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Große Werke der Literatur XV


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swenne ich die wolgetanen sach, min senendes ungemach zergie.

      Das heißt übersetzt:

Die Leute begegnen mir alter Gewohnheit gemäß
noch immer mit Neid.
Sie verfahren seltsam mit mir,
sie wollen, dass ich
die beste Geliebte meide, die man haben kann.
Was kann man da machen?
Bin ich lange von ihr entfernt,
so tut ihr das, wie ich genau weiß, weh.
Das ist meine größte Sorge.
Keiner wird es herausfinden, dass ich
davon abzubringen bin,
der eine zu sein, der ihr
große Ehre und Gutes gönnt.
Sie kann mir niemals verleidet werden,
das schwöre ich!
Nie wurde ich so traurig,
dass nicht, wann immer ich die Schöne sah,
mein Liebeskummer verging.30

      In meiner Edition sieht man links die Fassung nach Codex Manesse oder auch Handschrift C. Rechts sieht man hingegen eine Fassung nach der Stuttgarter Liederhandschrift mit der Sigle B. Während Codex Manesse das Lied Dietmar von Aist zuschreibt, steht es in Handschrift B unter dem Minnesänger Reinmar dem Alten. Hat nun Reinmar einfach Dietmar plagiiert? Nein, denn die erste Strophe bei Reinmar stellt die Verhältnisse auf den Kopf. In Vers 7 und Vers 8 finden man bei Reinmar die Pronomina ime also ‚ihm‘. Das heißt, beim Dichter Reinmar ist das lyrische Ich eine Frau. Bei Reinmar spricht in Strophe I eine Frau und in Strophe II ein Mann. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Wechsel. Reinmarkenner wissen außerdem, dass er ein gewisses Faible für Frauenstrophen hatte.31 Eine statistische Auswertung bei Dietmar von Aist zeigt dagegen, dass bei ihm Frauenstrophen, ganz im Gegensatz zu seinem donauländischen Dichterkollegen Kürenberger, eher selten sind. Die linke Spalte meiner Edition zeigt also bei Dietmar zwei Männerstrophen. Und die rechte Spalte zeigt bei Reinmar eine Frauenstrophe und eine Männerstrophe. Fest steht auch, dass der adelige Dietmar von Aist der ältere Minnesänger ist, während der eher niederständische und sich als Berufsdichter verdingende Reinmar im Vergleich zu Dietmar jünger war. Sein Beiname ‚der Alte‘ wird nur verwendet, um ihn von Sangspruchdichtern wie Reinmar von Zweter zu unterscheiden.32 Also noch einmal: Dietmar ist der Ältere, den Reinmar nicht plagiiert, sondern weiterdichtet. Modern gesprochen: Reinmar featuring Dietmar. Ein derartiges Verfahren kennt man bei Reinmar häufiger. Er benutzt beispielsweise viele Lieder des adeligen Minnesängers Heinrich von Rugge, die er weiterdichtet und unter seinem Namen laufen lässt.33 Ältere Editionen34 dagegen interpretieren einen derartigen Überlieferungsbefund dahingehend, dass nur eine einzige Fassung einem Dichter angehört, während die anderen Fassungen auf Schreiberversehen beruhen. Damit also wäre es ein Versehen in Handschrift B, dass dort diese beiden Strophen unter Reinmar stehen. Dies hätte gemäß traditioneller Auffassung ein nachlässiger Abschreiber verursacht. Die moderne Minnesangphilologie dagegen greift Mehrfachzuschreibungen in den Überlieferungen im Sinne kommunikativer und performativer Bedingungen auf.35 So ist etwa im Codex Manesse im Oeuvre Walthers von der Vogelweide über einem Waltherlied zu lesen:

