mit seinem Dad trat er in das Büro, das sich nur unwesentlich vom Wartebereich unterschied. Einzig der wuchtige Ebenholzschreibtisch, hinter dem ein schlanker Mann mit grauem Haar thronte, war auffällig.
Das also war der berühmte Mister van Straten, der Rechtsanwalt, auf den sein Vater Stein und Bein schwor. Nach eigener Aussage hatte der ihn schon aus zahlreichen Problemen gehauen – in die er natürlich stets unschuldig geraten war. Mittlerweile konnte sich Mason denken, dass besagte Probleme mit den Ermittlungen der 84er-Clique zu tun hatten.
»Ah, Mister Collister und Sohn.« Er kam um den Schreibtisch herum, schüttelte beide Hände seines Dads – man konnte es auch übertreiben –, ergriff auch kurz Masons rechte Hand und bedeutete ihnen dann, Platz zu nehmen.
Vor ihm auf dem Tisch lag eine aufgeschlagene Akte. »Ich muss zugeben, wir stecken hier in einer Bredouille.« Er warf Mason einen langen Blick zu. »Zuerst die gute Nachricht: Entgegen der ersten Ankündigung des Staatsanwaltes hat sich kein Belastungszeuge gemeldet.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Mason seinen Dad. Der wirkte überrascht und lächelte. »Das ist ja großartig!«
Natürlich musste ihm klar sein, dass der Mann, mit dem er einen Pakt geschlossen hatte, diesen gekauften Zeugen zurückgezogen hatte. Was er nicht wusste, war, dass es sich dabei um Brian Bruker handelte, den Sohn des Sheriffs. Nachdem sein Dad die Unterlagen über Marietta King herausgerückt hatte, sah der Unbekannte aber wohl keine weitere Veranlassung mehr, Mason über diese Schiene ans Leder zu gehen.
»Leider gibt es noch immer das ordentliche Drogenpaket, das man in ihrem Spind gefunden hat, Mister Collister.« Bei diesen Worten richtete sich der unangenehme Blick van Stratens wieder auf ihn. »Dass es sich dabei um illegale Black Flash-Tabletten handelt, macht es nur noch schlimmer. Gerade letzte Woche ist ein Jugendlicher aus Sunforest Cove – unserer lieben Nachbargemeinde – wegen diesem Zeug ins Koma gefallen. Seitdem fährt der Gouverneur eine Nulltoleranz-Politik. Das wurde natürlich an die Bürgermeister- und Sheriff-Ämter weitergegeben.«
Er seufzte schwer. »In Ihrem Fall handelt es sich zwar trotzdem nur um einen Indizienbeweis, aber leider wird er ausreichen, Sie von der Schule zu werfen, und vermutlich fallen auch ein paar Sozialstunden an. Das Eintragen in ihre Schulakte wird zudem dafür sorgen, dass Sie keinen Collegeplatz bekommen.« Er zuckte entschuldigend die Schultern. »Natürlich werde ich entsprechende Gegenargumente anführen und die Beweiskette als Ganzes infrage stellen. Prinzipiell müssen wir den Staatsanwalt allenfalls ein paar Wochen hinhalten. Sobald der Gute merkt, dass der Fall zu teuer wird, wird sich der Anwalt der Staatsanwaltschaft auf einen Vergleich einlassen. Immerhin ist nächstes Jahr Wahljahr, und da wäre eine schlechte Publicity fatal. Und Geld hat die Stadt schließlich nicht zu verschenken.«
»Vergleich?«, fragte Mason. »Aber bedeutet das nicht, dass meine Unschuld nicht bewiesen wird.«
Van Straten bedachte ihn mit einem Hast-du-Idiot-das-auch-schon-kapiert-Blick. »Genau genommen werden Sie sich sogar schuldig bekennen müssen.«
Mason ballte die Fäuste. »Aber ich habe es nicht getan! Es waren nicht meine Drogen!«
»Also das spielt hier nun wirklich keine Rolle«, sagte der Anwalt. »Wenn dieser Fall vor eine Jury wandern sollte, wird man in Ihnen einen ehemaligen Sportler in der Krise sehen. Für die Staatsanwaltschaft ein gefundenes Fressen. Nein, nein. Wir fechten zuerst einen Papierkrieg aus und verzögern, wo es nur geht. Dann kommt die Voranhörung. Ich werde den Richter mit Anträgen zuschütten und am Ende einen Misstrauensantrag stellen. Zu diesem Zeitpunkt werden wir uns mit der Staatsanwaltschaft einigen.« Er sagte es, als sei es bereits beschlossene Sache. »Diese Straftat landet in Ihrer Akte, doch da Sie minderjährig sind, wird sie versiegelt. Sie leisten die Sozialstunden ab, und Ihr Vater«, dabei deutete er auf seinen Dad, »wird Sie in ein Internat stecken. Damit ist diese Sache sauber vom Tisch.«
»Sauber?«, fragte Mason heiser. Was hatte dieser Idiot gleich noch mal studiert? Jura sicher nicht!
