forschend an. »Die Menschen sagen nicht oft ‚Danke‘ zu dir, oder?«
Danielle wurde rot. Dann musste sie lächeln. »Gern geschehen.«
»Schon besser.«
Jetzt grinste er übers ganze Gesicht, was irgendwie niedlich aussah. Nicht, dass sie Interesse an Randy Steinbeck hatte – zumindest keines, das über das einer Freundschaft hinausging –, aber auf eine seltsame Kleiner-Bruder-Art hatte der Nachwuchs-Nerd etwas Goldiges an sich. »Das ändert aber nichts an meiner Meinung.«
Er nahm den Rucksack herunter, kramte einen Moment darin und deutete auf ihren Schreibtisch. »Darf ich?«
Sie nickte.
Randy breitete ein paar alte Polaroids, Zettel und kopierte Unterlagen aus. »Ich war noch einmal im geheimen Raum. Es ist unglaublich, was Billy zusammengesammelt hat.«
»Billy?«
»Hm?« Er sah auf. »Oh, ich meine Billy Tarnowski. Ein paar der ersten Dokumente stammen noch aus dem Jahr 1984. Stell dir das mal vor! Zusammen mit seinen Freunden hat er kurz nach der Ermordung von Marietta mit den Ermittlungen begonnen. Masons Dad war einer der 84er.«
»Die 84er?«
»So nenne ich sie.« Er wedelte mit der Hand. »Das ist doch jetzt egal. Auf jeden Fall haben sie jahrelang einen haarsträubenden Fall nach dem anderen erlebt, während sie versucht haben, den Tod von Marietta King zu lösen. Die Zeitungen waren damals voll davon, es war das Stadtgespräch schlechthin.«
Danielle musste zugeben, dass sie interessiert war, was aber nichts an ihrer Meinung änderte und sie keinesfalls zugeben würde.
Sie setzte sich auf ihren Stuhl, betrachtete die Bilder und bekundete mäßiges Interesse.
»Auf jeden Fall haben die 84er im Verlauf ihrer Ermittlungen herausgefunden, dass es in Barrington Cove einen Mann gibt, der die Unterwelt quasi kontrolliert. Stell dir das nur vor, wir haben unseren eigenen Professor Moriarty.«
»Ist das so was wie Doktor Frankenstein?«
Randy, der gerade Luft geholt hatte, um weiter zu sprechen, hielt inne und starrte sie entsetzt an. »Sag mal, liest du ab und zu auch Bücher?«
»Klar. Vor allem zum Thema Pferde und Boote.«
»Oookay.« Er nickte, als habe sie gerade eine seiner Vermutungen bestätigt. »Moriarty war der Gegenspieler von Sherlock Holmes. Wer das ist, weißt du aber, ja?«
»Klar. Der letzte Film mit Robert Downey jr. war nicht schlecht. Jetzt weiß ich, wen du meinst.«
Jetzt sah Randy so aus, als könne er nur mit Mühe an sich halten. »Okay, ich fange gar nicht erst an.« Er seufzte. »Auf jeden Fall hat er überall hier in der Stadt seine Hand im Spiel, wenn es um dunkle Geschäfte geht. Die 84er haben niemals herausgefunden, wer er ist. Aber, und an der Stelle wird es interessant: Er war auch sehr daran interessiert, den Mord an Marietta King aufzuklären. Er nennt sich übrigens«, Randy hob eines der Polaroids in die Höhe, auf dem die alte Barrington High von außen zu sehen war, »der Graf. Und er hat einen englischen Akzent.«
Sie nahm das Foto entgegen. Hinter einem der Fenster konnte man schemenhaft eine Person ausmachen. Sie konnte nicht einmal erkennen, ob es ein Junge oder ein Mann war. »Das ist ja alles ganz toll, aber damit änderst du meine Meinung nicht.«
Randy grinste, als sei er ein Zauberer, der jetzt, wo die Vorstellung sich dem Ende entgegen neigte, das Kaninchen aus dem Hut zog. »Der Graf hatte einmal, das war Ende der 80er, ein Mädchen vom 84er-Team gekidnappt. Deshalb habe ich mir die mal genauer angesehen. Es war die beste Freundin von Marietta King.«
Danielle verdrehte die Augen. »Okay. Und warum erzählst du mir das alles? Das ist ja echt nett, dass du dir so viel Mühe gibst, aber das ändert meine Meinung nicht.«
»Das Mädchen hieß Shannon Jenkins.«
Und da war es, das Kaninchen.
