sobald er sich in einem geschlossenen Raum befand, und harrte mit Shannon im Dunkeln aus. Sie drückte sich eng an ihn, was er unter anderen Umständen höchst erregend gefunden hätte, nun allerdings schien es ihm die Lungen zusammenzuquetschen. War hier drinnen überhaupt genug Sauerstoff für sie beide? Er blickte nach oben an die Decke. Lüftungsschlitze. Das war gut. Das hieß, der Raum war an die Schächte der Schule angeschlossen. Sie würden nicht ersticken. Oder?
Jamie wich einen Schritt von Shannon zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie lange waren sie jetzt hier drinnen? Eine Minute? Eine Stunde?
Irgendwann horchte Shannon sich auf. »Ich glaube, er ist weg.«
»Meinst du?«
Sie machte sich von ihm los. »Ist alles okay mit dir? Du bist ganz heiß.«
»Ja. Alles super.« Normalerweise hätte er ihr einen flapsigen Spruch dazugedrückt, doch im Moment wollte er nur noch hier raus.
Shannon ging zur Tür, um zu öffnen. »Mist!«
»Was?«
»Es ist abgeschlossen.«
»Was soll das heißen, es ist abgeschlossen?!«
»Ich bekomme die Tür nicht auf.«
Jamie wirbelte herum, stieß Shannon zur Seite und rüttelte an der Klinke. Sie hatte recht. Sie war abgeschlossen. Bombenfest.
»Scheiße, Scheiße … bitte nicht«, stammelte er. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, seine Kehle wurde eng. Er nestelte am Kragen seines Shirts. Luft. Er brauchte Luft.
»Jamie?« Shannon legte die Hand auf seine Schulter.
»Fass mich nicht an!«, brüllte er und fuhr sich an die Stirn. Warum bekam er keine Luft mehr? Es gab doch genug hier drinnen. Da waren Lüftungsschlitze und ein Fenster. Es konnte nichts passieren. Er würde nicht ersticken oder zerquetscht werden. Weder bewegten sich die Wände noch wich der Sauerstoff aus dem Raum. Es ist alles gut. Sie müssten nur laut genug klopfen, brüllen, schreien. Die anderen würden kommen und sie rausholen. Ganz sicher würden sie das. Warum zum Teufel bekam er dann keine Luft mehr?
»Jamie, um Gottes Willen«, hörte er Shannon noch rufen. Dann schlug er auf dem Boden auf und es wurde still.
*
Barrington Cove, Gegenwart
Ein Montag
»Mum, ich bin zu Hause.« Olivia schob mit dem Hintern die Tür zu und balancierte ihre Einkäufe auf den Armen. Der faule Esel trägt sich auf einmal tot, dachte sie, während sie versuchte, die beiden Tüten, die Schultasche, die Post und den Kaffeebecher so zu halten, dass sie nichts vom Kaffee auf die Post verschüttete. Es wäre zwar nicht schade um die tausend Mahnungen gewesen, doch wenn nur ein Klecks auf den halbnackten Kerl tropfen sollte, der das Cover des neuesten Hollister-Katalogs zierte, würde Maria den ganzen Tag schmollen. Und schmollende kleine Schwestern waren nun mal ätzend. Zumal Olivia ihr heute den Küchendienst aufschwatzen wollte, um fotografieren zu gehen. Für den Abend war ein Gewitter gemeldet und die Lichtstimmung kurz vor oder nach einem Unwetter war einfach großartig. Zudem würde es über den Ozean hereinziehen. Doppelt gut, das Meer würde diesen herrlichen dunkel-türkisen Farbton annehmen. Mit ein wenig Glück würden die Wolken schwer und unheilvoll über dem Meer hängen, während die Sonne unterging. Selbst mit ihrer alten Nikon-analog-Scherbe könnte sie das nicht verhunzen. Da es ihre letzten Strandbilder im Caribic-Island-Wettbewerb immerhin unter die besten drei geschafft hatten, war Olivia umso mehr motiviert. Zwar hatte es kein Geld dafür gegeben, aber Olivia hatte gleich drei neue Anfragen von Magazinen erhalten, für die sie probeknipsen sollte. Sie brauchte einfach mehr Wettbewerbe, um ins Gespräch zu kommen.
»Mum?«
Keine Antwort. Vermutlich hing sie mal wieder mit Tante Filipa an der Strippe und diskutierte den neuesten Klatsch aus Lucainena de las Torres.
