belegen ein verändertes Wachstum sowohl der grauen Substanz (Mackie et al. 2007) als auch der weißen Substanz (Shaw et al. 2018). Während ADHS-Patienten beispielsweise in der Kindheit (< 12 Jahre) eine verlangsamte Reifung der weißen Substanz im Kleinhirn aufweisen, wird dies anscheinend durch ein rascheres Wachstum im Jugendalter (> 12 Jahre) kompensiert. Diese Befunde unterstützen die These, dass bei ADHS eine Störung in der Entwicklung der kortiko-zerebellären Interaktion vorliegt.
Interessanterweise fand sich in mehreren Meta-Analysen bisher nur der Precuneus als einzige Region, die bei ADHS mit einem erhöhten Volumen der grauen Substanz einhergeht (Ellison-Wright et al. 2008; Nakao et al. 2011, Frodl und Skokauskas, 2012). Der Precuneus zählt wie der mediale präfrontale Kortex, Teile des ACC sowie der superiore Parietalkortex und der Hippocampus zum Default-Mode Netzwerk (DMN). Die Aktivität in diesem Netzwerk ist untereinander korreliert und aktiv im Ruhezustand, wohingegen das Netzwerk beim Lösen von Aufgaben deaktiviert wird. Patienten mit ADHS scheinen insbesondere mit der Deaktivierung des DMN-Netzwerkes während kognitiver Aufgaben Probleme zu haben (
Seit Veröffentlichung der ersten DTI-Studie zu ADHS (Ashtari et al. 2005) haben immer mehr Forscher diese Untersuchungsmethode eingesetzt, sodass mittlerweile über 50 einschlägige DTI-Studien vorliegen (Konrad und Eickhoff 2010). Diese Studien basieren im Wesentlichen auf zwei analytischen Ansätzen: ROI-basierte oder voxelweise Methoden. In ROI-basierten Ansätze werden die mittleren DTI-Metriken innerhalb eines a-priori bestimmten Traktes oder einer bestimmten Region quantifiziert. Im Gegensatz dazu messen voxelweise Analysen DTI-Metriken in jedem Voxel im gesamten Gehirn, unabhängig vom Gehirngewebe in dem sich das Voxel befindet. Sowohl ROI-basierte als auch voxelbasierte Untersuchungen berichteten eine niedrigere fraktionale Anisotropie (FA) bei Kindern mit ADHS, das heißt eine geringere richtungsabhängige Diffusion und somit eine geringere Integrität der Faserbündel in kortiko-striato-thalamischen Netzwerken und im Corpus Callosum (insbesondere in den hinteren Abschnitten, die bekanntermaßen mit sensorisch-motorischen kortikalen Arealen verbunden sind) (de Zeeuw et al. 2012; Pavuluri et al. 2009; Xia et al. 2012). In voxelbasierten Studien fanden sich darüber hinaus auch zuvor eher wenig berichtete Auffälligkeiten in den zerebellären Verbindungen (sowohl in den zerebellären Pedunculi als auch in den Hemisphären) (Ashtari et al. 2005, Nagel et al. 2011), die zusammen mit den oben beschriebenen volumetrischen Veränderungen die Relevanz von kortiko-zerebellären Netzwerken für die Pathophysiologie von ADHS unterstreichen (
5.3 Funktionelle Bildgebungsbefunde bei ADHS
Entgegen traditioneller Modellvorstellungen, die noch von einem neurokognitiven Kerndefizit bei ADHS ausgingen – besonders von einer zentralen Störung der Inhibitionskontrolle –, nehmen moderne Mehr-Wege-Modelle multiple Defizitbereiche an, die separat oder in Kombination dem Störungsbild zugrunde liegen (
FMRT-Befunde zu »kalten« und »heißen« Exekutivfunktionen
Am konsistentesten zeigen ADHS-Patienten Defizite in den sogenannten »kalten« Exekutivfunktionen. Hierbei handelt es ich um höhere kognitive Kontroll- und Regulationsprozesse, die zielorientiertes und situationsangemessenes Verhalten gewährleisten, ohne dass affektive Aspekte, wie Motivation oder Emotionen, involviert sind. Besonders betroffen bei ADHS sind die Antwort-Hemmung (Inhibition), die Daueraufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis und die Zeitverarbeitung (Pievsky und McGrath 2018). Sowohl fronto-striatale als auch fronto-parietale und fronto-zerebelläre Hirnnetzwerke, einschließlich des Thalamus, sind daran beteiligt. Bei der Aktivierung dieser Netzwerke spielen die Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin eine entscheidende Rolle. Da im Zusammenhang mit ADHS eine Störung dieser drei Neurotransmittersysteme, insbesondere des dopaminergen Systems, angenommen wird, erwartet man in diesen Hirnregionen abweichende Aktivierungsmuster.
