empfunden, und es ist diese Drohung, angesichts derer man gegen die Todesstrafe protestiert. Sobald das positive Recht in Frage gestellt wurde, war die Todesstrafe dabei das am stärksten Kritisierte. Die Argumente dieser Kritik, merkt Benjamin an, gingen der Sache jedoch nicht auf den Grund, sie waren in den meisten Fällen wenig „grundsätzlich*“; in der Kritik der Todesstrafe war man immer oberflächlich. Wenn auch die Argumente der Sache nicht auf den Grund gingen, so wurde doch das, worum es ging, gut ins Visier genommen, und zwar prinzipiell. Und das wie folgt: Ebenjene, die die Todesstrafe attackierten, ohne zu grundsätzlichen Argumenten in der Lage zu sein, spürten sehr wohl, dass sie, indem sie die Todesstrafe attackierten, nicht eine Bestrafung oder ein Gesetz unter anderen attackierten, sondern „das Recht selbst in seinem Ursprung“37. Dieser Ursprung ist eine Gewalt, eine vom Schicksal gekrönte Gewalt (schicksalhaft gekrönte Gewalt*). Daher besteht einiger Grund zu der Annahme, dass sich „in der höchsten Gewalt“, jener, die darin besteht, in der Ordnung des Rechts über Leben und Tod des Rechtssubjekts zu verfügen, die Ursprünge dieser Ordnung auf ebenso präsente wie furchtbare Weise manifestieren. Mit anderen Worten: Die Todesstrafe ist das, was den Ursprung und das Wesen des Rechts, das heißt die Gewalt, in herausragender Weise offenbart, wenn man so sagen kann. Wenn man zum Tode verurteilt, sanktioniert man nicht dieses oder jenes Delikt, sondern bekräftigt – auf disproportionale Weise – von Neuem die Notwendigkeit des Rechts und seiner Gewalt. Zum Tode verurteilen, das heißt nicht, diese oder jene Verfehlung zu bestrafen, sondern das heißt, das Recht auf das Recht, das Recht auf die Gewalt des Rechts zu setzen. So bestrafte man zum Beispiel „in primitiven Rechtsverhältnissen“, so Benjamin, das geringste Eigentumsdelikt „ganz außer ‚Verhältnis‘“38 mit dem Tode; ebendies machte deutlich, dass es nicht darum ging, diese oder jene besondere Verletzung des Rechts zu sanktionieren oder zu bestrafen, sondern das Recht erneut zu bekräftigen oder wiederherzustellen, wie auch ein neues Recht zu etablieren. Jedes Mal, wenn man mit dem Tode bestraft, erfindet man das Recht neu. Indem es die Gewalt über Leben und Tod ausübt, „bekräftigt das Recht sich selbst“, „mehr als in irgendeinem andern Rechtsvollzug“39. Dieses „mehr als“, dieses „am meisten“, diese Hyperbel, dieser Gipfel des Komparativs oder dieser Superlativ in der Argumentation Benjamins ist interessant. Denn es gibt zu denken, dass die Todesstrafe zwar die Bestrafung par excellence ist, gleichzeitig aber, da weniger dazu bestimmt, dieses oder jenes Delikt, diese oder jene Verletzung dieses oder jenes Gesetzes zu bestrafen, als vielmehr dazu, das absolute Recht auf das absolute Recht zu bekräftigen, dass diese höchste Strafe in Wirklichkeit keine Strafe ist; das ist keine Strafe unter anderen, sie steht nicht im Verhältnis zum Maß des Delikts – wie bei einer Verteilungsgerechtigkeit oder einer Abschreckungsjustiz. Ihre Unverhältnismäßigkeit, ihr „ganz ‚außer Verhältnis‘“ nimmt sie vom Bereich der Bestrafung aus. Bevor wir dieses Argument bis zu seiner äußersten Konsequenz treiben, die darin bestünde, zu sagen, dass die Todesstrafe40 keine Bestrafung, keine Art aus der Gattung Bestrafung beziehungsweise kein Fall von Bestrafung ist, wollen wir zunächst Folgendes sagen: Der absolute Verbrecher, der große oder sehr große Verbrecher, jener, welchen man mit der Todesstrafe zu bestrafen behauptet, hat nicht dieses oder jenes Verbrechen, ja diesen oder jenen Mord begangen. Er hat das höchste Verbrechen begangen, nämlich die Souveränität des Gesetzes absolut, womöglich auch noch souverän, zu überschreiten: Nicht dieses oder jenes Gesetz zu übertreten, sondern das Gesetz der Gesetze, das heißt das Prinzip selbst des Rechts, das dem Recht das Recht gibt, die Gewalt zu monopolisieren. Daher die Faszination für den großen Verbrecher, der nicht dieses oder jenes Gesetz übertritt, sondern das Prinzip selbst des Gesetzes überschreitet – und im Grunde genommen den Staat und die Politik, das Politische selbst. Das ist auch der Grund dafür, dass jeder große Verbrecher sogenannten gemeinen Rechts zunächst ein politischer Gefangener ist, politischer als jeder andere, da das, was er attackierte, die Möglichkeit, die Bewahrung, die Instanz des Politischen selbst ist, das soziale Band (das, was auch heimlich Liebende tun, die in dieser Hinsicht, zumindest in dieser Hinsicht, den großen Verbrecher[n]* vergleichbar sind). Wir wollen jetzt den Grund präzisieren, weshalb man, von diesem Standpunkt aus, der Ansicht sein könnte, dass die Todesstrafe keine Strafe, keine Bestrafung sei, dass es ein Missbrauch der Sprache ist, wenn man sie in die Kategorie der Bestrafung und also des Strafrechts einordnet.
