Lage waren, den Knoten zu lösen: Mein Adept war homosexuell und hatte panische Angst, sich das einzugestehen. Also versicherte ich ihm, dass es nichts gäbe, wofür er sich schämen müsse. Er senkte betreten den Blick und gestand mir, dass ihm die Stimmen sehr böse und hässliche Dinge sagen würden. Auch das Böse und Hässliche gehöre zum Kosmos, ließ ich ihn wissen, genauso wie die schwarze Sonne und die dunkle Seite des Mondes.« Er presste angespannt die Lippen zusammen. »Damit muss ich wohl den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Er starrte mich an und begann zu keuchen. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Zu meinem Erstaunen riss er sich die Kleider vom Leib, rannte splitternackt den Berghang hinab wie eine junge Ziege und stürzte sich ins Meer. Als er zurückkam, bat er mich mit bleichem Gesicht und ehrfürchtiger Stimme, noch einmal zu wiederholen, was ich zuvor zu ihm gesagt hatte. ›Auch das Böse und Hässliche gehört zum Kosmos, genauso wie die schwarze Sonne und die dunkle Seite des Mondes‹, sprach ich mit tiefer Überzeugung.«
Maureen hatte ihm fasziniert zugehört. »Die schwarze Sonne, das hört sich richtig unheimlich an.«
Crowley lächelte sinister. »Du hast es erfasst, Fairy Queen. Die schwarze Sonne ist ein alter Name Satans.«
Obgleich es Maureen unwillkürlich fröstelte, ermahnte sie sich zur Sachlichkeit. »Ich glaube nicht an den Teufel, die eigentlichen Erfinder der Hölle sind die Menschen.«
»Richtig, mein schlaues Mädchen! Hinter der Hölle verbergen sich die grausamsten Fantasien, die jemals von Menschen ersonnen wurden – zur Ehre der großen Schlange Satan. ›Ich bin die Schlange Satan, ich lebe an den äußersten Enden der Welt‹ – so stand es schon in den ältesten Hieroglyphen der Ägypter geschrieben.« Crowleys Augen funkelten diabolisch.
Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sich Maureen vor ihm. Sie erinnerte sich daran, dass er in der gesamten Presse, selbst in seriöseren Blättern, als Satanist angesehen wurde.
Doch ohne seine Drogen und den ganzen magischen Zinnober ist er nur ein armer Teufel, der unter höllischen Entzugserscheinungen leidet, ging es ihr durch den Sinn und die Bangigkeit fiel von ihr ab. »Wie ging es denn weiter mit Ihrem Adepten?«, fragte sie interessiert.
»Unmittelbar danach verfiel er in eine drei Tage dauernde Trance«, erwiderte der Okkultist. »Anschließend kam er zu mir wie die Verkörperung der Freude selbst und erklärte, er könne mir gar nicht sagen, wie dankbar er mir sei. Ich hätte ihm den Schlüssel zur innersten Schatzkammer seines Herzens gegeben. Das war mir mit meinen kraftvollen Worten gelungen und er hatte nach nur drei Tagen überwunden, was er fast dreißig Jahre lang unterdrückt hatte. Denn wenn die tiefsten Wünsche nicht befreit werden, resultiert daraus der Wahnsinn. Ich habe ihm den Weg gezeigt, der aus seiner höllischen Verkrüppelung hinaus ans Licht führt. Dafür würde er mir bis ans Ende seiner Tage danken, wie er mir versicherte. In einem feierlichen Ritual gab ich ihm den magischen Namen ›Bruder Pan‹, da er mich an den Ziegengott Pan erinnerte. Er ließ mich wissen, dass er in jenem Augenblick der Erleuchtung so deutlich wie nie zuvor erkannt habe, dass alles nur ein Eingehen und Lauschen auf sein Unterbewusstes sei, das unbedingt in die Tat umgesetzt werden müsse, wenn man seinen wahren Willen und damit die Quintessenz der Lehre von Thelema ausleben wolle. Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz – das sei für ihn die absolute Wahrheit, die er fortan befolgen werde. Ergriffen bekannte er, dass er sich die schlimmen Qualen, die so gewaltig gewesen seien, dass sein Kopf zu zerspringen drohte, hätte ersparen können, wenn er mir nur früher begegnet wäre. Stattdessen habe man ihn mit der verdammenswerten Lehre betrogen, dass seine machtvolle Begierde schandbar und des Teufels sei, man sie unterdrücken müsse und am besten gar nicht erst haben dürfe, um ein achtbarer Mensch zu sein. Er habe sich sein Leben lang mit eiserner Selbstzucht daran gehalten und umso schmerzlicher erfahren müssen, dass die Stimmen in ihm noch stärker und drängender geworden seien. Erst jetzt habe er entdeckt, dass er mehr als nur ein Mensch sei, dass er die Majestät des ewig sich erhebenden Adlers besitze und die Stärke des Löwen. Nun sei es endlich so weit, dass sich der mächtige Adler in die Lüfte erhebe. Seine Begierde war so offensichtlich, dass ich genau verstand, was er meinte«, seufzte Crowley kurzatmig. »Ich rasierte mich und schminkte mein Gesicht wie die allergemeinste Hure. Dann rieb ich mich mit meinem Parfüm ein und machte mich an Bruder Pan heran.« Seine Atemzüge mischten sich mit einem rasselnden Pfeifen, er bekam einen heftigen Hustenanfall und konnte nicht weitersprechen.
