Jacques Derrida

Die Todesstrafe II


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die besser ist als das Leben. Der Pharisäismus, das ist, für eine verdächtige Tradition, die aber bis zu Kant und darüber hinaus reicht, jene Kultur von Krämerseelen, die den Buchstaben und den Körper dem Geist vorziehen, die das Leben der Würde des Lebens vorziehen, und die also berechnen, die aus der Gerechtigkeit ein utilitaristisches Kalkül machen, die die Todesstrafe, und den Tod eines Menschen, als eine Investition, ein Handelsgeschäft, eine nützliche Transaktion, ein Tauschgeschäft rechtfertigen: Der Tod eines Menschen als Preis für die Sicherheit oder das Wohlbefinden, für das Überleben der Gesellschaft. Diese Pharisäer (und hinter dem Wort Pharisäer zeichnet sich immer der Schattenriss eines scheinheiligen, buchstabengläubigen, ritualistischen, berechnenden Juden ab) sind verachtend und verachtenswert. Sie verachten das Prinzip der reinen Gerechtigkeit, das den Geist des Menschen, den Menschen als Ziel an sich und nicht als Mittel betrifft; sie achten den Angeklagten oder den Verurteilten nicht. Sie ehren ihn nicht. Gleichzeitig entehren sie sich selbst, sind sie selbst der menschlichen Würde unwürdig und genauso verachtenswert wie das, was sie verachten. Kant fährt fort, immer noch gegen diejenigen, die aus dem Leben des Verurteilten, aus dem Körper des Verurteilten etwas machen, das für die Gesellschaft oder gar für die Menschheit nützlich ist, die nach ihrem Belieben darüber verfügt (denn für Kant bedeutet die Tatsache, einen Menschen hinzurichten, nicht, über ihn zu verfügen oder mit ihm zu machen, was man will, oder Macht über ihn auszuüben, indem man ihn instrumentalisiert, sondern in ihm einen Menschen zu achten und zu ehren, der würdig ist, bestraft zu werden, weil sein Handeln strafbar ist), Kant fährt also fort, indem er die Fiktion (die übrigens gar nicht so fiktiv ist) eines schrecklichen Handels imaginiert, der einem zum Tode Verurteilten das Leben, also die Begnadigung anbieten würde, unter der Bedingung eines Vertrags also, durch den er seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellt:

      Was soll man also von dem Vorschlage halten: einem Verbrecher auf den Tod das Leben zu erhalten, wenn er sich dazu verstände, an sich gefährliche Experimente machen zu lassen, und so glücklich wäre, gut durchzukommen; damit die Ärzte dadurch eine neue, dem gemeinen Wesen ersprießliche, Belehrung erhielten? Ein Gerichtshof würde das medizinische Collegium, das diesen Vorschlag täte, mit Verachtung abweisen; denn die Gerechtigkeit hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggibt.25

      Kant unterscheidet wie immer zwischen der Würde (Würde*, der Wert als Würde, die ohne Preis ist, über allem Preis steht, wie die Gerechtigkeit) einerseits, und dem Wert (als Marktpreis*), dem vergleichbaren, berechenbaren Handelswert andererseits, dem Preis, der nicht die Würde ist, der der Würde unwürdig ist – und folglich unwürdig des Rechts des Menschen als Vernunftwesen oder als reiner praktischer Vernunft.

      Wir sehen sehr gut, dass Kant diese Logik und diese Bemerkung zur Transaktion, die man mit dem Körper des Verurteilten oder des Rechtssubjekts nicht eingehen dürfe, dass Kant also diese Logik jenseits all dessen < verorten > will, was man heute auf oft konfuse Weise eine Bio-Macht nennt, eine Staatssouveränität, die sich in Bezug auf die Körper der Bürger-Subjekte ein Recht über Leben und Tod sichern würde. Obwohl das Strafrecht und die Todesstrafe im Kant’schen Sinne, von einer bestimmten Seite betrachtet, dieser Theorie und diesem Begriff der Bio-Macht dienen können, gibt es in derselben Kant’schen Logik etwas, das sich ihr heftig widersetzt und sogar einen Widerstand gegen sie organisieren könnte. Einen schuldigen Bürger nach Recht und Gerechtigkeit zu töten, heißt Kant zufolge mitnichten, in souveräner Weise über seinen Körper zu verfügen. Wir werden die Konsequenzen, die Kant in seiner Kritik an Beccaria und in seiner Interpretation des ius talionis als kategorischem Imperativ aus all dem zieht, später noch untersuchen.