»Mister van Straten hat Recht«, sagte sein Dad unerwartet. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
Für einen Moment war Mason felsenfest davon überzeugt, dass er in irgendeinem seltsamen Traum gefangen war, aus dem er jeden Moment erwachen musste. Gerade sein Dad wusste doch, dass er nichts mit den Drogen zu tun hatte.
Bevor er dem Lackaffen am Schreibtisch die Meinung sagen konnte, klingelte das Telefon. Van Straten nahm ab.
»Ja, Miss Perkins? Was? Sind Sie sich sicher? Verstehe. Danke.« Der Hörer knallte auf die Gabel des Telefons, das der Anwalt zweifellos aus dem vorherigen Jahrhundert mit herübergerettet hatte.
Jemand sollte ihm sagen, dass Telefone heute kein Kabel mehr haben, dachte Mason.
Zum ersten Mal seit dem Betreten des Raumes wirkte der Anwalt überrascht. »Es scheint so, als sei das Drogenpaket aus der Asservatenkammer des Sheriffs entfernt worden.«
Stille.
»Bitte?«, fragte sein Dad. »Ich verstehe nicht.«
»Um ehrlich zu sein, bin ich auch verblüfft«, gab van Straten zu. »Das war das einzige Beweismittel, das dem Staatsanwalt zur Verfügung stand. Meine Sekretärin hat mich soeben darüber informiert, dass das Verfahren gegen Ihren Sohn eingestellt wurde.«
Sein Dad grinste über das ganze Gesicht. Van Straten wirkte einfach nur perplex, aber nicht unzufrieden. Mason hingegen fühlte sich leer.
»Was ist los?«, fragte sein Dad. »Freust du dich nicht?«
»Freuen?«, erwiderte er wütend. »Was sollte mich daran freuen? Dass die Drogen verschwunden sind, wird sich herumsprechen. Das macht alles nur noch schlimmer! Ich wollte, dass meine Unschuld bewiesen wird. Aber jetzt werde ich ewig der Drogenjunge sein, der eigentlich ins Gefängnis gehört, der aber wegen eines Diebstahls – und so wird es der Sheriff hinstellen – nicht verurteilt worden ist. Damit bin ich endgültig erledigt.«
Mason sprang auf, ließ seinen verdutzten Vater sitzen und rannte davon.
*
Olivia stand in der Dunkelkammer und wartete. Da die Tür nicht abschließbar war, konnte sie nur darauf hoffen, dass ihre Eltern und Geschwister das Betreten-endet-tödlich-Schild an der Tür ernst nahmen. Es war jedes Mal ein Glücksspiel.
Über die Sache mit Mason hatte sie den Wettbewerb ganz vergessen, an dem sie demnächst teilnehmen wollte. Sie warf einen Blick auf die Ausschreibung, die sie aus der Barrington Cove Gazette herausgerissen hatte. Ein Tourismus-Magazin suchte nach Bildern von den Sandstränden Barrington Coves. Da sie grundsätzlich einen leeren Geldbeutel hatte und den letzten Rest ihres Geldes in die Reparatur des Autodachs gesteckt hatte, war das die Gelegenheit.
Natürlich hatte Danielle angeboten, sich an der Reparatur zu beteiligen. Selbstverständlich hatte Olivia abgelehnt. So weit käme es noch, dass sie Geld von ihr annahm.
Sie seufzte.
Bisher war es ihr noch nicht gelungen, den perfekten Moment einzufangen. Und perfekt musste er sein.
Sie hatte die Bilder mit Wäscheklammern an einer Schnur vor der Bretterwand aufgehängt. Zuerst erschienen nur die Umrisse, dann entstanden Kleckse, schließlich Szenen. Es waren jene Bilder, die sie am Strand aufgenommen hatte, bevor sie auf Mason getroffen war.
Olivia lächelte. Die Aufnahmen waren nicht schlecht. Sie hatte den Sandstrand aus mehreren Perspektiven aufgenommen. Auf zwei der Bilder sah man Mason, wie er auf dem Steg stand und traurig auf das Meer hinaus schaute.
Trauriger Junge am Strand. So könnte er mal auf positive Art berühmt werden.
Schließlich kamen noch Aufnahmen von den Holzbohlen des Steges. Überall gab es eingeritzte Herzchen und Zeichnungen.
Olivias Lächeln gefror.
Sie trat näher an eines der Bilder heran. Kein Zweifel: Jemand hatte ein Herz in das Holz geritzt. Im Inneren stand: 1984. Darunter: