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Handbuch ADHS


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Die Tiefe der Faltungsmuster der Hirnfurchen kann mit Hilfe einer Oberfläche bestimmt werden, die das gesamt Gehirn umhüllt. Ähnlich wie bei der kortikalen Dicke-Messung können hier verschiedene Abstandsdefinitionen genutzt werden.

      – Der Gyrifizierungsindex drückt die Komplexität der Faltung der Hirnwindungen aus und errechnet sich aus dem Verhältnis der inneren und äußeren Kurve der Großhirnrindenoberfläche (Zilles et al. 1988). Da angenommen wird, dass sich der individuelle Gyrifizierungsindex nicht mit dem Alter ändert, eignet sich dieser Parameter vor allem zur Untersuchung möglicher Störungen der frühen Hirnentwicklung.

      Diffusionsgewichtetes MRT

      Als diffusionsgewichtetes MRT bezeichnet man eine Reihe von bildgebenden Verfahren, die die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen im Gehirn messen und räumlich aufgelöst darstellen. Die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI vom Engl. diffusion tensor imaging) ist eine häufig eingesetzte Variante, die die Richtungsabhängigkeit der Diffusion berücksichtigt und somit Rückschlüsse auf Veränderungen der weißen Substanz und des Verlaufs der großen Nervenbahnen (fiber tracts) erlaubt.

      Funktionelles MRT

      Im fMRT werden lokale Änderungen der zerebralen Sauerstoffanreicherung im Blut, der sogenannte »Blood-Oxygen-Level-Dependent« (BOLD) Effekt gemessen. Dabei macht man sich die biologische Tatsache zunutze, dass neuronale Aktivität in einer bestimmten Hirnregion dort zu einem erhöhten Blutfluss führt. Allgemein unterscheidet man zwischen Aufgaben-basierter (task-based) funktioneller Bildgebung und funktioneller Bildgebung vom Gehirn im sogenannten Ruhezustand (resting state; R-fMRT), d. h. die Messung erfolgt in Abwesenheit externer Reize bzw. ohne explizite Aufgabe und kann daher auch bei jüngeren Kindern und Patienten mit kognitiven Einschränkungen angewendet werden. Erfasst werden beim R-fMRT die regionalen Interaktionen zwischen einzelnen Hirnarealen, die auf einer Korrelation niederfrequenter (< 0,1 Hz) BOLD-Schwankungen beruhen. Anhand dieser zeitlichen Fluktuationen können verschiedene Netzwerke identifiziert werden, von denen das Default Mode-Netzwerk (DMN) von besonderer Bedeutung ist. Es umfasst eine Reihe assoziativer Kortexareale (medialer prefrontaler Kortex, anteriores Cingulum, Precuneus, superiorer parietaler Kortex, Hippocampus), zwischen denen sich erst im Verlauf der Kindheit eine stärkere funktionelle Kopplung ausbildet und die wiederum bei einer Reihe psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen verändert erscheint. Im Unterschied dazu kommt beim Aufgaben-basierten fMRT den an die Untersuchung im Scanner gekoppelten Aufgaben eine große Bedeutung zu. Diese müssen geeignet konstruiert sein, um eine sinnvolle Interpretation der funktionellen Daten zu ermöglichen. Auf diese Weise kann man indirekt die Hirnaktivierung während der Durchführung von kognitiven Aufgaben sichtbar machen und potentielle Aktivierungsunterschiede zwischen Patienten und Kontrollprobanden aufdecken.

      5.2 Strukturelle Bildgebungsbefunde bei ADHS

      Frühere Studien haben relativ konsistent gezeigt, dass ADHS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine etwa 4–5 %ige Reduktion des zerebralen Gesamtvolumens aufweisen (z. B. Castellanos 2002). Ferner zeigte sich eine signifikant reduzierte kortikale Dicke des gesamten Gehirns bei Kindern mit ADHS (Shaw et al. 2006, 2007; Makris et al. 2007). Zusätzlich zu dieser globalen Volumenreduktion wurden regional subtilere, aber relativ weitläufige Veränderungen der grauen Substanz beschrieben. Zu den drei zentralen Knotenpunkten (central hubs) der ADHS-Pathophysiologie zählen Veränderungen in Netzwerken, die insbesondere mit Hemmungs- und Steuerungsprozessen in Verbindung gebracht werden: (i) Ein Knotenpunkt umfasst den Präfrontalkortex, einschließlich des dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC), der mit komplexen exekutiven Funktionen, wie Aufmerksamkeitsverteilung, Planung und Entscheidungsfindung assoziiert ist, sowie den anterioren zingulären Kortex (ACC; Engl. anterior cingulate cortex), der entscheidend für die Verhaltensanpassung durch Feedback ist. (ii) Ein weiterer Knotenpunkt stellt das Striatum dar, das verschiedene mentale Fähigkeiten, wie kognitive Flexibilität, die motorische Planung und Lernprozesse unterstützt. (iii) Der dritte Knotenpunkt ist das Kleinhirn, das besonders für das motorische Feintuning sowie die zeitliche Informationsverarbeitung verantwortlich ist (image Kap. 5.3). Übereinstimmend haben mehrere volumetrische Studien eine Reduktion des Frontallappens (einschließlich orbitofrontalem und superiorem Frontalkortex (OFC, SFC) und DLPFC), des vorderen und hinteren zingulären Kortex, des präzentralen Gyrus, der Basalganglien (einschließlich Striatum), des Corpus Callosum sowie des Kleinhirns berichtet (Seidman et al. 2005; Valera et al. 2007).

