er schon auf Sie nicht hört, Signora, wo Sie doch seine Ehefrau sind, wird er sich von mir erst recht nichts sagen lassen.«
Nachdem der Arzt Raouls Bauch abgetastet hatte, erklärte er ernst, dass die Leber und die Milz stark entzündet seien und sein Patient eigentlich ins Krankenhaus gehöre. »Auch den blutigen Durchfall halte ich für höchst bedenklich. Leider haben wir in Cefalù kein Krankenhaus, da müssten Sie schon nach Palermo fahren«, wandte er sich an Betty, die angespannt zuhörte.
»Wir haben aber kein Auto zur Verfügung, also müssten wir entweder mit dem Autobus oder dem Passagierdampfer fahren, doch das wird für Raoul zu strapaziös.«
»In der Tat«, bestätigte Doktor Maggio und übergab Betty ein Medikament mit der ausdrücklichen Anweisung, dem Patienten nur abgekochtes Wasser zu trinken zu geben. »Wenn etwas ist, melden Sie sich – und vergessen Sie bitte nicht, die Rechnung zu begleichen! Da ist auch vom letzten Mal noch etwas offen.“ Ehe er sich auf den Heimweg machte, beschwor er Raoul eindringlich, die Finger von den Drogen zu lassen und unbedingt mehr auf seine Gesundheit zu achten. »Und hören Sie um Gottes Willen mit dieser Selbstverstümmelung auf!« Er wies auf Raouls Unterarme, die von blutigen Streifen übersät waren. »Sie bringen sich damit noch ins Grab«
Raoul war viel zu geschwächt, um ihm zu antworten. Er nickte nur apathisch.
Zwei Tage später ging es Raoul so schlecht, dass Crowley persönlich Doktor Maggio herbeirief. Der Arzt diagnostizierte eine akute Entzündung des Dünndarms und ließ Betty und den Okkultisten wissen, dass der Zustand des Patienten lebensbedrohlich sei und mit dem Schlimmsten gerechnet werden müsse. Betty begleitete den Arzt nach Cefalù, wo sie Raouls Eltern ein Telegramm schickte, um sie über den lebensgefährlichen Zustand ihres Sohnes in Kenntnis zu setzen. Anschließend schickte sie eine Depesche an das Britische Konsulat in Palermo, worin sie Crowley beschuldigte, ein gefährlicher Geisteskranker zu sein, der für den desolaten Gesundheitszustand ihres Gatten verantwortlich sei. Als sie zur Abtei zurückkehrte – sie hatte zuvor in Cefalù etliche Cognacs gekippt, da ihr vor Aufregung die Knie schlotterten und sie das Gefühl hatte, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen –, kam es zwischen ihr und Crowley, der sie in Empfang nahm, zu einem Eklat.
»Er wird sterben«, sagte Crowley in sinisterem Tonfall. »Ich habe eben das I Ging zu Rate gezogen. Das Orakel hat mit dem Hexagramm ›Auflösung‹ geantwortet, das deutet klar auf Tod hin.«
Das war zu viel für Betty. Ihre ganze Erbitterung gegen den Magier brach sich Bahn und sie bekam einen heftigen Wutanfall, bei dem sie Gläser zertrümmerte und einen Krug nach Crowley warf, der seinen Kopf nur haarscharf verfehlte. »Du perverser Drecksack hast Raoul auf dem Gewissen!«, schrie sie außer sich.
Als Crowley versuchte, sie festzuhalten, trat sie nach ihm und schlug ihm mit der Faust auf die Nase. Schwester Ninette und die scharlachrote Frau, die in die Halle stürmten, um den Streit zu schlichten, wurden von ihr als Schlampen und Schlimmeres beschimpft. In dem allgemeinen Tohuwabohu wurde plötzlich die Tür geöffnet und Raoul, der nur noch wie ein wandelndes Gerippe war, wankte herein, bewegte die Lippen, um etwas zu sagen, und brach entkräftet zusammen. Betty eilte zu ihm hin, bettete seinen Kopf auf ihrem Schoss und brach haltlos in Tränen aus. Wenig später trugen ihn Crowley und die drei Frauen ins Zimmer zurück, wo sie ihn behutsam aufs Bett legten.
Am 16. Februar 1923 starb Raoul Loveday mit erst dreiundzwanzig Jahren. Betty, die nur kurz aus dem Zimmer gegangen war, fand ihn tot in seinem Bett. Sie schrie entsetzt auf und fiel in Ohnmacht. Als sie nach geraumer Zeit wieder das Bewusstsein erlangte, saß Crowley an Raouls Totenbett, während Schwester Ninette und Alostrael weinend an seiner Seite standen.
»Er verließ uns ohne Angst oder Schmerzen«, sagte der Magier mit stoischer Ruhe. »So als wäre er hinausgegangen, um einen Spaziergang zu machen. Als sein Werk erfüllt war, erlosch er wie ein Zündholz, das meine Zigarre angezündet hatte.«
Betty hätte dem Zyniker am liebsten ins Gesicht geschlagen, doch aus Achtung vor dem Verstorbenen unterließ sie es.