       In dem dône: Ich wirbe umb allez daz ein man 36

      Das bedeutet, Walther von der Vogelweide verwendet die Melodie des Minneliedes Ich wirbe umb allez daz ein man. Letzteres ist aber ein Lied Reinmars des Alten.37 Konkret dichtet Walther auf die Melodie Reinmars einen neuen Text. Hier offenbart also Codex Manesse die Aufführungsmodalitäten des Minnesangs. Die Dichter zitieren und persiflieren sich gegenseitig. Der Fall Dietmar versus Reinmar ist also keineswegs ungewöhnlich. Es bedurfte allerdings der letzten dreißig Jahre, bis sich solche Vorstellungen des Minnesangbetriebes etablieren konnten. Überhaupt gehört Dietmar von Aist zu den Hauptopfern einer antiquierten Minnesangphilologie. Von den 16 Tönen oder Minneliedern werden ihm von der traditionellen Forschung 13 als unecht abgesprochen. Die immer noch maßgebliche Edition ‚Des Minnesangs Frühling‘ verzeichnet ab Lied IV alles als unecht. Wörtlich heißt es in der Ausgabe: „Dietmar zugeschriebene Lieder“.38 Diese Lieder seien zwar unter dem Namen Dietmars überliefert, aber erst nach seinem Tod von anonymen Verehrern oder Schreibern verfasst worden. Darunter fällt auch das Tagelied Slafest du, friedel ziere. Authentisch seien im Sinne der älteren Forschung nur Langzeilenstrophen, die man im Ton I findet. Der erste Minnesangphilologe, der an diesen Wertungen massiv Kritik übte, war Günther Schweikle, der ironisch von einer „Geisterschar“ der Pseudo-Dichter und vermeintlich kreativen Abschreiber sprach.39 Das Problem der postulierten Pseudo-Dichter betrifft übrigens auch Reinmar, dem ebenfalls eine Heerschar von Pseudo-Reinmaren lange zugemutet wurde.40 Tatsächlich haben wir erst in jüngster Zeit einige Editionen, welche den Autorzuschreibungen der Handschriften mehr vertrauen als dem allmächtigen Philologenurteil in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Es war und ist ein schmerzlicher Prozess, das Minnesangbild der philologischen Titanen Karl Lachmann und Carl von Kraus abzuschütteln. Am mutigsten und am frühesten wirkte für den Donauländischen Minnesang der hier schon mehrfach erwähnte Günther Schweikle. Letztlich geht es um nichts weniger als das Dichterbild für den hochmittelalterlichen Minnesang. Die alte Forschung verband mit einem Dichternamen nur eine bestimmte Stilrichtung. In diesem Sinne hätte der Burggraf von Regensburg altertümliche Langzeilen gedichtet und der Burggraf von Rietenburg moderne kurzversige Kanzonen.

      Für Regensburg wohl auch als Aufführungsort zu sichern sind zahlreiche Strophen des Burggrafen von Regensburg, der aus dem Geschlecht der Rietenburger oder Riedenburger (bei Regensburg) stammte.41 Denn seit der Auffindung jenes der Regensburger Buchmalerschule angehörenden sogenannten Budapester Fragments ist auch die personale Identität der früher als Autoren auseinandergehaltenen Burggrafen von Regensburg beziehungsweise Rietenburg evident. Tatsächlich finden sich in diesem Fragment die Strophen des Rietenburgers unter dem Namen Regensburg.42 Dies spricht für die faktisch übereinstimmende personale Identität der Träger beider Personen- oder Herkunftsnamen.

      Wenn dann ein Teil des Korpus mit Langzeilenstrophen archaischer ist als andere Strophen unter demselben (Regensburg-Rietenburger) Autornamen, kann man dies unschwer mit einer Weiterentwicklung des Dichters erklären. Ohnehin ist historisch nachgewiesen, dass die Riedenburger häufiger das Burggrafenamt in Regensburg innehatten. Dieser Sachverhalt eines formal breiteren Korpus von der Langzeilenstrophe zur Kanzone gilt ähnlich für Dietmar von Aist, der gleichfalls eine Entwicklung von der archaischen, am donauländischen Nibelungenlied geschulten Langzeilenstrophe zur Minnekanzone aufweist. Diese Weiterentwicklungen im Œuvre bei Dietmar von Aist wie beim Regensburg-Rietenburger Burggrafen erweisen aber den Donauländischen Minnesang als offen für Neuentwicklungen wohl (wie man häufig annimmt) aus dem Westen Europas. Demnach hätte der Donauraum die Anfänge des Minnesangs und seine Weiterbildung zur Minnekanzone des Hohen Minnesangs beheimatet, wobei aber die westliche Herkunft der Kanzone ohnehin bis heute umstritten ist. Die Dichter Dietmar beziehungsweise der Regensburger Burggraf hätten sich dann eben stilistisch weiterentwickelt, ähnlich wie Johann Wolfgang von Goethe etwa mit dem Sturm und Drang und mit der Weimarer Klassik Protagonist mehrerer literaturgeschichtlicher Epochen war. Die ältere Minnesangforschung suchte dieses eigentlich naheliegende literaturgeschichtliche Modell eines sich weiterentwickelnden Dichters durch sterile Separierungen in mehrere Dichterpersönlichkeiten mit je einheitlichem Minnesangkonzept gar nicht erst aufkommen zu lassen. So wurde etwa zwischen einem archaischen Burggrafen von Regensburg und einem innovativen Burggrafen von Rietenburg unterschieden, was erst falsifiziert war, als mit dem auch wegen seiner diphthongierten, bairischen Formen ursprünglich