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Handbuch ADHS


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mit ADHS scheinen die fronto-kortikalen Veränderungen – im Gegensatz zu den subkortikalen striatalen Auffälligkeiten – im Entwicklungsverlauf fortzubestehen oder sich sogar noch zu verstärken (Cubillo und Rubia 2010). Wie in Kapitel 5.2 beschrieben, geht diese funktionelle Hirnreifeverzögerung mit einer verspäteten Reifung wesentlicher neuroanatomischer Strukturen, insbesondere des Frontal- und Parietalkortex, einher und dürfte den unterschiedlichen neuropsychologischen Leistungsdefiziten der Patienten zugrunde liegen (Kelly et al. 2017).

      Hirnfunktionelle Veränderungen im fronto-striato-zerebellären Netzwerk scheinen beim kombinierten ADHS-Subtyp ausgeprägter aufzutreten als beispielsweise beim rein unaufmerksamen Subtyp (McCarthy et al. 2014). Hier wären zukünftig Untersuchungen in einem faktoriellen 2 x 2 Design wünschenswert, um die Frage klären zu können, ob die Auffälligkeiten beim kombinierten Subtyp eher additiv oder interaktiv die symptomspezifischen Auffälligkeiten widerspiegeln. Bezüglich möglicher Geschlechtsunterschiede spricht die bisherige Befundlage gegen geschlechtstypische neurofunktionelle Veränderungen bei ADHS (Cortese et al. 2012). Es muss allerdings festgehalten werden, dass in der neurobiologischen Forschung zu ADHS Patientinnen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind. Im Vergleich mit komorbiden psychischen Störungen, die ADHS häufig begleiten (z. B. Störung des Sozialverhaltens, Autismus-Spektrum-Störung), scheinen Veränderungen in lateralen fronto-striatalen Arealen, besonders im Zusammenhang mit der Inhibitionskontrolle, ADHS-spezifisch zu sein (Rubia, 2018).

      Es ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt, ob man bei der Messung von neurobiologischen Veränderungen mittels fMRT, ADHS (bzw. ADHS-Symptome) besser dimensional im Sinne einer extremen Normvariante einzelner Verhaltensmerkmale oder doch eher kategorial (d. h. als diskreten von der Normalität abgrenzbaren Zustand) erfassen sollte. Die Studienergebnisse von Elton et al. (2014) zur funktionellen Konnektivität bei ADHS belegen beide Ansätze. Die Autoren sprechen sich deshalb für eine doppelte Charakterisierung der ADHS-Ätiologie aus, die sowohl dimensionale als auch kategoriale Mechanismen (Hybridmodel) der dysfunktionalen Netzwerkorganisation beinhaltet.

      FMRT-Befunde zum Ruhezustand

      In den letzten Jahren haben R-fMRT-Studien zur Erforschung von neurofunktionellen Veränderungen im Ruhezustand bei ADHS deutlich zugenommen, allerdings mit teilweise deutlich heterogenen Befunden. Groß angelegte Initiativen zum Datenaustausch konnten dagegen zeigen, dass sich R-fMRT-Daten besonders gut für multizentrische Datenaggregationen eignen (Mennes et al. 2012). Solche Initiativen sind von großer wissenschaftlicher Bedeutung, da sie sowohl die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen absichern, als auch die Untersuchung von Subgruppen erlauben, die zuvor durch kleine Stichprobenumfänge unmöglich war. Ein Beispiel ist das ADHD-200-Repository, einer Open-Access Sammlung von R-fMRT- und anatomischen Datensätzen, die an acht unabhängigen Standorten erhoben wurden und Daten von 351 Heranwachsenden mit ADHS und 571 Kontrollen enthalten (Fair et al. 2012).

      Im Einklang mit der Annahme, dass insbesondere die funktionellen Interaktionen im Gehirn bei Patienten mit ADHS verändert sind (Castellanos et al. 2008; Konrad und Eickhoff 2010), zeigen R-fMRT-Studien sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern mit ADHS eine schwächere funktionelle Konnektivität zwischen den Regionen des Default-Mode Netzwerkes und dem zentralen Exekutivnetzwerk (Mattfeld et al. 2014; Sun et al. 2012). Seitdem haben sich Belege für multiple dysfunktionale Netzwerkinteraktionen bei ADHS gehäuft, die neben dem Default-Mode Netzwerk, das zentrale Exekutivnetzwerk und das ventrale Aufmerksamkeitsnetzwerk betreffen (Kessler et al. 2014; Sripada et al. 2014). Durch die zunehmenden Befunde für eine gestörte Emotionsregulation bei ADHS-Patienten wurden in jüngster Zeit auch neuronale Netzwerke untersucht, die an diesen Prozessen beteiligt sind (einschließlich der Amygdala), und auch hier gibt es erste Hinweise auf eine veränderte funktionelle Konnektivität bei ADHS (Karalunas et al. 2014; Hulvershorn et al. 2014).

      5.4 Bildgebungsbefunde zu Therapieeffekten bei ADHS

      Stimulanzien, wie Methylphenidat (MPH), stellen eine wichtige Behandlungsmöglichkeit bei ADHS dar. Im Rahmen mehrerer kombinierter Therapie- und Bildgebungsstudien konnte gezeigt werden, dass sich nach einer akuten Gabe von MPH die initial reduzierte fronto-striatale und fronto-zerebelläre Konnektivität bei ADHS während Aufmerksamkeitsaufgaben normalisiert (Rubia et al. 2009). Dabei hatte MPH sogar noch stärkere Effekte auf die funktionelle Konnektivität als auf die regionale neuronale Aktivität. Ferner scheinen Stimulanzien die notwendige Unterdrückung der Aktivität des Default-Mode Netzwerkes während kognitiver Aufgaben zu unterstützen (Peterson et al. 2009). Langzeiteffekte von Stimulanzien sind insgesamt noch unzureichend erforscht. Strukturelle MRT-Studien zeigen jedoch, dass eine Behandlung mit Stimulanzien langfristig neben den anatomischen Hirnveränderungen in der weißen Substanz, dem vorderen ACC, dem Thalamus und dem Kleinhirn auch den kortikalen Entwicklungsverlauf bei ADHS weitgehend normalisieren kann (Shaw et al. 2009). Die Auswirkungen von MPH auf das sich entwickelnde Gehirn sind vermutlich hochspezifisch und von zahlreichen Faktoren, wie genetische Prädispositionen, Alter, Komorbiditäten, Symptomstärke oder Therapiedauer, abhängig.

      Bildgebungsbefunde zu den pharmakologischen Behandlungseffekten von Atomoxetin, einem selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, oder Guanfacin, einem selektiven alpha2A-adrenergen Rezeptor-Agonist, sind bislang eher rar. Im Ruhezustand zeigten Erwachsene ADHS-Patienten nach einer achtwöchigen Gabe von Atomoxetin eine normalisierte Konnektivität zwischen dem Default-Mode Netzwerk und Exekutivnetzwerken, die mit einer klinischen Symptomverbesserung korrelierte (Lin et al. 2015). Ähnliche Effekte zeigten sich für Guanfacin (Bedard et al. 2015). Zusammengenommen deutet dies auf einen unspezifischen Wirkmechanismus verschiedener Pharmakotherapien bei ADHS hin. Hinsichtlich nicht-pharmakologischer Behandlungseffekte fanden einige Bildgebungsstudien interessanterweise ebenfalls erhöhte neuronale Aktivität, trotz geringer Verhaltenseffekte, in fronto-zerebellären Regionen nach kognitivem Training (Hoekzema et al. 2010) oder im ACC nach einem Neurofeedback-Training bei Kindern mit ADHS (Lévesque et al. 2006).

      Kasten 5.2: Neuroanatomische Veränderungen bei ADHS: Das Henne-Ei-Dilemma

      Zwar scheint die strukturelle und funktionelle Neuroanatomie bei ADHS-Patienten verändert, allerdings ist noch unklar, ob es sich hierbei um kausale Krankheitsmechanismen handelt oder ob die Veränderungen eher die Folge der Erkrankung sind. Kombinierte Familien- und Bildgebungsstudien – d. h. Studien an biologischen Geschwistern und/oder Eltern zusammen mit den betroffenen Patienten – können helfen, diesem Problem zu begegnen. Erste Studien dieser Art zeigten, dass sich strukturelle Auffälligkeiten bei nicht betroffenen Geschwistern, Eltern und ADHS-Patienten ähneln (Lawrence et al. 2013; Durston et al. 2004; Greven et al. 2015). Womöglich beeinflusst eine familiäre, d. h. genetisch bedingte Varianz, die Gehirnanatomie, was auf biologische Schutz- und Risikofaktoren hindeutet. Bisherige Bildgebungsbefunde legen eine wesentliche Vererblichkeit fronto-striataler Strukturen bei ADHS nahe, wohingegen Auffälligkeiten beispielsweise im Kleinhirn eher mit dem Vorliegen der Erkrankung selbst einhergehen. Zusammengenommen stellen besonders Veränderungen im fronto-striatalen Netzwerk, einschließlich zugrundeliegender Fasertrakt-Verbindungen, ein Risikofaktor für die Entwicklung einer ADHS Erkrankung dar.

      5.5 Neuroanatomische Implikationen für Diagnostik und Therapie

      Neuroanatomische Studien der letzten Jahre haben maßgeblich zu einem verbesserten Störungsverständnis von ADHS beigetragen, indem sie ein verbessertes Wissen über die neuronalen Grundlagen der Kardinalsymptome, die pathophysiologischen Risikofaktoren und Erkenntnisse zum Wirkmechanismus der Pharmakotherapie ermöglichten. Dennoch hat vermutlich die große Heterogenität des Störungsbildes bislang verhindert, ADHS im Einzelfall mithilfe der Bildgebung diagnostizieren zu können. Diesbezüglich zeigen neuere Ansätze zur ADHS-Individualdiagnostik auf der Basis von MRT-Bildern, wie »Machine Learning« zur Mustererkennung, dass monozentrische Studien mit kleineren Stichprobenumfängen bei der Vorhersage des ADHS-Status vergleichsweise gut abschneiden, dagegen aber die Treffgenauigkeit für eine korrekte Klassifikation eines ADHS-Patienten in großen, multizentrische Datenbanken (z. B. ADHD-200-Respiratory) mit 55 % und 78 % deutlich geringer ausfällt (Wolfers et al. 2015). Dennoch erscheint die Kombination von »Machine Learning« und Bildgebung längerfristig besonders für die Identifikation von kategorial