krank«, räumte Sonja nach einem längeren Schweigen ein.
»Sicher war er das, aber ich meine, daß zumindest ein Arzt erkennen muß, wann es Zeit ist für ihn, aufzuhören. Wie soll ein Arzt, der depressiv ist, Optimismus verbreiten, der doch gerade für werdende Mütter so wichtig ist.«
»Er hat sehr viel Verständnis für meine Ängste gezeigt«, sagte Sonja.
»Er hat sie geradezu genährt, und Andrea hat darunter auch zu leiden gehabt. Und nun werden wir mal versuchen, dies alles zu vergessen, Sonja. Wir machen einen dicken Strich und fangen noch mal von vorn an. Einverstanden?«
Er ließ sich so schnell nicht unterkriegen und war erleichtert, alles ausgesprochen zu haben, was ihn bedrückt hatte.
Sie streckte eine Hand nach ihm aus. »Du schickst mich nicht fort, Bernd?« fragte sie leise.
»Ich wollte dich nicht fortschicken. Ich dachte nur, daß es gut sein würde, wenn du mal Tapetenwechsel hast.«
»Aber ohne dich bin ich doch erst recht unglücklich. Ich mache dir das Leben nicht mehr schwer. Wir werden schon zurechtkommen. Dann kaufen wir eben keinen neuen Wagen, und ich könnte dir im Geschäft helfen. Dann können wir ja auch die zweite Schreibkraft einsparen.«
Er wollte schon widersprechen, denn gar so schlimm sah es nun auch wieder nicht aus, aber ihm kam der Gedanke, daß es vielleicht ganz gut für Sonja wäre, sich mehr um das Geschäft zu sorgen als um sich selbst.
»Das ist lieb von dir«, sagte er, und dann nahm er sie zärtlich in die Arme.
*
Helmut Sommer erwähnte sein Gespräch mit Bernd nicht, da Andrea ihm gleich erzählt hatte, daß sie sich mit Sonja in die Haare geraten war. Er war darüber so erstaunt, daß er einige Zeit brauchte, um es zu verdauen.
»Ich werde morgen früh zu Dr. Norden fahren und mit ihm über Sonja sprechen«, sagte Andrea.
»Mit Familienangelegenheiten braucht man ihn doch nicht zu belästigen«, meinte er darauf.
»Sonja ist krank, zu dieser Überzeugung bin ich gekommen. Sie steigert sich derartig in ihre Komplexe hinein, daß es wirklich nicht mehr normal ist. Man kann nicht vernünftig mit ihr reden.«
Solche Worte waren ungewohnt, Helmut staunte immer mehr.
»Es freut mich, wenn du dich nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen läßt«, sagte er. »So gefällt es mir viel besser.«
»Wie geht es eigentlich dem kleinen Rogner?« fragte Andrea, und auch damit bewies sie, daß sie sich nicht mehr ausschließlich auf sich und ihren Zustand konzentrierte.
»Immer noch nicht viel besser«, erwiderte er. »Herr Rogner ist niedergeschmettert. Aber du sollst dich damit nicht beschweren, Andrea. Ich bin froh, wenn es dir gutgeht.«
»Ich muß meine Entspannungsübungen machen. Jetzt lasse ich mich nicht mehr beirren, Helmut, auch von Sonja nicht.«
»Recht hast du, Liebes. Darf ich mich dann in meine Klause zurückziehen und noch eine Stunde arbeiten?«
»Laß dich nicht aufhalten. Ich schaue mir nachher das Fernsehspiel an.«
»Hoffentlich ist es was Heiteres.«
»Eine Familiengeschichte. Wenn es mir nicht gefällt, schalte ich aus.«
Ihm wollte es noch nicht in den Kopf, wie gelassen sie war. Hatte dieser Dr. Leitner etwa suggestive Kraft, so etwas zu bewirken? Aber die Hauptsache war schließlich, daß Andrea eine positive Einstellung gewonnen hatte. Hoffentlich war das von Dauer.
*
Bei den Rogners herrschte keine zuversichtliche Stimmung. Achim war noch immer bewußtlos. Den ganzen Nachmittag hatte Lucy an seinem Bett gesessen. Am Abend war dann auch Erwin gekommen. Sie fühlten sich hilflos, weil sie nichts tun konnten, als zu warten.
Ulla hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Tini sagte schließlich schüchtern, daß sie doch eigentlich im Neubau ein bißchen saubermachen könne.