      Eine Längsschnittstudie des National Institute of Mental Health (NIMH), an der 232 ADHS-Patienten und 232 Kontrollen teilnahmen, konnte darüber hinaus zeigen, dass ADHS mit einer verzögerten Hirnentwicklung assoziiert war und das Maximum der kortikalen Dicke und Oberfläche bei ADHS erst 2–5 Jahre später erreicht wurde als bei gesunden Kontrollen. Die am deutlichsten ausgeprägten Verzögerungen fanden sich in frontalen, superior-temporalen und parietalen Regionen (Shaw et al. 2007). Die einzige kortikale Region, die bei ADHS-Patienten eine frühere Reifung aufwies, fand sich im primären motorischen Kortex. Man kann spekulieren, dass insbesondere die Kombination aus frühzeitiger Reifung des primären motorischen Kortex einerseits und verzögerter Reifung von höheren motorischen Kontrollregionen andererseits die schlechte Regulation der motorischen Aktivität bei ADHS begünstigt.

      Im Gegensatz zu den Befunden der veränderten Reifung der kortikalen Dicke wurden bislang keine Gruppenunterschiede in den Entwicklungsverläufen der kortikalen Gyrifikation beobachtet (Shaw et al. 2012). Diese Befundlage führt häufig zur Fehlannahme, dass sich eine Verzögerung der Hirnreifung innerhalb weniger Jahre automatisch normalisiert und sich die Gehirnentwicklung von ADHS-Patienten irgendwann nicht mehr von der Hirnanatomie von gesunden Probanden unterscheidet. Die aktuelle Datenlage widerspricht allerdings dieser Annahme: Längsschnittliche Untersuchungen von ADHS-Patienten haben gezeigt, dass eine Normalisierung der kortikalen Dicke, besonders des rechten Parietalkortex, nur bei solchen Personen auftrat, deren Symptomatik bis ins Erwachsenenalter deutlich abnahm. Im Gegensatz dazu zeigten solche Patienten diese Konvergenz nicht, die im Erwachsenenalter weiterhin ADHS-typische Residualsymptome aufwiesen (Shaw et al. 2007). In Übereinstimmung mit diesem Befund zeigten auch mehrere Studien mit erwachsenen ADHS-Patienten eine signifikant dünnere Kortexdicke im DLPFC, OFC, ACC, posterioren zingulären Kortex (PCC) und temporo-occipito-parietalen Übergangsbereich (Makris et al. 2007; Proal et al. 2011). Die Rate der kortikalen Ausdünnung in diesen Regionen war umgekehrt proportional zur Schwere der Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptomatik (Shaw et al. 2011).

      Strukturelle Veränderungen der Basalganglien, einschließlich Globus Pallidus und Striatum mit Putamen und Nucleus Caudatus, wurden bei ADHS-Patienten sowohl mit Hilfe der voxelbasierten Methoden (Frodl und Skokauskas, 2012) als auch durch manuelle Deformationsfeld-Methoden in Region-of-Interest (ROI)-Studien beschrieben (Qiu et al. 2009). Veränderungen im Striatum betreffen allerdings nicht nur das Volumen, sondern auch die Oberflächenkonturen in Regionen, die für Lernprozesse und Belohnungsverarbeitung entscheidend sind (Shaw et al. 2014). Die größte aktuelle Studie zu subkortikalen Veränderungen bei ADHS schloss Bildgebungsdaten von weltweit insgesamt 1713 ADHS-Patienten (davon 489 weibliche Patientinnen) und 1529 Kontrollprobanden (davon 595 weibliche Kontrollen) im Alter zwischen 4 und 63 Jahren ein. In dieser Mega-Analyse des ENIGMA-Konsortiums zeigte sich bei ADHS eine signifikante Reduktion der bilateralen Amygdalae, des dorsalen und ventralen Striatums und des Hippocampus. Eine explorative Modellierung über die Lebensspanne bestätigte interessanterweise nicht nur eine verzögerte striatale Hirnreifung (mit den größten Effekten für die Gruppe der Patienten < 15 Jahren), sondern zeigte auch ein verzögertes Einsetzen der striatalen Volumenabnahme bei ADHS-Patienten nach dem vierten Lebensjahrzehnt (Hoogman et al. 2017).

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      Abb. 5.1: Verzögerte Hirnreifung bei Kindern mit ADHS (NIMH Längsschnittstudie; Shaw et al. 2007).

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      Abb. 5.2: Subkortikale Volumenminderungen bei ADHS (Hoogman et al. 2017).