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Handbuch ADHS


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(Kemner et al. 2004) als auch in visuellen Tests zur selektiven Aufmerksamkeit (Jonkman et al. 2004). Dabei zeigt die Lokalisation, dass nur die eigentlichen Aufmerksamkeitseffekte in den sensorischen Hirngebieten vermindert sind, während die sensorische Grundaktivität im Vergleich zu den unbeachteten Standards in den gleichen Gebieten nicht verändert ist. So kann neurophysiologisch belegt werden, dass Aufmerksamkeitsprobleme über verminderte Aktivierung durch beachtete Merkmale, aber nicht wegen erhöhter Aktivierung durch falsche Reize (»Ablenkung«), noch durch beeinträchtigte Grundverarbeitung zustande kommt. Einige frühe Aufmerksamkeitseffekte sind bei ADHS aber auch verstärkt (Brandeis et al. 2002a; Wiersema et al. 2006b), was als vermehrtes vorzeitiges Orientieren zum Ausgleich des Mangels an Ressourcen im Sinne einer Kompensation gedeutet wird.

      Späte Aufmerksamkeit und Zustandsregulation

      Spätere Formen von Aufmerksamkeit, welche nur von beachteten aufgabenrelevanten Reizen aktiviert werden, lassen sich anhand von P300-Komponenten messen. Latenz und Amplitude der P300 gelten als Maße für die Dauer und den Aufwand von Aufmerksamkeits- und Entscheidungsprozessen und wurden bei Kindern mit ADHS in zahlreichen Studien untersucht.

      Die verminderten P300 Amplituden nach Warn- oder Zielreizen bilden den am besten replizierten ERP-Befund bei Kindern mit ADHS (Barry et al. 2003b; van Leeuwen et al. 1998). Eine derartige Verminderung ist besonders deutlich bei Kindern mit reinem ADHS ohne Komorbidität mit anderen Störungen (Banaschewski et al. 2003). Gut ausgewiesen ist auch, dass sich die Amplituden der Zielreiz- und der NoGo-P300 unter MPH teilweise normalisieren (Barry et al. 2003b; Broyd et al. 2005; Pliszka et al. 2007; Seifert et al. 2003).

      Die P300 Veränderungen bei ADHS sind spezifisch für bestimmte Versuchsbedingungen. Die Verminderung der P300 ist etwa nach überraschenden Warnreizen deutlicher als nach vorgewarnten Zielreizen, was auf ein Defizit bei der Mobilisierung und Orientierung von Aufmerksamkeit hinweist. Die posterioren Quellenlösungen für die Warnreiz-P300 unterstützen diese Deutung (Banaschewski et al. 2004; Banaschewski et al. 2003; Herrmann und Fallgatter 2004; van Leeuwen et al. 1998).

      Die Verminderung der P300 kann zumindest teilweise durch beeinträchtigte Zustandsregulation aufgrund fehlender Ressourcen bei entsprechendem Bedarf erklärt werden. So führt etwa eine Verlangsamung des Aufgabentempos bei normalen Kontrollgruppen zur Bereitstellung von mehr Ressourcen und einer stärkeren P300, während dieser Mechanismus weder bei Kindern noch bei Erwachsenen mit ADHS nachzuweisen ist (Wiersema et al. 2006a; Wiersema et al. 2006b). Da die Stärke der P300 die verfügbaren Ressourcen anzeigt, stützt dieser Befund der verkleinerten P300-Komponenten bei ADHS die These energetischer Defizite bei der Zielreizverarbeitung. Dies steht auch im Einklang mit entsprechenden psychologischen Ergebnissen (Sergeant 2005). Die multivariate Klassierung in ADHS und Kontrollprobanden anhand von ERP-Merkmalen (Smith et al. 2003) war mit 77 % korrekt Klassierten etwas weniger erfolgreich als eine entsprechende Klassierung anhand des Ruhe-EEGs (Magee et al. 2005), aber ein direkter Vergleich ist aufgrund der unterschiedlichen statistischen Methoden nicht möglich. Zwar lassen sich Gruppenunterschiede einzelner, gut validierter EEG- oder ERP-Merkmale einfacher interpretieren, aber zusätzliche Information kann Gruppenunterschiede oft besser charakterisieren.

      Moderne Verfahren zur Mustererkennung benutzen zahlreiche Merkmale, um daraus eine optimale Unterscheidung zu «lernen» (Müller et al. 2011; Poil et al. 2014; Pulini et al. 2018). So erlauben sie eine Klassifizierung durch Kombination verschiedener Merkmale wie EEG-Frequenzbänder, ERP-Komponenten, Sensoren, Hirnregionen und Zustände oder Aufgaben. Der mögliche Gewinn solcher Ansätze wird etwa in Studien von Mueller et al. (2011) und Poil et al. (2014) ersichtlich, wo Mustererkennung mit sogenannten »Machine Learning« Algorithmen benutzt wurde und durch Kombination von EEG oder ERP Massen höhere Klassifizierungsgenauigkeiten erzielt wurden. Allerdings wurden teilweise Genauigkeiten von über 90 % mit unterschiedlichen und nicht validierten ERP Massen beschrieben (Mueller et al 2011, Biederman et al. 2017), was angesichts der anerkannten Heterogenität von ADHS wenig plausibel ist.

