ja.«
»Laß dich nicht aufhalten«, sagte Andrea. »Dein Freund wartet. Was wird eigentlich mit dem Grundstück, das ihr gekauft habt? Helmut sollte doch den Bebauungsplan einreichen.«
Monika setzte sich, winkte ihrem Begleiter ab. »Paß mal auf, Andrea«, sagte sie leise. »Hängt das doch nicht an die große Glocke. Irgendwie werden wir uns einigen. Ich verstehe nichts von Bobs Geschäften. Er wollte erst mal alles in Ruhe überdenken. Er ist ja nicht durch eigene Schuld in Schwierigkeiten gekommen. Mit manchem war nicht zu rechnen.«
»Auch nicht damit, daß wir uns hier treffen würden«, bemerkte Andrea ironisch. »Mit mir schon gar nicht. Ich habe ja meinen Bau so selten verlassen.«
»Reg dich jetzt nicht auf. Denk an dein Baby.«
»Wie fürsorglich. Ich denke daran. Aber ich denke auch daran, daß Bernd deinem Mann vertraut hat. Ich habe dir schon mal gesagt, daß du dich nicht aufhalten lassen sollst.«
»Du siehst das zu einseitig, Andrea. Das Grundstück gehört mir. Wir können uns arrangieren.«
»Wir? Versuch es doch mal mit Helmut. Ich verstehe wahrscheinlich noch weniger von Geschäften als du. Vor allem von Geschäften solcher Art.«
Nun zog es Monika Pietsch doch vor zu gehen. Andrea wunderte sich, wie gelassen sie noch blieb. Sie trank ihren Orangensaft, nahm dann ein Taxi und fuhr nach Hause. Dort wartete schon Helmut, besorgt und sichtlich erregt.
»Wo warst du denn so lange?« fragte er. »Du wolltest doch nur zu Dr. Norden gehen.«
»Ich war noch bei Sonja.«
»Sie ist aber nicht zu Hause. Ich habe angerufen.«
»Sie ist im Büro. Sie hilft Bernd.«
»Waaas?« fragte Helmut konsterniert.
»Ich war auch sehr erstaunt und wollte mich erst mal ein bißchen verschnaufen. Und wen, meinst du, traf ich?«
»Wie soll ich das erraten?«
»Monika Pietsch. Schick wie immer und in Begleitung. Ihr Mann sitzt indessen in der Schweiz.«
»Wenn es gewiß ist.«
»Sie hat es gesagt. Und sie hat noch mehr gesagt. Das Grundstück gehöre ihr, und wir könnten uns arrangieren.«
»Daß ich nicht lache. Das Grundstück gehört immer noch der Bank.«
»Und die Pläne hast du umsonst gemacht?«
»Die habe ich noch gar nicht angefangen. Ich büße nichts ein, Andrea.«
»Aber Bernd achtzigtausend Mark.«
»Liebes, ich habe ihn gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören. Es tut mir leid, doch es ist nicht zu ändern.«
»Jedenfalls hat es das eine Gute für sich, daß Sonja nicht mehr zu Hause hockt und Däumchen dreht. Vielleicht ist Bernd das sogar das Geld wert.«
»So kann man es auch betrachten. Ich kann nur noch staunen, Andrea.«
»Ich auch, über Sonja, über mich, über diese Schlawiner, die sich hemmungslos bereichern. Am meisten aber über mich selbst, Liebster. Du hättest es gleich mit dem Holzhammer versuchen sollen.«
»Der hätte wohl nichts genutzt. Ich glaube schon, daß Dr. Leitner das Wunder bewirkt hat und dein guter Wille dazu. Ich bin glücklich, Andrea.«
Nun konnten sich sich richtig freuen, trotz der Ereignisse, die sie noch vor ein paar Tagen maßlos aufgeregt hätten.
*
Die Tage gingen dahin, und die Herbststürme blieben nicht aus. So heftig tobten sie, daß auch die letzten bunten Blätter von den Bäumen geweht wurden.
Der schnelle Wetterwechsel brachte Dr. Norden noch mehr Arbeit. Von der Insel aber kamen gute Nachrichten. Sie hatten auch die besseren klimatischen Bedingungen. Frau Schindelbeck hatte sich inzwischen bereits als eine vorzügliche Hilfe in Küche und Haus erwiesen. Sie lebte auf, und Karlchen fühlte sich wie ein kleiner König. Er hatte sich schnell mit Mario, dem
Adoptivsohn von Johannes und Anne Cornelius, angefreundet, von dem er sehr viel lernen konnte, denn Mario war ein ganz gewitzter Junge, dem man nicht mehr anmerkte, daß er als Vierjähriger, ohne ein Wort deutsch sprechen zu können, auf die Insel der Hoffnung gekommen war. Seine Eltern waren italienische Gastarbeiter gewesen, die bei einem Bootsunglück ertrunken waren.
