzelte. „Das muß nun ein gutes Dutzend Autofahrer erheblich von der Fahrbahn abgelenkt haben.“
„Ich hatte vergessen, nach meiner Kleidung zu suchen“, warf Kathy leicht verschämt ein.
„Warum auch? Sie haben ja schließlich nichts zu verbergen“, nahm Mylady für ihre Gesellschafterin Partei.
„Die Ansicht müssen die Fahrer der anderen Wagen geteilt haben“, meinte Griffins. „Der entstandene Blechschaden ist erheblich, es passierte aber erfreulicherweise sonst nichts. Miß Porter ließ mich von der Funkstreife verständigen, und ich konnte sie aus diesem Tohuwabohu befreien.“
„Und was ist mit der Farm, in der sie festgehalten wurde?“
„Steht unter Beobachtung und wird durchsucht.“
„Rechnen Sie mit einer Rückkehr der drei Männer?“ schaltete Parker sich ein.
„Sicher nicht“, sagte Griffins. „Lester Balton ist ein gerissener Fuchs.“
„Das ist der Name des Mannes, den der sterbende Butch nannte, nicht wahr?“ Lady Simpson hatte aufmerksam zugehört.
„Ein Gangster“, präzisierte Griffins, „ein Mann, der am Waffenhandel für die Extremistengruppe drüben in Nordirland verdient. Ein gefährlicher Bursche, hinter dem wir schon seit vielen Monaten her sind.“
„Sagt Ihnen auch der Name Meadows etwas?“ Parker erinnerte an die zweite Äußerung des sterbenden Mannes in der Scheune.
„Charles Meadows.“ Griffins