es so was sein muß«, sagte Helmut, auf seine Hand deutend.
Bis die ganz verheilt sein würde, brauchte er sicher auch noch eine ganze Zeit, aber die nächste neue Patientin, die Dr. Norden aufsuchte, war Frau Zeisel, Helmuts Sekretärin, eine noch junge Frau, aber rund wie eine Kugel und dementsprechend mit Komplexen beladen.
Es war nicht das erste Mal, daß Dr. Norden mit einem solchen Fall konfrontiert wurde, aber sie war besonders schlimm dran, denn noch vor einem Jahr war sie ein hübsches, schlankes Mädchen gewesen, wie eine Fotografie aussagte, die sie gleich mitgebracht hatte.
Sie war verlobt und glücklich, aber mit der Heirat hatten sie noch warten wollen, und mit dem Kinderkriegen auch. Also hatte sie die Pille genommen.
Im Anfang sei alles in Ordnung gewesen, erzählte sie, aber dann hatte sie eine Schultergelenkentzündung bekommen, die sehr schmerzhaft gewesen sei und mit Spritzen behandelt wurde.
»Cortison?« fragte Dr. Norden.
»Ja, ich glaube, so was war es. Ich kann mir die Namen so schlecht merken. Dann ging ich auf wie eine Dampfnudel, und die Verlobung ging auseinander.« Ein paar Tränen kullerten über ihre Wangen. »So bin ich halt Fräulein Zeisel geblieben, wenn ich auch freundlicherweise Frau tituliert werde, denn jetzt sehe ich ja wie eine Matrone aus.«
»Na, so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Dr. Norden tröstend. »Von heute auf morgen läßt sich da zwar nichts ändern, aber mit einer gezielten Therapie und einiger Geduld kommt es schon wieder in Ordnung. Zuerst muß das Gewebe mal entwässert werden. Ich sage Ihnen gleich vorweg, daß Sie meine Anweisungen genau befolgen müssen, sonst ist es sinnlos, wenn wir damit anfangen.«
»Ich mache alles, was Sie sagen, nur dürfen Sie nicht verlangen, daß ich weniger esse. Ich esse nämlich schon fast überhaupt nichts. Das glaubt mir bloß keiner.«
»Ich glaube es Ihnen schon.« Freundlich redete er auf sie ein, während er die Karte ausfüllte mit den genauen Angaben, wie die Medikamente zu nehmen waren.
Sie bot wirklich einen jammervollen Anblick, und er konnte verstehen, wie sehr sie seelisch darunter litt. Das war eine zusätzliche Belastung, denn die psychische Verfassung machte gerade in solchen Fällen sehr viel aus.
So riet der Arzt ihr denn auch, optimistischer in die Zukunft zu blicken, und tröstend sagte er, daß sie einem Mann, der so wenig Verständnis gezeigt hätte, nicht nachtrauern müsse.
Das war leicht gesagt. Eine neue Liebe hätte ihr darüber wohl hinweghelfen können, aber darauf war zur Zeit kaum zu hoffen. Nun wollte man abwarten, wie die Behandlung anschlug. In vierzehn Tagen sollte sie wiederkommen.
Frau Zeisel ging mit Zweifel und Hoffnung gleichermaßen, aber doch froh, daß sie sich einmal richtig aussprechen konnte. Dr. Norden hoffte, daß sie die Geduld nicht verlieren würde, wie so mancher, wenn ein Erfolg nicht sofort sichtbar wurde. Zaubern konnte man nicht. Wundermittel, die mit Schlagzeilen angepriesen wurden, erwiesen sich meist als Betrug. Diesbezüglich packte Dr. Norden manchmal die Wut, aber es fanden sich doch immer wieder Gutgläubige, man konnte auch sagen Dumme, die sich damit locken ließen und oft viel Geld für etwas zahlten, was nur wenige Pfennige wert war.
*
Andrea Sommer war geholfen worden. Sie verfiel nicht wieder in Depressionen. Sie wurde von Tag zu Tag hübscher, was Helmut mit Wohlgefallen feststellte. Sie befolgte strikt, was Dr. Leitner empfohlen hatte.
Sonja betrachtete ihre Schwester staunend und dann sogar voller Bewunderung, wenn sie zusammentrafen. So oft wie früher war das nicht der Fall, denn im Büro gab es so viel zu tun, daß Sonja abends richtig müde war. Auch das war gut. Sie schlief nicht mehr so unruhig, sie brauchte auch keine Beruhigungstabletten mehr. Allerdings konnte sie sich noch nicht aufraffen, Dr. Leitner mal aufzusuchen. Wozu auch, denn ihr war die Arbeit wichtig.
