Anderen keine Erinnerungen im explizit-deklarativen, episodischen Gedächtnis gibt, die trösten oder beschützen und Zuversicht begründen, die man sich bewusst machen könnte.
Die Abwesenheit des Anderen ruft Verzweiflung, Hilflosigkeit und feindselige Gefühle hervor; er wird auf eine schwer fassbare Weise zum bösen, verfolgenden (Teil-)Objekt, gegen das sich destruktive Phantasien richten. Deshalb tun die Betroffenen alles, um sich gegen Verlassenheit und Selbstverlust zu schützen. Sie manipulieren die Gefühle anderer durch projektive Identifizierung, indem sie ihnen z. B. Schuldgefühle machen. Sie bringen sie durch provozierendes Verhalten dazu, sich ihnen zuzuwenden, und verschaffen sich damit Sicherheit. Dieses Verhalten ist bewusst, das dahinterstehende Sicherheitsbedürfnis allerdings nicht. Wenn solche Mechanismen versagen, dann wird die Beziehung verleugnet, d. h. die Patienten erleben so, als seien die anderen für sie völlig belanglos.
Wenn Störungen des Selbstgefühls und ihre Folgen die Dynamik der Persönlichkeit auf niederem Strukturniveau dominieren, kann man von einer narzisstischen Borderline-Persönlichkeit (Narzissmus auf niederem Strukturniveau, maligner bzw. destruktiver Narzissmus) sprechen.120
Die psychosomatische Grundstörung: Die Borderline-Persönlichkeit bei hypochondrischen und somatoformen Störungen und Psychosomatosen
Die beschriebene Grundstörung stellt eine Disposition zur strukturellen Regression dar, die unabhängig vom prämorbiden Strukturniveau auftreten kann. Dabei kommt es zu einer Einschränkung oder Einbuße der Fähigkeit, selbstreflexiv Gefühle und Phantasien in sich zu erfassen und die eigenen Emotionen zu erkennen und zu beschreiben. Dieser Mangel ist eine strukturelle Ichstörung, die als Alexithymie bezeichnet wird. Sie ist ein zentrales Merkmal der hypochondrischen und somatoformen Störungen und lässt sich bei vielen Patienten mit Psychosomatosen beobachten (
Mit der Einschränkung der Symbolisierungsfähigkeit wird der vorsprachliche Entwicklungszustand mit der Dominanz der Körpersprache wieder lebendig und beherrscht die Kommunikation. In diesem Zustand wird alle Aufmerksamkeit auf den Körper und seine Funktionen ausgerichtet und die Körpersprache als Ausdrucksmittel eingesetzt. Diesen Funktionszustand nennen wir psychosomatische Grundstörung121.
Die psychosomatische Grundstörung ist gekennzeichnet durch die Spannungsabfuhr über den Körper. Man spricht auch von Somatisierung von Affekten und Phantasien.122 Sie stellt eine strukturelle Ichstörung dar. Diese betrifft die Symbolisierungsfunktion, nämlich die Versprachlichung und Bildung sog. Narrative, und ist darauf begrenzt. Sie beruht auf misslungenen Transformations- und Symbolisierungsprozessen in den frühen Interaktionen (Entwicklung des Denkens,
Sexualisierung von Beziehungen: Die hysteriforme Borderline-Persönlichkeit
Persönlichkeiten des niederen Strukturniveaus neigen dazu, ihre fragilen Beziehungen dadurch zu stabilisieren, dass sie diese weiter aufspalten und sexualisieren. Das bedeutet, dass sie aus Zweierbeziehungen ausbrechen und dritte oder weitere Personen in das Beziehungsgefüge mit einbeziehen. Durch intensive sexuelle Aktivität, verbunden oft mit geringen Scham- und Tabugrenzen, wird die Attraktivität solcher Beziehungen gesteigert und die Bindung verstärkt. Solche Arrangements dienen letztlich dazu, die Gefühle der anderen zu kontrollieren und ihre Anwesenheit und ihre Funktion als Hilfsich und Selbstobjekt zu sichern. Durch Spaltung und Sexualisierung wirken die Beziehungen von Persönlichkeiten des niederen Strukturniveaus oft wie ödipale Dreiecksbeziehungen (
Sexualisierung und Agieren geben der Persönlichkeit dieser Borderline-Patienten ein hysterisch erscheinendes Gepräge. So entstehen hysteriforme Borderline-Persönlichkeiten. Sie sind auf Grund ihrer nieder strukturierten Persönlichkeitsorganisation von der hysterischen Persönlichkeit auf höherem Strukturniveau (
Kontaktstörung: Die schizoide Persönlichkeit
Die Ichschwäche kann auch um das Problem der Nähe-Distanz-Regulation herum organisiert sein. In der Folge kann eine schizoide Abwehr aufgebaut werden. Sie besteht aus Spaltung der Beziehungsrepräsentanzen und Projektion von Nähewünschen, die den Anderen zum bedrohlichen Verfolger machen. Verfolgungsängste sind zumeist eine Abwehr gegen Nähewünsche und Beziehungssehnsucht. Sie bewirken einen Rückzug aus Kontakten zu anderen. Die Distanzierung stellt einen Selbstschutz dar und darf nicht mit einer primären Unfähigkeit zu lieben verwechselt werden.124
An die Stelle des direkten Kontaktes zu anderen tritt die indirekte Beschäftigung mit »dem« Menschen, mit Philosophie und theoretischen Interessen an Beziehungen, z. B. durch eine Berufswahl im psychosozialen Feld, mit Zuwendung auf dem Wege der Ästhetik u. v. a.
Wenn diese Abwehr das Persönlichkeitsbild prägt, handelt es sich um schizoide Persönlichkeiten (
4.2.4 Symptomentstehung
Aus der geschilderten Pathologie ergibt sich, dass die Ichschwäche und Ichstrukturstörung, die Identitätsdiffusion und gering integrierten Selbst- und Objektvorstellungen, die Aggression und die Verwendung anderer als Hilfsich und Selbstobjekt eine labile psychosoziale Situation schaffen. Die Borderline-Persönlichkeitsorganisation stellt damit ein erhebliches Krankheitsrisiko dar.
Oft gehen stabilisierende und substitutive Beziehungen und Strukturen verloren. Es entstehen Desorientierung und Verzweiflung. In deren Folge wird die innere Welt von aggressiven und destruktiven Phantasien und von Vernichtungsangst überschwemmt. Eine Vielzahl von aktuellen Problemen, Konflikten und Belastungen erhält subjektiv die Bedeutung von Angriffen auf das Sicherheits- und Selbstgefühl. Die anstehenden Herausforderungen können nicht mehr bewältigt werden. Indessen entstehen Versuche, solche Angriffe durch Spaltung zu beherrschen. Wenn diese Versuche misslingen, kommt es zur Desintegration.
Die Desintegrationszustände selbst sind mit panischer Fragmentierungsangst (Selbstverlustangst), Vernichtungs- und Verfolgungsangst verbunden. Insgesamt entsteht das Bild einer chaotischen, krisenhaften Dekompensation. Die Folge sind vielfältige Symptome und Beeinträchtigungen (
• Defizitäre Symptombildung: Impuls- und Affektdurchbrüche legen unmittelbar die Ichdefizite