machte Maureen Spaß, ihnen zuzuschauen, bis sie plötzlich von einem Paar abgelenkt wurde, das von der Rückseite des Parks kam und auf den Pavillon zusteuerte. Beim Näherkommen der jungen Leute, die Arm in Arm über den weißgekiesten Parkweg schlenderten, erkannte Maureen in dem stattlichen Mann, der mit seiner hübschen Begleiterin verliebte Blicke tauschte, Doktor Sandler und ihr Herz erstarrte förmlich. Sie erinnerte sich daran, dass er heute seinen freien Tag hatte, den er offenbar mit seiner Liebsten verbrachte. Sie war so verletzt, dass ihr die Tränen in die Augen traten. In letzter Zeit hatte sie sich nämlich eingebildet, dass er ähnliche Gefühle für sie hegte wie sie für ihn.
Was für ein Trugschluss! Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, musste sie mit Bitternis erkennen und fühlte einen dicken Kloß im Hals – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie drauf und dran war, loszuheulen. Doch diesen Gefallen würde sie diesem Judas nicht tun. Macht mir schöne Augen, obwohl er eine Freundin hat, der Mistkerl! Vielleicht ist sie ja sogar seine Braut …
Dergestalt überschlugen sich Maureens Gedanken, als Doktor Sandler sogar die Stirn hatte, ihr von der Pagode her freundlich zuzuwinken. Er sagte etwas zu seiner Begleiterin, woraufhin diese Maureen lächelnd zunickte. Obwohl Maureens Blicke Giftpfeile versprühten, hob auch sie mechanisch den Arm und grüßte zurück. Als Crowley und die Gräfin Bronski wenig später zur Bank zurückkehrten, fanden sie eine völlig erstarrte Maureen vor. Auf Crowleys Frage, was ihr fehle, entgegnete Maureen nur einsilbig, sie habe Kopfschmerzen. Der Okkultist, der Doktor Sandler und seine Begleiterin im Pavillon offenbar bemerkt hatte, schien den wahren Grund ihrer Niedergeschlagenheit zu ahnen.
»Hast was Besseres verdient als den Schnösel«, raunte er ihr zu und schlug vor, zum Sanatorium zurückzugehen.
Das kam Maureen, die den Anblick von Doktor Sandler und seiner Freundin nur schwer ertragen konnte, überaus gelegen. Während sich Crowley von der Gräfin mit galantem Handkuss verabschiedete und sich mit ihr zum Lunch verabredete, stand Maureen noch immer unter dem Eindruck des Gedankens, welcher ihr bei Crowleys Bemerkung unwillkürlich in den Sinn gekommen war: Etwas Besseres als Doktor Sandler? Du hast wohl ’ne Meise?!
Ihr war mehr denn je zum Heulen zumute. Ohne dem Verräter noch einmal zuzuwinken, erhob sie sich von der Bank und trat mit Crowley den Rückweg an.
Als Maureen um sieben Uhr abends mit ihrer Einkaufstüte zum Schwesternwohnheim zurückkehrte, schweiften ihre Blicke über den Park, der ins goldene Licht der Abendsonne getaucht war. Sie überlegte kurz, ob sie sich nachher, wenn sie ihre Einkäufe verstaut hatte, noch ein wenig nach draußen setzen sollte, doch da ihr nicht der Sinn nach Ansprache und Geselligkeit stand, entschied sie sich dagegen. Sie hatte gerade den Schlüssel in die Haustür gesteckt, als sie Schritte hinter sich hörte.
»Guten Abend, Schwester Maureen! Wie schön, Sie zu sehen!«, vernahm sie im nächsten Moment die vertraute Stimme von Doktor Sandler.
Sie wandte sich jäh zu ihm um. Fassungslos gewahrte sie, dass er wieder in Damenbegleitung war – es war dieselbe Frau wie am Vormittag. Mit versteinerten Gesichtszügen blickte sie die beiden an und konnte sich kaum einen Gruß abringen.
»Darf ich Ihnen meine Schwester Patricia vorstellen? Sie lebt in London und hat mir heute einen Besuch abgestattet«, erläuterte der junge Psychiater launig.
Maureen musste an sich halten, der sympathischen Dame mit den dunklen Haaren nicht vor Freude und Erleichterung um den Hals zu fallen. Aus der Nähe betrachtet hatte Patricia große Ähnlichkeit mit ihrem Bruder. Warum war Maureen das nicht früher aufgefallen? Sie errötete und reichte Patricia strahlend die Hand.
»Das ist meine Lieblingskollegin, Schwester Maureen Morgan«, sagte Doktor Sandler zu seiner Schwester.
»Freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen! Joe schwärmt in den hellsten Tönen von Ihnen«, erklärte Patricia unumwunden und drückte Maureen herzlich die Hand.
Nun war es Doktor Sandler, über dessen Gesicht sich eine zarte Röte breitete.
»Wir wollten gerade ins Kino gehen, in einen ganz gruseligen Film, den Joe aber unbedingt sehen will.« Patricia verzog die Mundwinkel.
»In ›Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens‹, ein Meisterwerk des deutschen Regisseurs Murnau, der letztes Jahr in Berlin uraufgeführt wurde und den man keinesfalls versäumen sollte«, erläuterte Doktor Sandler und fragte Maureen, ob sie nicht mitkommen wolle.
Auch seine Schwester war von der Idee sehr angetan. »Vorher gehen wir noch eine Kleinigkeit essen. Ach, kommen Sie doch mit, Maureen, das würde mich sehr freuen!«
Maureens Herz überschlug sich vor Freude – es gab nichts, was sie lieber täte. »Überredet, ich liebe gruselige Filme«, erklärte sie übermütig und brachte nur rasch die Einkäufe nach oben. Sie nutzte diese Zeit, um sich ein wenig zu beruhigen, da sie regelrecht aus dem Häuschen war – über die glückliche Wendung, die ihr der Abend beschert hatte.
Etwa zur gleichen Zeit betrat Aleister Crowley den Speisesaal und steuerte zielstrebig auf den Fenstertisch zu, an dem Gräfin Bronski ihn bereits erwartete. Wie er sehen konnte, hatte sie sich fürs Dinner in Schale geworfen, auf den altmodischen Hut mit dem Spitzenschleier verzichtet und stattdessen einem mondänen Stirnband mit einer silbergrauen Reiherfeder den Vorzug gegeben. Die slawischen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und den schrägstehenden Augen, die dem Magier freudig entgegenblickten, waren durchaus apart, wie Crowley feststellte und da sein Geschlechtsleben schon seit geraumer Zeit brachlag, war er einem etwaigen Abenteuer mit der Dame keineswegs abgeneigt. Dass sie eine linientreue Katholikin war, störte ihn dabei wenig. Im Gegenteil – im Rahmen seines exzessiven Sexuallebens, das kaum etwas ausgelassen hatte, hatte er mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Frömmlerinnen im Bett alles andere als prüde waren. Und es gab noch einen Grund, warum er sich die Gräfin gewogen halten wollte: der schnöde Mammon. Denn seit der Hetzkampagne der Presse fand sich kein Verlag mehr, der seine Schriften veröffentlichte, und er war mehr denn je auf reiche Gönner angewiesen. So zeigte er sich von seiner charmanten Seite, trug über dem Kilt ein schwarzes Dinner-Jackett und hauchte der Dame galant einen Kuss auf den Handrücken, ehe er sich ihr gegenüber setzte. Als ein livrierter Ober herbeieilte, um ihnen die Menükarten zu reichen, bestellte Crowley einen Malt-Whiskey und fragte die Gräfin, ob sie auch einen wünsche.
»Das können Sie sich sparen, Sir Alfred! Hier gibt’s nur Tee, Säfte und Pisswasser, damit wir alle schön nüchtern bleiben«, krähte die Gräfin, woraufhin Crowley seufzend ein Ginger Ale orderte. »Machen Sie sich mal keine Sorgen, Sackgesicht! Dem können wir Abhilfe schaffen«, erklärte Gräfin Bronski, öffnete ihre elegante Abendhandtasche und präsentierte Crowley einen silbernen Flachmann. »Ist zwar kein Whiskey drin, aber ein guter französischer Cognac tut’s doch hoffentlich auch.«
Der Magier war begeistert. »Vortrefflich, meine Liebe, vortrefflich, der Abend ist gerettet!«
»Das machen die meisten hier, man darf sich nur nicht dabei erwischen lassen, sonst werden einem die Vergünstigungen gestrichen.«
Nachdem Crowley sein Ginger Ale dezent präpariert und der Gräfin gebührend zugeprostet hatte, servierte ihnen der Ober ein auserlesenes Vier-Gänge-Menü, sodass der vom Alkohol bereits euphorisierte Magier in bester Stimmung war. Er schob sich gerade genussvoll ein Stück Roastbeef in den Mund und schaute sich im Saal um, als er plötzlich zur Salzsäule erstarrte und ihm der Bissen fast im Halse stecken blieb.
Gräfin Bronski musterte ihn irritiert. »Was ist denn mit Ihnen los, haben Sie einen Geist gesehen?« Doch anstatt ihr zu antworten, starrte Crowley nur weiterhin ins Leere, woraufhin ihn die Gräfin energisch am Arm stupste und fragte: »Essen Sie das nicht mehr? Dann nehme ich das nämlich für meine Katzen mit.«
»Ja, ja, machen Sie nur! Äh, äh, Entschuldigung, ich muss gehen«, murmelte Crowley hektisch, erhob sich von seinem Stuhl, deutete eine Verbeugung an und verließ fluchtartig den Speisesaal.
»Der hat sie doch nicht mehr alle«, fluchte die Gräfin konsterniert. »Verpiss dich, Du Schwanzlurch«, rief sie dem Entschwindenden hinterher und da sie sowieso schon alle Blicke auf sich gezogen hatte, zertrümmerte sie noch wütend ihr Glas und schrie so laut, dass es durch