Von Pietsch hörten sie nichts mehr. Es wurde nur bekannt, daß seine Schuldenlast noch weit größer war als angenommen. Auch Monika Pietsch war von der Bildfläche verschwunden, und es konnte gar nicht die Rede davon sein, daß ihr Mann sich bemühte, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Bernd Friedel war bei weitem nicht der am meisten Geschädigte, aber er konnte sich schneller fangen als mancher andere. Um eine bittere Erfahrung reicher, war er nun um so vorsichtiger geworden. Lieber kleinere Aufträge von seriösen Kunden, als die verlockenden von faulen, war nun seine Devise.
Er war glücklich, daß sich Sonja nun als wahrer Lebenskamerad erwies, ihre Liebe unter Beweis stellend. Gerade in dieser kritischen Situation waren sie inniger verbunden denn je, und dabei hatte es so ausgesehen, als würde ihre Ehe zerbrechen.
Er konnte voller Freude und Hoffnung nun manches Mal feststellen, daß sie wieder in Kinderwagen schaute, daß sie nicht mehr mit Widerwillen jede werdende Mutter betrachtete.
Auch um sie brauchte sich Andrea nicht mehr zu sorgen. In ihr hatte sich ein Wunder vollzogen. Während andere werdende Mütter in den letzten Monaten oft recht schwerfällig und betulich wurden, konnte man bei ihr das Gegenteil feststellen.
So heiter ging es bei ihnen zu, daß ihr Mann insgeheim Bedenken hegte, es könnte ihnen zu gutgehen, doch er hütete sich, solche Gedanken laut werden zu lassen.
Schnell vergingen die Tage. Rogners Haus war fertig, termingerecht und ohne die geringste Beanstandung. Freuen konnte sich Erwin Rogner dennoch nicht, obgleich Achims Zustand sich gebessert hatte, obwohl Tini Zuversicht verbreitete.
Lucy brauchte nichts zu tun. Tini und Rainer hatten sogar die Vorhänge schon angebracht. Nun brauchten nur noch die Möbel transportiert zu werden. Auch darum kümmerten sich Tini und Rainer, denn mit Ulla war nicht viel anzufangen. Zu allem Übel hatte sie auch noch ihren ersten Liebeskummer. Der Grund war Achim. Die Eltern ihres Freundes Peter hielten die Freundschaft ihres Sohnes mit der Schwester eines Fahrraddiebes für untragbar, und Peter hatte sich gefügt, weil man ihm sonst das Taschengeld entzogen hätte.
Auch das gab es, und es war verständlich, daß Ulla maßlos enttäuscht war. Nur Tini hatte davon erfahren, und sie war erbost.
»Die Eltern dürfen das nicht erfahren«, erklärte sie bestimmt. »Es ist doch alles schlimm genug, aber Sippenhaftung ist wohl das letzte. Da hast du wirklich nichts verloren, Ulla. Zeig ihm doch die kalte Schulter.«
Aber Ulla traf diesen Peter jeden Tag in der Schule, und für eine Siebzehnjährige war es nicht so einfach, diese Enttäuschung hinzunehmen.
Achim war sich noch immer nicht bewußt, welche Rückwirkungen auf die ganze Familie sein Leichtsinn hatte.
»Seid ihr böse, Mutti?« fragte er immer wieder, und stets erhielt er die gleiche Antwort: »Nein, wir sind nicht böse, Achim. Du sollst jetzt wieder gesund werden.«
An dem Tag, als die Möbel in das neue Haus gebracht wurden, saß Lucy wieder am Bett des Jungen.
»Heute ziehen wir um, Achim«, erzählte sie ihm. »Du bekommst das schöne große Zimmer im Parterre. Da brauchst du keine Treppe zu steigen.«
»Ich möchte lieber ganz woanders wohnen«, sagte er. »Sie werden mich alle schief ansehen. Ich möchte nicht mehr in dieselbe Schule gehen.«
Jetzt machte er sich schon seine Gedanken. Und Lucy wußte nicht, was sie erwidern sollte.
»Mußt du nicht dabeisein, Mutti?« fragte Achim.
»Das macht Tini, und Vati ist auch dabei.«
»Hat Tini freibekommen?« fragte er.
»Sie hat gekündigt. Sie wird jetzt bald heiraten, Achim.«
»Den Rainer?« staunte er. »Erlaubt Vati das?«
»Wir freuen uns, daß sie einen tüchtigen Mann bekommt, Achim.«
»Aber sie heiratet doch erst, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich fände es gemein von ihr, wenn sie nicht so lange warten würde.«
»Gemein?« echote Lucy gepreßt. »Tini kann nichts dafür, daß das passiert ist.«
»Ich