Die Argumentation könnte hier drei Argumente umfassen, deren Logiken unterschiedlich wären, die aber alle auf ein und dieselbe Schlussfolgerung zuliefen: Die Todesstrafe ist keine Strafe unter anderen, sie fällt nicht unter das Strafrecht, wenn sie es auch begründet. Es gibt – um zum Motiv der letzten Woche zurückzukehren – also vielleicht keine Einheit, keine irreduzible Spezifität, keine Unteilbarkeit der Todesstrafe, es gibt nicht die Problematik oder eine einzige Problematik, nicht einen einzigen Problemherd der Todesstrafe. Welche wären nun diese drei Argumente?
1. Erstes Argument. Das als ausgeschlossen eingeschlossene Transzendentale. Wenn die Todesstrafe, wie Benjamin behauptet, dazu bestimmt ist, das Recht in seinem Ursprung als Monopolisierung der Gewalt zu begründen, dann fällt die Grundlegung oder der Ursprung des Rechts, insbesondere des Strafrechts, nicht unter das Strafrecht, gehört es nicht zu dem Ensemble, das „Bestrafung“, Strafe oder Entgelt, noch weniger Abschreckung genannt wird. Das ist, wenn Sie sich dieser Sprache auf mindestens formale Weise bedienen wollen, das Transzendentale des Rechts. Das Transzendentale wird hier von dem ausgeschlossen, was es ermöglicht; und wenn es hier eingeschlossen wird, dann als eine exemplarische Ausnahme in der Reihe. Auf jeden Fall ist die Todesstrafe keine Strafe, die mit den anderen vergleichbar, ihnen homogen oder von ihnen nur quantitativ verschieden wäre. Das ist keine der Strafen, die vom Strafrecht vorgesehen sind.
2. Zweites Argument. Frage der Zeit, wenn Sie so wollen. Ob man nun vom Standpunkt der Ökonomie der Verteilungsgerechtigkeit oder vom Standpunkt der unterstellten Nützlichkeit der abschreckenden Beispielhaftigkeit darüber nachdenkt, die Todesstrafe ist keine Strafe, sie fällt nicht unter das Strafrecht, weil das Subjekt, dem sie auferlegt wird, einerseits nicht mehr da ist, nicht mehr da sein wird, nicht mehr da gewesen sein wird, um die Strafe zu bezahlen oder zu erleiden oder zu vollziehen, insbesondere um abgeschreckt zu werden, es noch einmal zu tun; das bestrafte, hingerichtete, beseitigte Subjekt wird als Subjekt der Strafe beseitigt, es gibt keine Strafe mehr für es. Es ist nicht, es ist noch nicht und wird nicht das gegenwärtige Subjekt [sujet] der Strafe gewesen sein, der es, wie man sagt, unterworfen [assujetti] wäre. All dies impliziert natürlich eine anspruchsvolle und ziemlich unorthodoxe, ziemlich unübliche Interpretation der Zeitigung41 der Zeit. Ein wenig so, als ob die phänomenologische oder existenziale Analyse der Zeitigung – weit davon entfernt, einfach auf den Fall der Todesstrafe angewandt zu werden – in der Erfahrung (die, vielleicht, gerade ohne Erfahrung ist, und es geht dabei um die Erfahrung selbst der Todesstrafe: Wer macht die Erfahrung der Todesstrafe? Derjenige, der stirbt, oder diejenigen, die ihn sterben sehen oder machen? Weder die einen noch die anderen vielleicht), ein wenig so, sagte ich, als ob die phänomenologische oder existenziale Analyse der Zeitigung – weit davon entfernt, einfach auf den Fall der Todesstrafe angewandt zu werden, in der Erfahrung (ohne Erfahrung) der Todesstrafe ihre Prüfung selbst, ihren Prüfstein oder ihren Stein des Anstoßes, ihr skandalon selbst finden würde. Dieser Skandal ist das Thema [sujet] dieses Seminars, das mutmaßliche, aber vielleicht unauffindbare Thema dieses Seminars. Man wäre, ohne dass dies die schreckliche Sache, die uns beschäftigt, im Geringsten erleichtern oder entdramatisieren würde, oft versucht zu sagen: Die Todesstrafe existiert nicht, niemand ist ihr wirklich unterworfen, niemand ist ein Subjekt nach ihrem Maße, es gibt kein Subjekt, das heißt kein der Todesstrafe gegenwärtiges Subjekt. Niemand erleidet die Todesstrafe. Einmal hingerichtet, verschwindet der Verurteilte, noch bevor er eine wie auch immer geartete Strafe bezahlt. Das Rechtssubjekt, das Subjekt der Bestrafung, wird beseitigt [supprimé] und nicht aufgehoben [relevé]. Weit davon entfernt, irgendjemanden mit diesem den Namen oder Übernamen ‚Todesstrafe‘ tragenden Effekt zu trösten oder zu versöhnen, intensiviert diese Beseitigung, dieses Ungreifbar- oder Unspürbar-Werden des Moments oder der Instanz der Hinrichtung, was einem Taschenspielertrick ähneln würde (plötzlich erleidet niemand die Todesstrafe, niemand kann sie erleiden), weit davon entfernt, die Dinge abzuschwächen oder abzumildern, intensiviert all dies im Gegenteil die Dringlichkeit oder die Monstrosität der Sache42. Die Todesstrafe würde nicht existieren,