Der Kaffeebecher schwankte gefährlich, aber Olivia hatte den Küchentresen fast erreicht. Auf einmal stieß sie gegen einen Widerstand und konnte im letzten Moment verhindern zu stolpern. Sie blickte nach unten. »Carlos, geh weg!«
Der Kater war ihr vor die Füße gelaufen und schmiegte sich nun laut schnurrend gegen ihre Beine. Er hatte einfach ein unschlagbares Talent, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Olivia zischte noch einmal und versuchte ihn sachte wegzuschieben, was ihn nur dazu animierte, sich ans andere Bein zu werfen. Der Becher kam gefährlich ins Schwanken. Olivia biss auf ihre Unterlippe, fixierte den Kaffee, als könne sie ihn mit bloßer Willenskraft daran hindern überzuschwappen, und schaffte es schließlich mit der Post, den Einkäufen und dem Katalog zum Küchentresen. Sie hievte die beiden Tüten auf den Tresen, schmiss ihre Tasche auf den Barhocker und bückte sich, um Carlos auf den Arm zu nehmen.
»Du frecher kleiner Kater.« Sofort fing er an zu schnurren. »Hat dich heute noch niemand gefüttert? Oder tust du nur so als ob und spekulierst darauf, dass du noch etwas von mir bekommst?« Er stieß seine Nase gegen ihre. Sie lachte, setzte ihn auf einem der freien Hocker ab und öffnete den Unterschrank mit dem Katzenfutter.
Ihre Mutter kam durch das Wohnzimmer gelaufen. Den Telefonhörer ans Ohr geklemmt, redete sie wie ein Wasserfall. »Estás segura de que la has visto junto con Jorge? Y se hanbesado?«
Oha, Jorge ist mal wieder fremdgegangen. Olivia streckte die Hand hoch, um ihrer Mutter zu signalisieren, dass sie hinter dem Tresen kniete.
»Hallo, Liebes«, rief sie und setzte ihr Telefonat fort. »Esa mujerzuela. Ni hace casí un año desde la muerte de Manuel. Que dios le tenga en su gloria. … Sí, sí, ya sé … Lucia ya sabe algo? … Que? No lo dirás en serio…«
Olivia griff eine Dose mit extra viel Thunfisch, schloss die Schranktür und blickte in dem Moment auf, als Carlos auf den Tresen sprang und den Kaffeebecher umwarf. Der Inhalt floss mitten über Mister Nackter-Oberkörper-Hollister. »Carlos! Du gottverdammter …«
»In diesem Haus wird der Name des Herrn nicht missbraucht, junge Frau!«, rief ihre Mutter dazwischen.
»Verdammt«, schrie Olivia und scheuchte Carlos vom Küchentresen, der gerade den Milchschaum auflecken wollte. »Großartig. Einfach großartig.« Maria würde ausflippen. Das war’s mit der Fototour heute Abend. Adieu Gewitterstimmung, hallo Küchendienst. Olivia riss einige Küchentücher von der Rolle und versuchte, den Schaden einzudämmen. Vielleicht, wenn sie den Katalog zum Trocknen an die Wäscheleine … ach, egal. Olivia seufzte und warf ihn in die Papiertonne unter dem Tresen. Sie ließ sich in den Hocker plumpsen und nahm die Barrington Cove Gazette von heute.
Mal sehen, was für Fotos sie von Billys Haus genommen haben. Die Story hatte es immerhin auf Seite drei geschafft. Olivia blätterte die Stelle auf und stieß einen Pfiff aus. Sehr gut. Die Gazette hatte ein halbseitiges Bild sowie ein kleineres verwendet. Super, das macht dann fünfundzwanzig Dollar für die beiden Fotos. Wenn sie in dem Tempo ihr Geld weiter zusammensparte, hätte sie in gefühlten fünfzig Jahren genug zusammen, um sich die bis dahin neue Nikon-Spiegelreflex-Vollformat zu kaufen. »Dann bin ich steinalt und kann die Kamera nicht mehr ruhig halten«, sagte sie zu sich selbst und blätterte lustlos die Zeitung weiter durch.
»Olà, Oliv«, sagte Maria, als sie zur Küchentür hereinkam und sich auf die andere Seite des Tresens lehnte. Ihre kleine Schwester trug mal wieder eines ihrer hunderttausend Blümchenkleider, die mehr von ihrem Ausschnitt zeigten als verdeckten. Olivia schimpfte jedes Mal mit ihr. Das war einfach keine Kleidung für eine Vierzehnjährige. Die Haare hatte Maria diesmal zu einem kunstvollen Flechtgebilde hochgesteckt.
»Ist der Hollister-Katalog gekommen?«, fragte Maria. »Brenda sagte, das neue Covermodel sähe aus wie Chris Hemsworth, nur in jung.« Maria kaute wie immer Kaugummi und machte eine Blase, die sie sofort wieder platzen ließ.
Der Duft nach künstlichen Erdbeeren stieg Olivia in die Nase. »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass dein Kaugummigekaue nervt. Außerdem ist der Zucker schlecht für