Maureen holte seinen Inhalationsapparat aus dem Wohnzimmer, stülpte ihm die Maske über und betätigte den Zerstäuber. Nach einer Weile beruhigte sich zwar seine Atmung, doch ihm stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er riss sich die Maske vom Kopf.
»Bei unserem magischen Sexualakt hat er mich so brutal penetriert, dass er mich fast umgebracht hätte«, krächzte er außer sich. »Er schlug, biss und würgte mich so heftig, dass ich die schlimmsten Todesängste hatte. Obwohl er fast übermenschliche Kräfte besaß, gelang es mir, mich aus seinem Klammergriff zu befreien und lauthals um Hilfe zu rufen. Alostrael und Schwester Ninette stürmten ins Zimmer und Bruder Pan ließ endlich von mir ab. Ich war zutiefst bestürzt und verwies ihn der Abtei. Er hatte mir so zugesetzt, dass ich überall Blessuren hatte und eine Woche lang nicht laufen konnte. Die dunkle Energie in ihm war so übermächtig, dass sie mich fast getötet hätte.« Er gab ein panisches Wimmern von sich. »Inzwischen glaube ich sogar, dass ich mit meiner magischen Formel bei ihm eine Art Büchse der Pandora geöffnet habe, aus der das Böse über die Welt gekommen ist. Das magische Tagebuch, das er zurückgelassen hat, war ein Inferno des Hasses und der Bestialität. Es war gespickt von den abartigsten Gewaltfantasien, die man sich nur vorstellen kann. Ich zelebrierte einen Abwehrzauber und verbrannte es im Feuer. Danach sah ich ihn niemals wieder und mit der Zeit gelang es mir, den Horror zu vergessen, den er über mich und die Abtei gebracht hatte.« Das Beben, das ihn in immer kürzeren Abständen überkam, wurde stärker und er schlotterte so sehr, dass seine Zähne klapperten. »Aber nun weiß ich, dass ich alles nur verdrängt habe, denn es ist schlimmer als zuvor. Als kürzlich in Palermo die verstümmelten Männerleichen gefunden wurden, habe ich sofort an ihn denken müssen, weil … weil er so etwas in seinem Tagebuch beschrieben hat. Und nun hat er mir diesen verfluchten Artikel zugeschickt, um sich mit seinen Taten zu brüsten.« Crowleys Körper wurde von konvulsivischen Krämpfen geschüttelt. »Schütze mich, oh dunkler Gott, vor dem Geist des Abgrunds, der mich zu verschlingen droht!«, schrie er gellend und klammerte sich an Maureen fest wie ein Ertrinkender.
Vom Flur her waren laute Schritte zu vernehmen und gleich darauf trat Doktor Sandler in Begleitung eines hünenhaften Krankenwärters ins Zimmer, um den Tobenden ruhig zu stellen. Während ihn der Pfleger mit routiniertem Griff bändigte, setzte Maureen den Psychiater über Crowleys Zustand in Kenntnis.
»Er fantasiert die ganze Zeit von einem gewissen Bruder Pan und fühlt sich von ihm bedroht«, erläuterte sie knapp.
»Toxische Paranoia«, diagnostizierte der junge Nervenarzt und injizierte Crowley eine Bromlösung, die ihn in einen Dämmerschlaf versetzte.
Nach zehn Tagen auf der Entwöhnungsstation, deren Fenster vergittert und Türen verschlossen waren, hatte sich Crowleys Zustand so weit stabilisiert, dass es ihm erstmals erlaubt wurde, in Begleitung von Maureen einen Rundgang durch das Sanatorium und die Außenanlagen zu unternehmen. Um neun Uhr morgens holte ihn Maureen in seiner Suite ab. Der Okkultist trug zur Unkenntlichmachung wieder seine schwarze Perücke, die dunklen Augengläser und den unvermeidlichen Schottenrock.
»Guten Morgen, meine Schöne!«, säuselte er. Als er auf den Flur hinaustrat, unternahm er mit der Erläuterung, er sei noch etwas wackelig auf den Beinen, sogleich den Versuch, sich bei Maureen unterzuhaken.
Sie erteilte ihm jedoch lapidar eine Abfuhr. »Umso wichtiger ist es zu lernen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.« Dann begann sie mit ihrer Führung durch das schlossartige Gebäude. Sie wies auf die nummerierten Türen zu beiden Seiten des Flurs und erläuterte, dass alle Patienten des Holloway-Sanatoriums ein eigenes Wohn- und Schlafzimmer mit einem feudal ausgestatteten Badezimmer hätten. »Allerdings residieren nur besonders wohlhabende Patienten wie Sie in so weitläufigen Suiten, die mit allem erdenklichen