Oder genauer: der Vorschlaghammer.
Danielle hatte das Gefühl, als hätte Randy gerade ausgeholt und ihr die Faust ins Gesicht gedonnert. »Aber … Jenkins ist der Mädchenname meiner Mum.«
Randy nickte. »Deine Mum ist eine der 84er gewesen, ebenso wie Masons Dad. Sie waren ’ne Zeitlang sogar zusammen und viele Jahre danach noch beste Freunde. Ich weiß nicht, was dann passiert ist, aber irgendwann hat sie sich von dem Team abgewendet.«
Danielle konnte es nicht fassen. Ihre schnapsdrosselige Mutter, die den ganzen Tag Martinis schlürfte und am Pool lag, die ständig versuchte, den armen Poolboy abzuschleppen – der wiederum von ihrem Dad ständig ausgetauscht wurde – und der die Bräune ihrer Haut wichtiger war als die Bürgermeisterwahl, hatte einst mit ihren Freunden in einem Mordfall ermittelt.
Erst jetzt bemerkte Danielle, dass Randy ihr ein Foto hinhielt. Sie schnappte es ihm aus der Hand, als wäre es ein Diamant. Tatsächlich: Auf dem vergilbten Polaroid, das mit Selbstauslöser aufgenommen worden war, standen die 84er im geheimen Raum und grinsten in die Kamera.
Danielle konnte es nicht erklären, doch mit einem Mal hatte sie das Gefühl, durch ein Fenster in die Vergangenheit zu blicken und einen Teil ihrer Mutter zu sehen, der vor langer Zeit gestorben war. Das Mädchen auf dem Bild wirkte durchsetzungsstark und energiegeladen, als könne sie es mit der ganzen Welt aufnehmen.
Als sie aufblickte, waren ihre Augen nass.
Randy schaute zerknirscht drein. »Tut mir leid, ich wollte nicht …«
»Schon gut.« Sie winkte ab. »Danke, dass du mir das gezeigt hast.«
»Ich weiß nicht, was eure Eltern begonnen haben«, sagte Randy, »wer Marietta King umgebracht hat oder wer dieser Graf ist, aber es ist noch nicht vorbei.«
»Was meinst du?«
Randy zuckte die Schultern. »Die Drogen in Masons Schrank. Mein ‚Sturz‘ aus dem Fenster. Der geheime Raum mit all diesen Unterlagen und die Verstrickung eurer Eltern in Dinge, die scheinbar heute noch Auswirkungen haben – das können wir nicht einfach so beiseite schieben.«
Danielle starrte auf das Foto. Sie konnte spüren, wie die Neugierde in ihr erwachte. Sie wollte wissen, was ihre Mum und die anderen 84er damals für Abenteuer erlebt hatten. Mason hatte es nicht verdient, dass sein Leben auf dem Altar dieses alten Kampfes zwischen seinem Dad und dem Graf geopfert wurde. Und ja, sie wollte wissen, wer Marietta King – das Mädchen mit den traurigen Augen – umgebracht hatte. Zur Hölle, sie wollte nicht länger hier zu Hause herumsitzen – alleine.
Mit einem Mal wurde ihre Brust eng. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
»Alles okay?«, fragte Randy besorgt.
»Bestens«, sagte sie schnell. »Lass uns nach draußen gehen. Ich zeig dir unseren Garten. Dann reden wir weiter.«
Er musterte sie noch einen Augenblick durchdringend, als würde er überlegen, ob er Hilfe herbeirufen sollte, dann sagte er: »Okay.«
Gemeinsam verließen sie das Zimmer.
*
Eigentlich hatte Mason geglaubt, dass eine derartige Umgebung nur von Regisseuren und Drehbuchautoren erdacht wurde, um eine altehrwürdige Anwaltskanzlei darzustellen. Doch tatsächlich blickten grimmig dreinschauende Männer von in Goldrahmen eingefassten Ölgemälden auf ihn herab. Der Teppich war so tief und flauschig, dass man bei jedem Schritt darin versank und kein Laut zu hören war. Die Wände waren holzvertäfelt. In der Luft lag ein Geruch von Tabak – keine Zigaretten, eher Zigarren.
Sein Dad hatte eine der Computerzeitschriften vom Tisch des Wartebereichs genommen und blätterte lustlos darin. Mason konnte sich auf nichts konzentrieren, stierte einfach mal hierhin und mal dort hin. Wie er diese Warterei hasste.
»Mister van Straten erwartet Sie dann«, sagte eine ältliche Sekretärin, deren grauer