Ursula Neeb

Die Schrecken des Pan


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Scheiß hier vorbei ist.« Crowley hatte offenbar zu seinem alten Zynismus zurückgefunden. »Die erste Hälfte habe ich ja schon abgesessen.«

      »Und die zweite Hälfte wird mit Sicherheit vergnüglicher als die erste, denn das Gröbste haben Sie ja nun hinter sich und wenn Sie sich bewähren, dürfen Sie demnächst auch das Anstaltsgelände verlassen und das idyllische Städtchen Virginia Water erkunden – in Begleitung von Pfleger Festus, versteht sich.«

      Crowley prustete los. »Soll ich mit diesem Gorilla etwa seine Verwandten im Zoo besuchen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

      »Unsere männlichen Patienten werden bei Außenaktivitäten immer von Krankenwärtern begleitet, das ist bei uns so üblich. Unsere Pfleger Festus und Walter machen das sehr gut und wie ich weiß, sind sie auch zwei lustige Burschen, die gerne mal ein Späßchen machen.«

      »Ja, dich in den Schwitzkasten nehmen, bis dir die Luft wegbleibt«, knurrte Crowley missmutig.

      »Das war nur zu Ihrem Schutz, Sir, denn Sie hatten ja ein schlimmes Entzugsdelir.«

      Maureen, die Crowleys Geschichte über den ominösen Bruder Pan keineswegs auf die leichte Schulter genommen hatte, hatte unmittelbar nach dem Vorfall in Crowleys Suite Doktor Sandler und den Oberarzt Doktor Eisenberg zu Rate gezogen. Sie waren so verblieben, dass der Oberarzt den Patienten noch einmal darauf ansprechen würde, wenn er wieder bei klarem Verstand war. Crowley hatte bisher jedoch jedes Gespräch abgeblockt und sich damit herausgeredet, er könne sich an nichts mehr erinnern. Maureen hingegen hatte er erbitterte Vorwürfe gemacht, weil sie den Ärzten erzählt hatte, was er ihr anvertraut hatte. Fortan war er ihr ausgewichen, wenn sie das Thema gestreift hatte. Als sie vorsichtig nachgefragt hatte, ob es nicht ratsam sei, seinen Verdacht der Polizei zu melden, hatte er nur unflätige Flüche von sich gegeben. Er war der Meinung, das würde nur an ihm kleben bleiben, da sein Ruf durch die Hasstiraden der Presse total ruiniert sei. Maureen, die sein Zaudern gut verstehen konnte, ließ der Vorfall dennoch keine Ruhe und so beschloss sie kurzerhand, ihn noch einmal auf Bruder Pan anzusprechen.

      »Mr Crowley, sagen Sie mir bitte ganz ehrlich, ob das, was Sie mir über Bruder Pan erzählt haben, die Wahrheit war!«

      Crowley fuhr zusammen, wie von einem Peitschenhieb getroffen. »Ich hatte Wahnvorstellungen, Schwester Maureen, und kann mich nicht mehr genau erinnern, was ich alles von mir gegeben habe. Das habe ich auch den Weißkitteln gesagt, als die mich darauf festnageln wollten«, erwiderte er ungewohnt abweisend.

      Maureen gab sich jedoch nicht zufrieden damit, da ihre Intuition ihr etwas anderes sagte. Obgleich Crowleys Augen hinter dunklen Gläsern verborgen waren, blickte sie ihn eindringlich an.

      »Gibt es Bruder Pan oder war er nur eine Ausgeburt Ihrer Fantasie?«

      Crowley schluckte krampfhaft, seine Atemzüge wurden von einem Pfeifen begleitet und er schien kurz vor einem Asthma-Anfall zu stehen. Er gab ein heiseres Krächzen von sich, welches Maureen wie ein »Ja« vorkam, aber sie war sich nicht sicher.

      »Kommt her, ihr stinkenden Kackbeutel!«, vernahm sie plötzlich eine keifende Frauenstimme und lenkte unmutig ihren Blick in die entsprechende Richtung.

      Nur einen Steinwurf entfernt, auf dem Holzsteg unweit des Pavillons, gewahrte sie eine ganz in Schwarz gekleidete Dame, die seltsame Pirouetten vollführte und den Schwänen und Enten, die sich lauthals schnatternd um den Steg tummelten, Brotwürfel hinwarf. Die Dame trug einen altmodischen schwarzen Hut mit Spitzenschleier, wie er um die Jahrhundertwende modern gewesen war, und schien Maureen und ihren seltsam gewandeten Begleiter nun gleichfalls bemerkt zu haben.

      »Piss-Nelke und Sackgesicht … schönes Wetter heute!«, krähte sie frohgemut vom Steg herüber.

      »Guten Morgen, Gräfin Bronski!«, grüßte Maureen winkend in ihre Richtung und ahnte bereits, was kommen würde.

      Und sie hatte sich nicht getäuscht, denn die vermögende polnische Adelsdame, die seit zwanzig Jahren im Holloway-Sanatorium untergebracht war und unter dem Tourette-Syndrom litt, verließ den Steg und eilte Pirouetten drehend, aber nicht minder zielstrebig zu ihnen.

      »Lassen Sie sich nicht von ihrer Vulgärsprache provozieren, sie hat einen Tick«, konnte Maureen Crowley gerade noch zuraunen, als die Gräfin die Bank auch schon erreicht hatte und sich ungefragt an Maureens Seite niederließ.

      »Im Gegensatz zu meinem schönen Haus ist es die Hölle hier und ich weiß nicht, wie ich das noch länger ertragen soll«, zeterte sie mit starkem polnischen Akzent. »Noch nicht mal einen katholischen Priester haben wir hier und sonntags in der Kapelle muss man mit diesen Lutheranern zusammensitzen.«

      Maureen musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie erinnerte sich noch deutlich daran, was der Anstaltsleiter Professor Sutton bei einem Rundgang durch die Abteilungen, an dem sie ebenfalls teilgenommen hatte, zu den neuen Schwestern über die Gräfin geäußert hatte.

      »Sie spricht nur mit jemandem, um ihn zu beleidigen, und behandelt ihre Mit-Patientinnen wie Dreck unter ihren Füßen. Sie weigert sich, mit den Ärzten zu reden, und falls doch, dann nur in der Fäkaliensprache. Trotz allem scheint sie im Holloway-Sanatorium glücklich und zufrieden zu sein und betrachtet es als ihr Zuhause«

      Es war außerdem bekannt, dass Gräfin Bronski ausgesprochen tierlieb war und Tiere mehr mochte als Menschen. Im Speisesaal konnte man sie dabei beobachten, wie sie die besten Bissen ihres Abendessens in ein Schälchen legte und es den Katzen hinstellte, die den Park des Sanatoriums bevölkerten. An hohen katholischen Feiertagen fütterte sie ihre Lieblinge sogar mit edlen Austern, die sie im hiesigen Feinkostladen bestellte.

      Um die Etikette zu wahren, auf die im Holloway-Sanatorium stets großer Wert gelegt wurde, entschloss sich Maureen, den Okkultisten und die Gräfin miteinander bekannt zu machen. »Darf ich vorstellen? Gräfin Elzbieta von Bronski – Sir Alfred de Kerval.«

      Während Crowley, dem die Ablenkung durchaus gelegen schien, höflich den Kopf neigte, entgegnete die Gräfin in akzentfreiem Französisch: »Je suis très heureuse.« Dann fügte sie hinzu: »Stinkmorschel«, und lächelte charmant. »Hundsfotze«, konterte der Magier mit maliziösem Grinsen und ließ die Dame wissen, dass sie ihn an jemanden erinnere.

      »Was Sie nicht sagen, Arschtorte!«, gurrte die Gräfin.

      »Haben Sie schon einmal von Helena Petrovna Blavatsky gehört, Verehrteste?«

      Daraufhin schlug die Patientin mit der Faust auf die Bank und strampelte wild mit den Füßen. Sie stieß ein paar polnische Flüche aus und schrie: »Diese russische Teufelin soll in der Hölle schmoren!«

      Crowley schien ihr Wutanfall ein diebisches Vergnügen zu bereiten. »Sie mögen sie wohl nicht besonders, die famose Gründerin der Theosophischen Gesellschaft?«, näselte er verschwörerisch. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, verehrte Frau Gräfin? Helena Petrovna Blavatsky war Jack the Ripper.«

      Die Gräfin war schlagartig erstarrt und fixierte Crowley mit einem eigentümlichen Blick. »Das glaube ich aufs Wort«, erwiderte sie sinister und klatschte in die kleinen, schwarz behandschuhten Hände. »Bravo, bravo!«, skandierte sie in pathetischem Tonfall. »Sie gefallen mir, mein Herr. Möchten Sie mit mir die Enten füttern?«

      »Sehr gerne, Madam – wenn es Sie nicht stört, dass ich den Viechern die Hälse umdrehe.« Crowley hatte sich erhoben und bot der Gräfin ritterlich den Arm.

      Sie brach in affektiertes Kichern aus. »Sie sind ein böser Junge, Sir Alfred«, scherzte sie mit neckisch erhobenem Zeigefinger, legte kokett ihre Hand auf den dargebotenen Arm und ließ sich von Crowley zum Entensteg begleiten.

      Maureen blickte ihnen von der Bank aus lächelnd hinterher. Die schwierige und verschrobene Patientin schien an dem an Exzentrik kaum zu überbietenden Magier einen Narren gefressen zu haben. Etwa im gleichen Alter, hätten sie nach Maureens Dafürhalten ein echtes Traumpaar sein können, das sich auf Anhieb fabelhaft verstand. Nun standen sie nebeneinander auf dem Steg wie alte Freunde, unterhielten sich angeregt und lachten viel. Alles wirkte so ungekünstelt, beide zeigten sich von ihrer besten Seite und blieben doch sie selbst. Während die Gräfin in regelmäßigen