Mehrere aktuelle Meta-Analysen zu fMRT-Studien konnten bestätigen, dass die robustesten Veränderungen bei ADHS-Patienten in fronto-striato-parieto-zerebellären Arealen vorliegen (Rubia 2018). Obwohl sich die betroffenen Hirnbereiche teilweise überlappen, gibt es unterscheidbare, funktionsspezifische Veränderungen, die jeweils mit einem bestimmten exekutiven Defizit assoziiert zu sein scheinen: (i) Verminderte Hirnaktivierungsmuster in einem bilateralen fronto-striato-thalamischen Netzwerk zeigen sich bei ADHS insbesondere bei Inhibitionsaufgaben (Cortese et al. 2012; Dickstein et al. 2006; Hart et al. 2013; Lei et al. 2015; McCarthy et al. 2014). (ii) Dagegen lassen sich bei Aufmerksamkeitsleistungen vor allem Minderaktivierungen in einem rechtshemisphärischen fronto-striato-thalamo-parietalen Netzwerk beobachten (Cortese et al. 2012; Hart et al. 2013). (iii) Verringerte Aktivierungsmuster in einem hauptsächlich linkshemisphärischen fronto-parieto-zerebellären Netzwerk treten bei Prozessen der Zeitverarbeitung auf (Hart et al. 2012), und (iv) eine reduzierte Hirnaktivität in einem vorrangig lateral-medialen frontalen Netzwerk kommt bei ADHS-Patienten bei Arbeitsgedächtnisleistungen vor (Cortese et al. 2012; McCarthy et al. 2014).
Zusammengenommen deuten diese Befunde auf eine multisystemische neuronale Dysfunktion bei ADHS hin, die verschiedene funktionsspezifische fronto-striato-parieto-zerebelläre Hirnnetzwerke umfasst (
Neben eingeschränkten »kalten« Exekutivfunktionen lassen sich bei ADHS-Patienten auch Auffälligkeiten bei »heißen« Exekutivfunktionen beobachten (Castellanos et al. 2006). Dazu zählen höhere kognitive Prozesse der Verhaltensregulation, die durch individuell relevante Motivation und Emotionen geprägt sind. Experimentell werden »heiße« Exekutivfunktionen vor allem mit Risiko- und Entscheidungsaufgaben erfasst, bei denen bestimmte Verhaltensentscheidungen positive oder negative Auswirkungen haben (z. B. Belohnungsgewinn, Bestrafungsvermeidung, größerer vs. kleinerer Gewinn). Neurobiologisch sind bei diesen Prozessen besonders orbitofronto- und ventromedial-fronto-striatale Netzwerke involviert. Die Datenlage zu hirnfunktionellen Veränderungen bei ADHS-Patienten ist diesbezüglich allerdings vergleichsweise dünn und uneinheitlich. Ein mehr oder weniger robuster Befund bei ADHS ist die Minderaktivierung des ventralen Striatums bei der Erwartung einer Belohnung (Plichta und Scheres 2014), wohingegen der Belohnungserhalt selbst und das aktive Bemühen um bzw. die Entscheidung für eine sofortige (vs. spätere) Belohnung eher mit einer Überaktivierung des fronto-striatalen Belohnungsnetzwerkes einherzugehen scheinen.
Abb. 5.3: Funktionsspezifische neurofunktionelle Dysfunktionen bei ADHS
FMRT-Befunde zum Einfluss von Alter, Subtypen, Geschlecht und Komorbiditäten