»Du hast den ganzen Tag gearbeitet«, sagte Lucy. »Ruh dich lieber aus.«
»Rainer hat auch den ganzen Tag gearbeitet, und nun verlegt er noch die Leitungen«, erwiderte Tini. »Ich kann den Schmutz gleich wegputzen. Morgen sollen die Teppichböden verlegt werden.« Eine kleine Pause folgte. »Meinst du nicht, Papa, daß wir Achim das Zimmer im Erdgeschoß geben sollten? Dann braucht er nicht dauernd Treppen zu steigen.«
Aus trüben Augen blickte sie Erwin an. »Ich kann nichts mehr denken«, murmelte er. »Mir ist alles egal.«
»Das darfst du nicht sagen, Papa«, sagte Tini leise. »Schau, bei Herrn Bichler sah es auch so böse aus, aber nun geht es aufwärts. Man darf doch die Hoffnung nicht verlieren.«
»Über jede Kleinigkeit habe ich mich aufgeregt«, brummte Erwin Rogner, »über so läppische Dinge. Ja, geh nur zu deinem Rainer, Tini. Sag ihm, daß ich seinem Vater baldige Besserung wünsche, und daß es mir leid tut, daß er nun seine Freizeit dranhängt.«
»Es macht Rainer nichts aus, Papa. Er meint auch, daß es doch schön wäre, wenn Achim dann gleich in das neue Haus kommen würde. Er hat mich auch auf den Gedanken mit dem Zimmer im Erdgeschoß gebracht.«
»Er sagt nicht, daß Achim ein Fahrraddieb ist und
daß es ihm recht geschehen ist, wie es die andern sagen?«
»Hör doch nicht auf dieses dumme Gerede«, warf nun Lucy ein. »Der Junge hat eine Dummheit gemacht und muß dafür bezahlen. Die Bauers haben das teuerste Rad bekommen und sollten jetzt lieber den Mund halten.«
»Außerdem ist der Bauer-Bub im rechtlichen Sinne mitschuldig, da er sein Rad nicht abgeschlossen hat«, sagte Tini. »Das hat Rainer auch gesagt.«
»Soll ich deswegen vielleicht noch Wirbel machen?« fragte Erwin Rogner. »Mir will es nicht in den Schädel, daß mein Sohn so was getan hat.«
»Und für mich spielt das keine Rolle, solange ich um ihn bangen muß«, sagte Lucy. »Jetzt geh’ nur, Tini, aber bleib nicht zu lange aus.«
»Dafür sorgt Rainer schon«, erwiderte Tini.
Sie gab ihren Eltern liebevolle Küsse, bevor sie ging.
»Jetzt sagst du aber nichts mehr gegen den Rainer«, forderte Lucy. »Wir wollen froh sein, daß er so anständig ist.«
»Ich habe meinen Ducker bekommen, Lucy. Wenn Achim nur wieder auf die Beine kommt.«
»Wir müssen es jetzt nehmen, wie es kommt, mein Guter«, sagte Lucy. »Wir sind nicht die einzigen, die solches Schicksal zu tragen haben. Uns bleibt ja noch die Hoffnung. Sepp wird morgen begraben.«
»Sepp«, stöhnte er, aber bevor er weiterreden konnte, sagte sie:
»Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.«
*
In den oberen Räumen hatte Rainer die Arbeit, die sein Vater begonnen hatte, schon vollendet. Alle Steckdosen und Schalter waren montiert, als Tini kam.
Sie flog ihm in die Arme, umklammerte ihn bebend.
»Es wird alles wieder gut, Kleines«, sagte er tröstend. »Wer bleibt denn schon von Schicksalsschlägen verschont?« Über ihr Haar streichelnd, fuhr er fort: »Das wäre also dein Zimmer, Tini. Ich habe mir gedacht, daß es Ulla bekommen könnte, wenn wir sowieso bald heiraten.«
»Daran können wir jetzt doch nicht denken«, sagte sie leise.
»Warum denn nicht? Ich möchte gern noch vor Weihnachten heiraten. Ich habe zum ersten Januar gekündigt. Dann übernehme ich das Geschäft. Eine Wohnung für uns ist da.«
»Erst müssen doch dein Vater und Achim wieder gesund werden, Rainer.«
»Wir brauchen doch keine große Hochzeitsfeier, Tini. Mir genügt es, wenn du meine Frau bist. Für mich wäre alles viel