Mit seinen schwarzen Haaren und dunklen Augen konnte Mario zwar seine Herkunft nicht verleugnen, aber er wußte gar nichts mehr davon. Er hatte in Johannes und Anne Cornelius heißgeliebte Eltern gefunden. Er war integriert in eine Gemeinschaft, die ihm liebevoll entgegengekommen war. Er hatte vergessen, was einmal geschehen war. Es wurde nicht einmal davon geredet, daß ihn Daniel Norden aus den Fluten des Chiemsees gerettet hatte. An nichts wurde er erinnert, was sein junges Leben belasten konnte. Mario war ein glückliches Kind, und er vermochte auch anderen Glück zu geben.
Für Karlchen war er zu einem Vorbild geworden, dem er nacheifern wollte, und das war für diesen armen kleinen Jungen sehr gut. Er hatte nie ein Vorbild gehabt, denn seine besorgte Mutter hatte nicht mal Zeit gehabt, sich wenigstens um ihn zu kümmern.
Manchmal dachte Frau Schindelbeck freilich, ob nicht auch ihre anderen Kinder anständige Menschen geworden wären, wenn sie in solcher Umgebung hätten aufwachsen können. Gewalt erzeugt Gegengewalt, und bei ihnen hatte der gewalttätige Vater den Ton bestimmt. Er hatte schmerzhaft zugeschlagen, wenn sich jemand gegen ihn auflehnte. Die Spuren solcher Schläge verheilten bei Frau Schindelbeck langsam. Dr. Cornelius war entsetzt gewesen, als er sie untersucht hatte. Er hatte sich gefragt, wie sie das hatte erdulden und überstehen können. Sie hatte nur die Antwort darauf gewußt, daß sie es selber nicht wüßte. Nun brauchte sie sich nicht mehr zu ducken. Nun hörte sie oft Worte des Dankes, und am Abend jeden Tages freute sie sich auf den nächsten.
*
»Es ist doch seltsam«, sagte Fee Norden, »wäre dieses Unglück nicht geschehen, würden Frau Schindelbeck und Karlchen jetzt noch unter den gleichen schlimmen Bedingungen leben.«
»Wie wahr, liebste Fee«, sagte ihr Mann. »Es muß meist etwas Schreckliches geschehen, damit wir aufgerüttelt werden.«
»Um alles kannst du dich aber wahrhaftig nicht kümmern«, meinte Fee, damit er ihre Worte ja nicht als Vorwurf verstehen sollte.
»Dann müßte der Tag wohl hundert Stunden haben«, sagte er seufzend. »Aber ist es nicht schlimm, daß nicht auch andere sich um den Nächsten kümmern?«
»Wer handelt sich schon gern Schwierigkeiten ein? Du weißt ja, wie Schindelbeck dir gekommen ist. Hat man ihn jetzt in eine Anstalt gebracht?«
»Ja, in eine geschlossene.«
»Und was ist mit den anderen Kindern?«
»Elli ist sowieso schon versumpft, und Gustl ist in ein Heim gekommen, aber ob ihm noch zu helfen ist, bleibt die Frage. Es ist bitter, Fee, aber sie sind getreten worden und haben gelernt, zurückzutreten.«
»Sie haben eine ehrliche, anständige Mutter«, sagte Fee nachdenklich.
»Was nützt das, wenn sie gegen den Mann nicht ankam? Kinder begreifen das nicht. Sie haben die Mutter als die Schwächere betrachtet, bestimmt dazu, zu kuschen. Man kann lange darüber nachdenken, Fee, aber irgendwie mag in jedem Menschen doch die Veranlagung zum Guten oder zum Bösen sein. Meistens überwiegen die schlechten Erbanlagen. Es ist wie mit dem Unkraut. Es siedelt sich überall an und ist schwer zu beseitigen. Es gibt gewisse Gehirnzellen, die den Menschen falsch steuern können. Aber wann werden wir in der Lage sein, dagegen etwas zu tun?«
Wenn sie ins Philosophieren kamen, saßen sie lange beisammen, aber für beide waren es Stunden, die bedeutungsvoll waren und auch beglückend, weil sie nicht aneinander vorbeiredeten, sondern sich etwas zu sagen hatten. Sie kamen immer wieder zu neuen Erkenntnissen, die sie bereicherten.
»Du lieber Himmel«, sagte Fee, als