      Hier müssen wir sehen, dass die Kraft des Kant’schen Arguments darin besteht, dass es an zwei Fronten, auf zwei Flügeln wirksam ist. Kant stellt sich sowohl dem Anhänger als auch dem Gegner der Todesstrafe entgegen. Er stellt sich dem gewöhnlichen Anhänger der Todesstrafe und des Strafrechts entgegen, wo sich dieser Anhänger der Todesstrafe und der Bestrafung im Allgemeinen meistens auf die Nützlichkeit, die Beispielhaftigkeit, die Abschreckungskraft beruft: auf das Wohl der Gesellschaft, ja der Menschheit. Kant stellt sich, auf einem anderen Flügel, aber auch dem Befürworter der Abschaffung der Todesstrafe entgegen, der von derselben utilitaristischen und letztlich eudaimonistischen und vitalistischen Axiomatik ausgehend auf das Gegenteil schließt; der klassische Befürworter der Abschaffung der Todesstrafe zieht den Schluss, dass die Todesstrafe nutzlos ist, ohne exemplarischen Wert, ohne abschreckende Wirkung – oder er stellt das natürliche Leben, das biologische Leben über alles, indem er ihm ein unbedingtes Recht verleiht. Damit bestätigt sich: Wenn sich in Zukunft ein Diskurs zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe konstituieren soll, muss er das Kant’sche Argument widerlegen, eben jenes, welches das Strafrecht und die Todesstrafe auf eine Stufe mit dem Prinzip und dem kategorischen Imperativ stellt. Dieses Argument auf der Höhe des reinen Prinzips und der Würde, des Rechts des Menschen ist schwerer zu widerlegen, als man glaubt, und auch schwerer zu widerlegen als der utilitaristische Diskurs derer, die eine Todesstrafe propagieren, die nützlich, notwendig, exemplarisch, abschreckend usw. ist.

      Kant würde eine Notwehrjustiz, ein Argument, das sich auf die Notwehr beruft, um die Tötung von irgendjemandem zu rechtfertigen, also nicht akzeptieren. Der Rückgriff auf die Logik der Selbstverteidigung ist jedoch, in dieser buchstäblichen Form oder in einer mehr oder weniger indirekten oder bildlich-übertragenen Form, fast überall am Werk, wo man die Todesstrafe zu rechtfertigen versucht. Wenn die Notwehr nicht die spontane Antwort eines Bürger-Individuums mit einer Waffe ist (die also nie wirklich spontan, sondern immer ein wenig organisiert ist), eines Bürgers oder einer Miliz, der oder die sich Gerechtigkeit [justice] verschafft, ohne auf das aufgeklärte und interessenlose Urteil des Gerichtshofs [cour de justice] zu warten, nun, dann gibt es Recht dort, wo, wie man sagt, der Staat als Verfechter der Gerechtigkeit/Gerichtsherr [justicier] die Funktion der Notwehr der Individuen und des Kollektivs übernimmt – und wir werden gleich sehen, was Benjamin aus dieser Übernahme macht, wie er die Übernahme der Notwehr durch den Staat und durch das Recht interpretiert, wie er im Grunde genommen diese Notwehr [légitime défense] interpretiert, nämlich nicht als Verteidigung [défense] von diesem oder jenem, sondern des Rechts selbst durch sich selbst, und zwar dort, wo die Gewalt durch den Staat selbst monopolisiert und kapitalisiert wurde. Im Falle Amerikas, ich meine der USA, die von Beginn dieses Seminars an nicht als ein Fall unter anderen behandelt werden, sondern als ein Ausnahmefall, ein einzigartiger Fall innerhalb eines gewissen Ensembles, der folglich um so erhellender ist und auf der Weltbühne jenen vorherrschenden Platz einnimmt, den Sie kennen, in den USA also hat es sich ergeben, dass es aufgrund der Geschichte, insbesondere der Geschichte der Eroberung des Westens, eine besessene Anhänglichkeit an die Logik der Notwehr, der legitimen Verteidigung von Individuen und Familien gibt, die situativ lernen, der Polizei zu misstrauen, der Polizei des jeweiligen Einzelstaats und in noch stärkerem Maße der Bundespolizei, aber auch < an > die Logik des Staates selbst, ich meine jedes Einzelstaats innerhalb des Bundesstaats, jedes Einzelstaats, der gegenüber der Bundesjustiz auf seine Autonomie pocht. Und wenn Sie die beispiellose Verbreitung individueller Waffen, die höchste Waffendichte der Welt, den derart einfachen Zugang zum Handel mit individuellen Waffen in Betracht ziehen (aktuelle Debatte – weiter ausführen?+), die stets mit der Behauptung des Rechts auf Notwehr gerechtfertigt werden, wenn Sie, in derselben Logik, das traditionelle Pochen auf Unabhängigkeit der Einzelstaaten gegenüber der Regierung und der Justiz des Bundes betrachten, dann halten Sie einige Schlüssel (es sind nicht die einzigen) in Händen, um Zugang zur Frage der Todesstrafe in den USA zu erhalten.

      Indem ich diese Parenthese über Benjamins Klammer [parenthèse] bezüglich der Notwehr schließe, eine Klammer, die er schließt, ohne sie zu schließen, da er sagt, dass dieses Recht auf Notwehr seinen gesamten Essay hindurch erhellt werden würde, < indem ich diese Parenthese also schließe >, kehre ich zur Maxime der gegenwärtigen europäischen Gesetzgebung* zurück, die Folgendes besagt: Wenn „Naturzwecke“ (Bedürfnisse, Begehren, Leidenschaften, Triebe, Interessen aller Art, bewusste oder das Unbewusste26…), wenn all diese natürlichen Bewegungen mit Gewalt an ihr Ziel kommen wollen, können sie mit den „Rechtszwecken“ kollidieren. Wir fragten uns also: Warum? „Aus dieser Maxime folgt“ nämlich, sagt Benjamin, dass die Gewalt in Händen individueller Personen für das Recht nicht etwa eine Gefahr unter