      Die mangelnde Validierung und Übertragbarkeit betrifft aber auch solch vielversprechende Befunde mit moderner Musterklassierung, welche in besonderem Masse unabhängige Validierung mit größeren Stichproben erfordern (Pulini et al. 2018), sowie eine plausible Zuordnung zu neuronalen Systemen und Mechanismen. Da verschiedene Studien kaum je die gleichen Tests und ERP-Masse verwenden, sind auch valide Aussagen zur Klassifizierungsgenauigkeit mittels ERP Massen besonders schwierig (Gamma und Kara 2016). Eine erste Meta-Analyse zur Trennschärfe der verschiedener ERPs bestätigte nun, dass spätere kognitive ERP Komponenten besser klassieren als frühere, wenn auch die höchste Effektstärke der späten P300 Amplitude mit 0,57 im mittleren Bereich blieb und sich damit nicht zur Individualdiagnostik eignet (Kaiser et al. 2020).

      Inhibition, Konflikt- und Fehlerverarbeitung

      Die klassische Inhibitionsaufgabe ist die Stoppaufgabe, wo eine schon initiierte Antwort unterdrückt werden muss, wenn ein entsprechendes Signal auftritt. Kinder mit ADHS haben große Schwierigkeiten, schnell auf dieses Stoppsignal zu reagieren (Rubia et al. 1998). Entsprechend zeigen Kindern mit ADHS in dieser Aufgabe neben einer schwächeren P300-Komponente auch Veränderungen in den vorangehenden Komponenten bei erfolglosen Stopp-Versuchen (Brandeis et al. 1998). Diese frühen Veränderungen treten schon beim Eintreffen des Stoppsignals auf und zeigen somit, dass verringerte Antworthemmung durch vorangehende posteriore Aufmerksamkeitsdefizite zustande kommt. Nach erfolgreichen Stopp-Versuchen ergab sich eine typische NoGo-P300 mit frontaler Quellenlösung, welche aber keine Gruppenunterschiede aufwies; dieser Befund deutet ebenfalls auf intakte Antworthemmung hin. Ähnliche Befunde zur verminderten Vorbereitung, aber auch eine verminderte frontale N200 oder verwandte frontale Aktivität nach Stoppsignalen fanden sich in neueren Studien bei Kindern (Albrecht et al. 2005; Overtoom et al. 2002; Pliszka et al. 2000). Die Verminderung der N200 scheint unabhängig von der Behandlungsgeschichte mit MPH zu sein (Liotti et al. 2007), und die akute MPH Behandlung führte zu einer teilweisen Normalisierung mit Vergrößerung der N200 und der NoGo-P300 (Pliszka et al. 2007). Die N200-Verminderung als Merkmal für beeinträchtigte Hemmprozesse ist aber nicht spezifisch für ADHS, da sie in gleichem Maß bei Kindern mit reinem ADHS oder mit reinen Verhaltensauffälligkeiten (ODD/CD) auftritt (Albrecht et al. 2005).

      Inhibitionsschwächen finden sich auch in Go/NoGo Aufgaben wie der CPT A-X (oder CPT O-X), wo die Warnreize eine Go/NoGo Aufgabe signalisieren. Dabei zeigen Kinder mit ADHS eine schwächere frontozentrale NoGo-P300, die sich tomografisch auf verminderte frontale Aktivierung im anterioren Cingulum während der Hemmbedingungen zurückführen lässt (Brandeis et al. 2002b; Fallgatter et al. 2004; Strik et al. 1998). Ganz ähnliche Aktivitätsverminderungen in der NoGo-Bedingung fanden sich bei Erwachsenen mit ADHS (Fallgatter et al. 2005, Mc Loughlin et al. 2010) und deren nicht betroffenen Familienmitgliedern (McLoughlin et al. 2011). Verminderte NoGo-P300 tritt aber auch bei anderen Störungen wie Schizophrenie auf, und ist somit nicht spezifisch für ADHS (Kropotov et al. 2019).

      Diese Inhibitionsschwächen sind vor allem bei Kindern mit komorbiden Störungen wie Störungen des Sozialverhaltens (ODD/CD) ausgeprägt und können so nicht als spezifische Marker für ADHS gelten (Banaschewski et al. 2004). Entsprechend zeigt sich eine Verminderung der frontalen N2 nach NoGo Reizen nur bei ADHS Kindern mit zusätzlichen Störungen des Sozialverhaltens (Overtoom et al. 1998). Wenn Messungen der NoGo-P300 und der intracorticalen Hemmung (durch transkranielle Magnetstimulation) »multimodal« kombiniert werden, lassen sich ADHS und Kontrollgruppen deutlich besser unterscheiden als mit einem Verfahren allein (90 % Genauigkeit, Heinrich et al. 2014).

      Die Verarbeitung konfliktierender Information ist bei ADHS ebenfalls betroffen. So zeigt sich etwa in visuellen Flankeraufgaben bei konfliktierender Information verminderte N2 Aktivität (Albrecht et al. 2008), und konfliktierende visuelle und auditorische Information beeinträchtigen anschließende Inhibitionsvorgänge (Chmielewski et al. 2018).

      Auch die Fehlerverarbeitung ist bei Kindern und Erwachsenen mit ADHS beeinträchtigt, wie inzwischen auch eine Meta-Analyse bestätigt (Geburek et al. 2013). Der entsprechende ERP-Marker, die Stärke der sogenannten fehlerbezogenen Negativität oder Ne, liegt für nicht betroffene Geschwister zwischen dem der ADHS und dem der Kontrollgruppe, und kann somit als Endophänotyp betrachtet