nicht von ungefähr, dass ich Sie ›Fairy Queen‹ nenne – was nicht alleine an ihrer feenhaften Anmut liegt, sondern auch daran, dass sie in der Lage sind, den Dingen auf den Grund zu schauen. Deswegen habe ich mich auch entschlossen, Ihnen meine wahre Identität zu offenbaren, die sonst nur dem Anstaltsleiter und den behandelnden Psychiatern bekannt ist. Eine Vorsichtsmaßnahme, die leider unumgänglich war. Denn dank Queen Bettys Schandmaul, das das Blaue vom Himmel herunter lügt und alles verdreht, was verdreht werden kann, bin ich zum meistgehassten Mann Englands aufgestiegen. Auch hier in dieser Luxus-Klapse gibt es bestimmt einige, die mich lynchen würden, wenn sie wüssten, wer ich bin.«
»Von mir erfährt keiner was«, sicherte ihm Maureen zu.
Sein Blick wirkte mit einem Mal gehetzt und er schaute immer wieder hektisch zur Tür. »Ich weiß, dass ich Ihnen trauen kann, Fairy Queen«, erklärte er mit gedämpfter Stimme, »deswegen möchte ich Ihnen auch etwas zeigen.« Er verschwand in seinem Schlafzimmer und kehrte mit einem Kuvert zurück, dem er mit bebenden Händen einen Zeitungsartikel entnahm, den er Maureen zeigte.
»Aleister Crowley – Ein zweiter Jack the Ripper«, stach ihr die fette Schlagzeile ins Auge. In dem Artikel aus dem John Bull wurde reißerisch über die Leichenfunde in Palermo berichtet und dass die italienische Polizei Crowley verdächtigte, die Morde begangen zu haben.
Maureen schüttelte unwirsch den Kopf. »Aber das ist doch gar nicht mehr aktuell! Im Daily Telegraph war vor zwei Tagen zu lesen, dass Sie für die Morde gar nicht infrage kommen, da Sie für die Tatzeit ein wasserdichtes Alibi haben. Ich habe es selbst gelesen.«
»Natürlich kann ich das nicht gewesen sein, denn als die Morde begangen wurden, war ich ja schon hier im Holloway-Sanatorium. Der Anstaltsleiter hat mich informiert, dass er das Scotland Yard gegenüber bestätigt hat. Nein, darum geht es gar nicht.« Crowley war so erregt, dass ihm Schweißperlen übers Gesicht rannen. »Der Artikel wurde mir heute mit der Post zugestellt. Was ich damit sagen will, ist – es muss durchgesickert sein, dass ich hier bin. Irgendjemand da draußen weiß es und hat mir das geschickt.«
Maureen musste ihm zwar recht geben, dennoch war ihr daran gelegen, den aufgelösten Mann zu beruhigen. »Wer immer das auch gewesen sein mag, der Ihnen diesen üblen Streich gespielt hat, ich kann Ihnen jedenfalls versichern, Mr Crowley, bei uns auf der Station sind Sie so sicher wie in Abrahams Schoß. Kein Außenstehender oder Unberufener hat hier Zutritt, dafür sorgt schon unser Pförtner. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, Sir, und können sich beruhigt zu Bett begeben.« Sie reichte Crowley das vermeintliche Barbiturat, welches er mit einem Schluck Wasser hastig herunterwürgte.
»Das kann ich jetzt auch gut gebrauchen«, krächzte er heiser, »denn ich sage es Ihnen unumwunden, Fairy Queen: Ich habe panische Angst. Bitte helfen Sie mir und lassen Sie mich nicht alleine«, stammelte er und umklammerte angstvoll Maureens Hand.
Sie sagte ihm in besänftigendem Tonfall, dass derlei Angstzustände beim Entzug häufiger auftreten würden, das würde sich aber wieder legen und ihm könne gar nichts passieren. Anschließend geleitete sie ihn zu seinem Bett, wo sie fürsorglich die Decke über ihn breitete und ihm wie einem Kind versprach, bei ihm zu bleiben.
»Wenn es Ihnen guttut, über Ihre Ängste zu sprechen, dann tun Sie das ruhig, denn das kann durchaus heilsam sein.«
»Danke, mein Engel!«, stieß der Okkultist unter Tränen hervor. »Aber ich weiß gar nicht, ob ich deine reine, unschuldige Seele überhaupt mit solchen Abgründen belasten soll.« Er war Maureen gegenüber nun noch vertraulicher geworden.
»In meinem Beruf ist mir nichts Menschliches fremd, Mr Crowley«, entgegnete sie. »Also sagen Sie ruhig, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Ich … ich habe einen ganz schrecklichen Verdacht. Ich glaube nämlich, dass er mir den Artikel geschickt hat.« Der Magier gab ein peinvolles Wimmern von sich und war kaum noch in der Lage, weiterzusprechen.
Maureen musterte ihn mit wachsender Anspannung, da sie zunehmend den Eindruck gewann, dass sich in seinem Bewusstsein Wahn und Wirklichkeit mischten, was beim Drogen- und Alkoholentzug keine Seltenheit war. »Wen meinen Sie denn mit ›er‹?«, erkundigte sie sich.
»Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Er kam am 13. Mai 1922, also vor knapp einem Jahr, zu meiner Abtei nach Cefalù auf Sizilien. Ich erinnere mich noch genau an ihn: ein großer, muskulöser Mann mit einem blassen Dutzendgesicht unter dem Strohhut und einem eleganten, gut geschnittenen hellen Leinenanzug. Er sah aus wie ein britischer Aristokrat in der Sommerfrische – und das war er wohl auch. Er hatte ausgezeichnete Manieren, lüftete vor mir den Hut wie ein Gentleman und stellte sich als John Smith vor. Gleichzeitig räumte er ein, dass es sich dabei um ein Pseudonym handele, da er mir aus Gründen der Diskretion seinen wirklichen Namen nicht nennen könne, wofür er mich aufrichtig um Entschuldigung bat. Ich ließ ihn wissen, dass in der Abtei von Thelema weltliche Namen ohnehin nichts bedeuteten und jeder Adept von mir einen magischen Namen erhalte, der wahrhaftiger zu ihm passe. Mit großer Ehrfurcht berichtete mir der junge Mann, er habe an der Front als Militärarzt gedient und zu dieser Zeit sei ihm ein Artikel aus dem International in die Hände gekommen, aus der Feder von mir, dem großen Meister der Magie. Das Gesetz von Thelema, ›Tu was du willst, soll sein das einzige Gesetz‹, habe ihn so tief beeindruckt, dass er daraufhin alle meine Schriften gelesen habe und zu mir gereist sei, um mein Adept zu werden. Ich habe sofort gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmte, doch ich habe nicht genau gewusst, was. Da ich aber spürte, wie viel ich ihm bedeutete, willigte ich ein, ihn als Schüler aufzunehmen. Noch am gleichen Tag sagte ich ihm offen ins Gesicht, dass er unter einer höllischen Verkrüppelung leide, woraufhin er mir anvertraute, dass er bestialische Kopfschmerzen habe und unentwegt Stimmen höre. Er hoffe sehnlichst darauf, dass es mir als seinem Herrn und Meister gelingen möge, sie zum Schweigen zu bringen. Zunächst exerzierte ich mit ihm Stellungsund Atemübungen des Yoga, vollzog an ihm verschiedene Bannungsrituale und hielt ihn dazu an, Opium zu rauchen und ein magisches Tagebuch zu führen, worin er Träume, zufällige Gedanken und Stimmungen aufzeichnen und mir zur Analyse aushändigen sollte. ›Der dunkle Drang in mir schreit nach Verwirklichung, ich kann an nichts anderes mehr denken‹, schrieb er. Ich deutete dies als Signal, dass es an der Zeit war, seine Sexualität auszuleben, da ich die augenscheinliche Gehemmtheit des Mannes als das eigentliche Problem ansah. Also zelebrierte ich mit ihm und meiner ersten Konkubine Alostrael eine Orgia. Die Riten verliefen wenig erfolgreich – obwohl meine scharlachrote Frau ihn mit der Hand stimulierte, bekam er keine Erektion.«
Maureen bemühte sich zwar um Gelassenheit, mochte ihre Abneigung aber nicht verhehlen. »Ich kann nicht behaupten, dass ich derartige Schilderungen besonders ergötzlich finde, zumal sie auch ein Stück weit bestätigen, was in den Skandalblättern über Sie zu lesen war, Mr Crowley«, sagte sie kühl und erhob sich von ihrem Stuhl mit der Erklärung, sie habe auch noch andere Patienten zu versorgen. Sie verspürte wenig Lust, noch weiteren drastischen Anekdoten aus Crowleys magischem Schaffen zu lauschen.
Doch ihr exzentrischer Patient hielt sie zurück. »Bitte, Fairy Queen, lass mich nicht alleine!«, flehte er verzweifelt. »Er geht mir nicht mehr aus dem Sinn und ich habe die schlimmsten Alpträume.«
Da es offenkundig war, in welcher Bedrängnis sich Crowley befand, beschloss Maureen, ihm in seiner Krise beizustehen. Sie tupfte ihm behutsam die Schweißperlen von der Stirn und ließ sich wieder auf dem Stuhl an der Kopfseite des Bettes nieder.
Wenn seine Angstzustände schlimmer werden, muss ich Doktor Sandler Bescheid sagen, sinnierte sie. Aber vorher würde sie selber versuchen, die Lage in den Griff zu bekommen – zumal sie zu Crowley einen guten Draht hatte. Einen weitaus besseren, als ihn der Magier zu den Psychiatern hatte, wie sie aus den Dienstbesprechungen wusste, denn im Gegensatz zu den Ärzten, die er als Dilettanten und Seelenklempner beschimpfte, fraß er Maureen förmlich aus der Hand.
»Schwester Maureen, unsere Spezialistin für schwierige Fälle«, pflegte Doktor Sandler immer zu scherzen, wenn es Maureen wieder einmal gelungen war, einen renitenten Patienten »handzahm« zu machen.
»Wenn es Ihnen guttut, darüber zu reden, Mr Crowley, dann tun Sie sich keinen Zwang an«, ermunterte sie den Magier, dessen entrückter Blick verriet, wie gefangen er in seiner Gedankenwelt