Am nächsten Morgen wurde die Totenbahre mit dem Sarg aus der Abtei getragen. Meister Therion, in einen langen Kapuzenumhang aus weißer Seide gehüllt, schritt dem Trauerzug auf dem Bergpfad, der zum örtlichen Friedhof führte, voran. Dahinter folgten die am ganzen Körper bebende Betty und Crowleys weinende Konkubinen. Die beiden Kinder Hansi und Howard, wie der Vater in weiße Seidengewänder gekleidet, trugen Blumenkränze auf den Köpfen und sprangen ausgelassen um den Sarg herum.
»Wir werden Raoul beerdigen, wir werden Raoul beerdigen«, jauchzte Hansi übermütig und hätte mit der unvermeidlichen Zigarette, die er glimmend in der Hand hielt, einem der Leichenträger fast ein Loch in die Hose gebrannt.
Nachdem ihr das Britische Konsulat die Fahrkarte bezahlt hatte, kehrte Betty nach London zurück. Gleich nach ihrer Ankunft erstattete sie bei Scotland Yard Anzeige gegen Crowley. Sie beschuldigte ihn, für den Tod ihres Ehemanns verantwortlich zu sein, weil er ihn bei einem Ritual gezwungen habe, Katzenblut zu trinken. Anschließend gab sie dem Sunday Express ein Interview zu Raouls Tod. Ihre Skandalgeschichten ließ sie sich teuer vergüten. Sie berichtete von ominösen schwarzen Messen, bei denen Crowley mit einem Ziegenbock kopuliert und ihm danach die Kehle durchgeschnitten habe, woraufhin er und seine Anhänger sich im Blut des Bockes gesuhlt hätten. Außerdem verwahre der Magier in seiner Nachtkonsole ein schwarzes Kästchen mit fünf blutverkrusteten Krawatten, die laut seiner Aussage Jack the Ripper bei seinen Morden getragen habe. Crowley kenne den Ripper und stehe mit ihm in Kontakt. Er sei ein mächtiger Schwarzmagier, der den Zauber beherrsche, sich unsichtbar zu machen, daher sei er auch nie gefasst worden.
In den darauffolgenden Tagen und Wochen übertrafen sich die Skandalblätter förmlich in der Schlammschlacht gegen Crowley. »Neue finstere Enthüllungen über Aleister Crowley«, »Der Zauberer der Verderbtheit«, »Der böseste Mann der Welt«, »Der Mann, den wir gerne aufhängen würden!«– so lauteten die Schlagzeilen der Sensationspresse.
Crowley schwor vor Gericht, dass Betty Mays Bezichtigungen gegen ihn nichts als böswillige Lügen seien. »Es gab kein Tieropfer und ich habe Raoul Loveday auch nie gezwungen, Katzenblut zu trinken«, beteuerte er unter Eid.
Während der Verhandlung stellte sich zwar heraus, dass Betty den Sunday Express von Anfang an über Crowley und seine Abtei auf dem Laufenden gehalten hatte, doch der Okkultist geriet durch ihre Verunglimpfungen ins gesellschaftliche Abseits und wurde von der Bevölkerung als Bestie verteufelt, die an den Galgen gehöre.
Am 23. April 1923 ließ der Diktator Benito Mussolini Crowley und seine Anhänger aus Italien ausweisen und verbot Geheimbünde dieser Art. Wenig später fanden Kinder beim Spielen auf einer Brache in Palermo die enthaupteten Leichen zweier nackter Männer mit abgetrennten Geschlechtsteilen. Unweit des Fundorts entdeckte die Polizei die Köpfe. Bei den Toten handelte es sich um zwei polizeibekannte männliche Prostituierte. Crowley geriet in Verdacht, die Morde begangen zu haben, da bekannt war, dass er Palermo häufig besucht hatte, um sich mit Drogen einzudecken und männliche wie weibliche Prostituierte aufzusuchen. Es stellte sich jedoch heraus, dass er ein wasserdichtes Alibi hatte, da er sich zur Tatzeit wegen einer Heilbehandlung in England aufgehalten hatte. Ein reicher Gönner hatte seinem »Herrn und Meister« mit einer großzügigen Spende die Kur ermöglicht.
»Der Beruf des Irrenhauswärters hat in unserer Familie gewissermaßen Tradition«, erklärte die Krankenschwester Maureen Morgan mit grimmigem Lächeln und trank einen Schluck Tee, um munter zu bleiben, denn die Nachtschicht war noch lange nicht zu Ende. »Mein Vater war dreißig Jahre lang Wärter im Bethlem Royal Hospital in London – in der Kriminalabteilung für Frauen.«
»Oh Gott, da hatte er ja das große Los gezogen, der Arme! Ein harter Job. Da sind Sie hier aber besser aufgehoben, Maureen, obgleich unsere Patienten auch sehr anstrengend sein können.« Doktor Sandler rollte mit den Augen und nahm noch ein rosa glaciertes Petit Four vom Kuchenteller.
In diesem Moment ertönte das durchdringende Läuten einer Patientenglocke in dem behaglich eingerichteten Salon, der dem Personal